G:  rezensionen


Die Kunst des Erinnerns - Simon Wiesenthal

Die Wiesenthal-Hommage von Johanna Heer ("Zuckerbaby") und demVideoinstallateur Werner Schmiedel ist ein kraftvoller Akt künstlerischer Zuwendung. Die Regisseure erklären sich als nicht unbeteiligt und pflegen für ihren Film selbst die Kunst des Erinnerns, die der Filmtitel dem Lebenswerk Simon Wiesenthals zuschreibt. Sie kommen damit der Person, dem Humanismus Wiesenthals, bedeutend näher als der objektive Dokumentarist, der sich mit der Schublade "Nazijäger" begnügt.

Umgesetzt wird der Appell, sich zu erinnern, bereits in der Anfangssequenz. Eine fiktive Inszenierung, professionell zwar nicht gelungen, aber das tut der Überzeugung keinen Abbruch, mit der sich eine junge Frau in einem wiener Taxi dem Gerede eines Taxifahrers widersetzt, der Auschwitz leugnet. Das Wortduell geht unentschieden aus. Aber es mußte geführt werden. Und auch von Wiesenthal wird man heute nicht mit Sicherheit sagen können, daß er seine Feinde überzeugt hat.

Gewiß, auch dieser Film versammelt Statements von talking heads. Er fügt historisches Dokumentarfilmmaterial ein, zum Beispiel von der Befreiung des österreichischen KZs Mauthausen. Er begleitet Wiesenthal auf Reisen und protokolliert seine Äußerungen. Was den Film auszeichnet, ist jedoch die Aufforderung, Flagge zu zeigen, seine emotionale Wärme und seine Subjektivität.

Die Kamera kippt auf einem verschneiten Waldweg um 90 Grad und geht dort zu Boden, wo die erschöpften KZ-Häftlinge liegengeblieben waren, den Genickschuß erwartend. Subjektiv, nämlich künstlerischer Akt, ist auch die Farbgebung. Inmitten von Blautönen öffnet sich Wiesenthal für persönlichste Erinnerungen und spricht in einer zu Herzen gehenden Szene von seiner Mutter, die ihn 1908 im galizischen Buczacz (damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine) geboren hat. Vor allem aber ist es die schöne, ein wenig traurige, immer herzliche Originalmusik des Avantgardesaxophonisten John Zorn, der es gelingt, eine enge emotionale Verbindung zur Persönlichkeit Wiesenthals herzustellen.

Wir sehen Wiesenthal in Los Angeles im Beit Hashoah-Museum, dem Museum of Tolerance, vor einem Monitor sitzen und sich Bilder aus dem Lemberg anschauen, wo er zur Schule gegangen war. Er spricht von der Shoa und sagt etwas, auf das ich nicht gefaßt war: "Das Potential steckt in jedem von uns". Der Hitler in uns, in ihm? — Das Schlagwort der deutschen Vergangenheitsbewältigung bekommt erst aus seinem Mund den wahren Sinn.

Wiesenthals Lebenswerk ist, die Judenvernichtung historisch nicht als abgeschlossen, sondern als wiederholbar, als ständige Aktualität von Haß und Rassismus zu begreifen. Niemand darf sicher sein, daß er nicht eines Tages selbst minoritär und Opfer wird.  Aber Wiesenthal scheitert damit, schon 1968 in Wien ein Frühwarnzentrum einzurichten, um rechtzeitig rassistische und rechtsextremistische Gefahren zu erkennen. Österreich hat ihm erst vor wenigen Jahren verziehen, daß er dem Land die Opferrolle streitig gemacht hat. Und die Filmregisseure Heer und Schmiedel, die sich zu Anwälten Wiesenthals machen, nutzen die "Kunst des Erinnerns" zu einem flammenden Plädoyer gegen die österreichische Regierung insbesondere gegen die alleinregierenden Sozialdemokraten, während deren Herrschaft auch nicht ein einziger NS-Verbrecher verurteilt wurde. Die berühmt-berüchtigte Szene folgt, in der Kanzler Kreisky vor laufenden Kameras Wiesenthal und seine Mitarbeiter rüde als "eine Art Mafia" geißelt ("Privatjustiz") und ihn selbst der Kollaboration mit der Gestapo bezichtigt. Kreisky muß anschließend die Beleidigung mit einer Geldstrafe sühnen. Wir haben das fast wieder vergessen. Geändert hat sich wenig. Der österreichische Staat gibt auch heute nicht Einsicht in die Akten der Naziverbrecher.

Deutschland kommt in der "Kunst des Erinnerns" im Vergleich zu Österreich glimpflich weg. Heer und Schmiedel haben ihrem politischen Kampf eine andere Zielrichtung gegeben. Grade hatte Alfred Streim, der Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, seinen einschränkenden Satz, wonach anfangs Wiesenthals Arbeit das Elixir der deutschen Stelle gewesen war, beendet, um mit einem Aber fortzufahren, schon kommt der Schnitt. Die Kritik, die an Wiesenthals Arbeit bis in die jüngste Vergangenheit laut wurde, kommt in der "Kunst des Erinnerns" so gut wie gar nicht vor. Um es laut und deutlich zu sagen: die Wiesenthal-Hommage ist kein kritischer Film. Und wieso sollte eine Liebes- und Respektserklärung das sein? Statt der Fragen gibt es eine Antwort. Johanna Heer: "Unser Film ist eine Antwort auf die sogenannten Kritiker Simon Wiesenthals".

Dietrich Kuhlbrodt

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