Fritz, den Jungen aus dem vogtländischen Dorf, der still
war, aber fröhlich, der lieber allein spielte, der nicht gelitten war
von seinem Vater, der traurig war, der Klavier spielen konnte und es nicht
gelernt hatte, der an seiner Mutter hing, der keinen Freund hatte,
Fritz, den Jüngling, der Klavierspieler werden wollte, aber nicht
durfte, der, weil der Vater es befahl, Handlungsgehilfe wurde, der in dem
Laden des Vaters zu arbeiten hatte, der für den Vater mit einem Motorrad
Ware über Land fuhr, der vom Motorrad stürzte, der seinen Vater
nicht liebte, weil der ein Trinker war und die Mutter schlug,
Fritz, der sich nicht mehr anziehen wollte wie ein Handlungsgehilfe,
der sich nicht mehr glattrasieren mochte, der nicht mehr ins Kontor des Vaters
gehen mochte, der einfach übers Feld lief, in den Wald, der erst in
der Dunkelheit zurückkam und nichts sagte, der mitten im Winter fortfuhr
ohne Mantel und Geld, der von der Polizei aufgegriffen wurde in der Stadt
München, der von seinem Vater für verrückt erklärt wurde,
der von seinem Vater in eine Irrenanstalt gebracht wurde,
Neunzehnhundertdreißig,
Fritz, den Mann, der zwei verschiedene Augen hatte, ein helles und
ein dunkles, ein graues und ein braunes, ein mißtrauisches und ein
argloses, der in der Irrenanstalt an allen irre wurde, der in der Irrenanstalt
ausgewählt wurde als ein Leben von Unwert, der fortgefahren wurde auf
das Schloß Hartheim bei Linz an der Donau, der in dem Schloß
mit Gas geduscht wurde, der im Backofen verbrannt wurde, Neunzehnhundertvierzig,
der nach Hause geschickt wurde in einer Urne zu der Mutter und zu dem
Vater,
Fritz, den habe ich nicht mehr kennengelernt; die anderen haben mir
von ihm erzählt.
(1985)
Hans Joachim Schädlich liest die geschichte "Fritz" (quicktime movie: 8,8 MB)
Hans Joachim Schädlich liest die geschichte "Fritz" (quicktime audio: 3,2 MB)
Veröffentlichung vorstehenden textes in glossen mit freundlicher genehmigung des autors. Der text erschien zum ersten mal in OSTWESTBERLIN (Rowohlt, 1987)
Die "quicktime" version der lesung wurde dem film "Hans Joachim Schädlich im Gespräch" von Christel und Heinz Blumensath und Sigrid Schröder mit freundlicher genehmigung der filmemacher entnommen.
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