glossen 10: Bestandsaufnahme — Zur deutschen Literatur nach der Vereinigung
Go West? Lyrik, Literaturbetrieb und ,,ostdeutsche Identität” in den neunziger Jahren
Erk Grimm

Die folgenden Überlegungen, die sich der Bestimmung der “ostdeutschen Identität” in der Lyrik der neunziger Jahre widmen, nehmen ihren Ausgang von einer polemischen Entgegnung des Leipziger Literaturwissenschaftlers Peter Geist auf eine umfassende Bestandsaufnahme der deutschsprachigen Lyrik dieses Jahrzehnts, nämlich auf die von Michael Braun und Hans Thill herausgegebene Anthologie Das verlorene Alphabet (1998).[1] Die polemische Kritik Geists richtet sich in erster Linie gegen eine modische Tonlage, die er mit dem Einfluß von Postmoderne und Dekonstruktion auf die zeitgenössische Dichtung identifiziert und als ein “öliges Kommunikationsdesign” oder schlicht eine “Stopfganslyrik” betrachtet. [2] In zweiter Linie richten sich seine Vorwürfe gegen die Vernachlässigung einer größeren Anzahl von ostdeutschen Autoren, nämlich insgesamt sechzehn Lyrikern, in dieser Anthologie, eine Auslassung, in der er eine implizite Diskreditierung der ostdeutschen Literatur vermutet. Diese Polemik ist deswegen so aufschlußreich, weil sie auf die anhaltenden Querelen zwischen ost- und westdeutschen Vertretern der Literaturkritik am Ende der neunziger Jahre verweist. Aus Peter Geists Kritik läßt sich nämlich ein Echo auf den berüchigten Literaturstreit nach der Vereinigung heraushören, den Ulrich Greiner 1993 apodiktisch als gescheitert deklarierte, weil die Befragten damals nur mit einer “Verteidigung des Mythos [der DDR]” parierten, also gleichsam mit einer Erneuerung des Aufrufs zum sozialistischen Neubeginn, “Für unser Land,” von 1989.[3]

Die Bestimmtheit, mit der Peter Geist, ein ausgewiesener Kenner der Gegenwartslyrik, in seiner Erwiderung von ostdeutschen und westdeutschen Autoren ausgeht, läßt darauf schließen, daß es ihm vornehmlich um die quantitative Ausgewogenheit der Stimmen geht, weniger um die Repräsentation einer bestimmten ästhetischen Position. Was seinen ersten Vorwurf gegen den neuerdings in der deutschen Lyrik erhobenen postmodernen Ton betrifft, so findet sich in der Tat eine betont spielerische und selbstironische Sprachhaltung bei Autoren wie Dirk von Petersdorff oder Steffen Jacobs, die durch die Konfiguration aus Versatzstücken auf den Verlust an existentieller Tiefe und die Vergeblichkeit des Bemühens um Authentizität und Originalität aufmerksam machen. Doch diese Richtung, die vor allem von Uwe Wittstock mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer neuen unterhaltsameren deutschen Literatur gefordert und gefördert wurde,[4] wurde in der Literaturkritik mit Recht recht skeptisch beurteilt, so daß Gedichtbände wie Petersdorff’ Zeitlösung (1995) oder Jacobs’ Der Alltag des Abenteurers (1996) eher als eine populistische Spielart einer nachmodernen und nachexperimentellen Poetologie zu betrachten ist, die die Moderne als erschöpft betrachtet. Was den zweiten Vorwurf angeht, so kann man wohl eine Vernachlässigung der von Peter Geist genannten Autoren konstatieren. Aber es bleibt zu ergänzen, daß eine Anzahl von wichtigen ostdeutschen Poeten, die in den achtziger Jahren hervortraten, in dem nunmehr gesamtdeutschen Literaturbetrieb überhaupt nicht mehr präsent sind. Mehr als fünfzehn der in so wichtigen Anthologien wie Vogel oder Käfig sein [5] vertretenen Autoren sind seit dem Ende der achtziger Jahre nicht mehr an die Öffentlichkeit getreten, einige haben vermutlich sogar das Schreiben aufgegeben, darunter tonprägende Lyriker wie Stefan Döring, Raja Lubinetzki, Leonhard Lorek oder eigenwillige Schriftkunst-Experimentatoren wie Johannes Jansen. Gleichzeitig aber haben längst etablierte ostdeutsche Vertreter diverser Lyrikrichtungen, von Volker Braun über Wulf Kirsten bis zu Kathrin Schmidt rasch Aufnahme bei den angesehensten Verlagen des deutschen Sprachraums gefunden, darunter auch Gert Neumann, dessen Werk mittlerweile, trotz einer schwierigen sprachphilosophischen Diktion, in der Literaturreihe bei DuMont erscheint. Das heißt, ostdeutsche Lyriker scheinen sehr gut in den gesamtdeutschen Literaturbetrieb integriert zu sein. Überdies ist seit Mitte der neunziger Jahre eine schwer überschaubare Zahl von Lyrikern aus den neuen Bundesländern aktiv geworden, die in kleineren Verlagen und Literaturzeitschriften hervortreten. Sie publizieren im gesamten deutschen Sprachraum und sehen sich angesichts eines marktorientierten Literaturbetriebs vor die gleichen Schwierigkeiten gestellt, wie junge Lyriker in Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein. Zu nennen wären Autoren wie Tom Pohlmann, Thomas Martin oder Micha Schmidt, die in kleiner Auflage ihren ersten Gedichtband bei Kleinverlagen vorgelegt haben. Diese Autoren hatten kaum Berührung mit der offiziellen literarischen Öffentlichkeit der DDR, noch waren sie in die inoffizielle Nebenkultur des sozialistischen Staates integriert, so daß in diesen Fällen eine spezifisch “ostdeutsche” Identität, bedingt durch die literarische und biographische Entwicklung nach 1989, nur schwer ausfinding zu machen ist. Ihre Namen werden sich sicherlich in zukünftigen gesamtdeutschen Anthologien finden.

Auffälligerweise ist mittlerweile aber auch bei einigen längst etablierten ostdeutschen Autoren die Frage nach der Identität immer schwieriger zu beantworten, sieht man einmal von der Zuordnung nach dem Geburtsort ab. Ihren Werken ist die Verbundenheit mit der Geschichte und Topographie der ehemaligen DDR nicht mehr auf Anhieb abzulesen, noch übernehmen diese lyrischen Texte die charakteristischen Motivkomplexe oder Wort- und Syntaxzergliederungen der achtziger Jahre. Weder Thematik, Tonlage noch Sprachverwendung z.B. in der Lyrik eines Thomas Kunst, Andreas Altmann oder einer Barbara Köhler verweisen auf die geographische Herkunft des jeweiligen Autors. Hier zeichnet sich ein bedeutsamer Unterschied zu dem doch relativ homogenen Formen- und Motivrepertoire der Leipziger, Dresdner oder Ostberliner Szene-Dichtung der vorausgegangenen Dekade ab, die zunächst im Westen große Aufmerksamkeit als Gruppen- und Generationsphänomen fand. Die literarische Landschaft ist indessen zerklüfteter geworden und beginnt im Kontext des gesamtdeutschen Literaturbetriebs neue Biotope auszubilden, so daß sich die eigenwilligen “gegenkulturellen” Formen und Motive der achtziger Jahre verschleifen oder gänzlich aufweichen. Dies trifft natürlich weit weniger für Autoren wie Kerstin Hensel, Richard Pietraß, Wulf Kirsten oder Volker Braun zu, da sie auf eine lange Werkentfaltung zurückblicken können, die in stärkerem Maße mit der politisch-sozialen Entwicklung in der DDR verflochten ist. Der angesprochene Prozeß der Verschleifung beginnt übrigens schon Mitte der achtziger Jahre, wie Klaus Michael bezüglich der verfallenden Unterschiede von “kulturellen und gegenkulturellen Darbietungsformen” bemerkt hat.[6] Nach 1989 gewinnt dieser Prozeß eine neue Dimension, da auch das staatsbürgerliche und geschlechtliche Selbstverständnis thematisiert wird. So stellt ein Band wie Köhlers jüngster Mixed Media-Band, Wittgensteins Nichte (1999) nicht mehr die Frage nach der nationalen Identität, wie noch in dem ersten Gedichtband Deutsches Roulette (1991); stattdessen gestaltet die Chemnitzer Lyrikerin einen Textraum, der sich graphisch wie eine künstlerische Installation ausnimmt und die Beziehung der Geschlechter in Wort und Bild auslotet.

Diese Beobachtungen zu einer generellen Verschiebung der Akzente in der gesamtdeutschen Literaturlandschaft werfen ein Licht auf das Problem, in welchem Maße Lyriker, deren Biographien den neuen Bundesländern verbunden sind, am Ende der neunziger Jahre überhaupt noch Themen und Sprachmuster der achtziger Jahre fortführen und inwieweit sie darin und damit eine spezifisch ostdeutsche Identität artikulieren. Diesbezüglich bezweifelte Günter Kunert 1991 in einem Zeitungsbeitrag, ob es vor der Vereinigung, außer bei Funktionären, ein solches Selbstverständnis überhaupt gegeben habe und fügt hinzu, daß wohl erst das Verlustgefühl eine Art posthume DDR-Identität geschaffen habe.[7] Kunert macht in der nachträglichen Identifizierung mit dem Staat ein falsches Bewußtsein aus, da man den Unrechtsstaat eben nicht ganz verdamme und somit auch nicht zur Individuation in der Lage sei. Dieses katharthische Modell trägt allerdings kaum dem besonderen Umstand Rechnung, daß sich trotz der illusionslosen Distanzierung vieler Intellektueller und Schriftsteller vom Staatssystem in den achtziger Jahren im darauffolgenden Jahrzehnt in der Bevölkerung relativ rasch eine stark affektive Verbundenheit mit der vertrauten Lebenswelt gebildet hat.
Ein interessantes Denkmodell, die kollektive ostdeutsche Identität als Mentalität zu beschreiben und auf historisch gewachsene Alltagsgewohnheiten zurückzuführen, bietet Wolfgang Englers Studie Die Ostdeutschen (1999), worin der Soziologe von dem “überragenden gesellschaftlichen Einfluß der Arbeiterschaft” in der DDR ausgeht, deren Mitglieder er als “Arbeitsbesitzer” in einer “arbeiterlichen Gesellschaft,” im Gegensatz zu bloßen Arbeitnehmern in einer proletarischen Gesellschaft, deutet.[8] Obwohl die “Betriebsintelligenz”, also der Mittelbau von Leitern und qualifizierten Fachkräften, den Ton angegeben habe (191), so richteten sich doch, so Engler, die “Alltagssitten ... nach den Normen und Idealen der arbeitenden Klasse” (200). Einen entscheidenden, historisch bedeutsamen Bruch der Arbeiter mit den Kulturschaffenden macht Engler im Aufstand vom 17. Juni 1953 fest, da diese Revolte “die einen zu Akteuren, die anderen zu Zuschauern machte” und zu der Folgekrise von 1956 beitrug (86). Sind es diese politischen Ereignisse, die sich in das kollektive Gedächtnis als traumatische Spaltung eingegraben haben, so datiert Engler die Ausbildung einer neuartigen Mentalität, trotz der sich schon damals konturierenden “Dauerkrise” (145), auf die siebziger Jahre, als man der “Obrigkeit” einen Freiraum abrang und “mit komplexeren Formen der Partnerschaft experimentierte” (261). In der überspitzten Formulierung des Soziologen: “Vielleicht war gerade das ganz normale Leben der Ostdeutschen das eigentlich aufregende, verblüffende, originelle und das scheinbar originelle nur Nachahmung westlicher Verhaltensmuster” (265). Wie diese provokant gemeinte These andeutet, versucht Engler ein Bild von der ostdeutschen Öffentlichkeit zu entwerfen, das sich nicht auf den Gegensatz von einer schweigenden Mehrheit und einer experimentierfreudigen Minderheit, dem Volk und einer intellektuellen Avantgarde, beruft. Wie die oben zitierte Deutung des privaten Glücks verrät, wird stattdessen das Experimentelle und Komplexe in der breiten Masse der Normalbürger lokalisiert. Also in der “sozialen Mitte,” nicht etwa in Nischen oder nebenkulturellen Randzonen der Gesellschaft, sieht Engler “den innovativen Kern der Gesellschaft” (266).

Diese Auffassung, die sich bemerkenswerterweise eines spezifisch ästhetischen Vokabulars bedient, um das ganz “normale Leben” als “originell” und “innovativ” darzustellen, unterlegt der ostdeutschen Mentalität zwar nicht das Schema vom großen gesellschaftlichen Experiment, das einer sozialistischen Entwicklungslogik folgte. Doch im Herauspräparieren einer innovativen Kernzelle der Gesellschaft bleibt ein Entwicklungsschema erkennbar, das der östlichen Partnerschaft und Sexualität eine tiefere innere Wahrheit zuschreibt, nämlich den “unmittelbaren Austausch von Mensch zu Mensch” mit dem Anspruch auf ein Leben “ohne Verstellung” (217, 218). In dieser Echtheit unterscheidet sich der ganz normale Alltag von derjenigen Existenzform, die sich einerseits im Westen, andererseits am Gesellschaftsrand der DDR als Imitation eines westlichen Lifestyle entwickelte.[9] Zweifellos steht hinter dieser kontrastiven Gedankenführung ex negativo das Bild einer alternativen und bewußt unkonventionellen Lebenspraxis, einer Bohème, wie sie sich seit Ende der siebziger Jahre in Dresden, Leipzig, Berlin unter den wachsamen Augen des Staates und seines Sicherheitsdienstes entfaltete.[10] Englers Ästhetisierung des “normalen Lebens” verrät mithin, daß es über die Beschreibung einer Mentalität hinaus unterschwellig um eine polemische Auseinandersetzung mit diesen Szenen geht, die im Westen gegenüber dem grauen DDR-Alltag als “originell” und “innovativ” herausgestellt wurden. Nicht diejenige Existenzform, die sich als innerstädtische “Bohème” in bewußter Distanz und zu den Massen hielt oder als “Avantgarde” im Sinne Peter Bürgers die Verschmelzung von Kunst und Lebenspraxis anstrebte, gilt als typisch für “die Ostdeutschen.”[11] Neu und aufregend sind nach Ansicht des Soziologen vielmehr die historisch sedimentierten Verhaltensmuster des arbeiterlichen Menschen im Alltag. In einem Kommentar zu den Arbeiterporträts des Fotografen Stefan Moses kann sich Engler nicht der Faszination am “Glückskind der Geschichte” (205) entziehen, indem er das Selbstbewußtsein der Werktätigen herausstreicht, das von der Kamera 1989 zum letzten Mal eingefangen wurde: “Noch der Hilfsarbeiter posiert vor der Kamera wie ein ungekrönter Herrscher im eigenen Revier. ... So werden einfache Arbeiter nie wieder blicken” (208).

Die hier vorgetragene Kritik an den ästhetischen Denkmustern, die in die soziologische Analyse insgeheim eine zweite Ebene einzieht, soll nicht den Blick auf die produktiven Elemente dieser Mentalitätsgeschichte verdecken. Englers Studie schärft nämlich den Blick für eine Alltagskultur, welche vor allem die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung der DDR auszeichnet. Hier liegt noch ein weites Feld für die kulturgeschichtliche Analyse bereit. Die Indifferenz der “Hineingeborenen” zum Milieu der Werktätigen liegt nicht zuletzt daran, daß sie, die “Hilfsarbeiter, Museums- oder Friedhofswärter, Filmvorführer oder Heizer” (329) kaum die soziale Perspektive der “‘gesetzestreuen’ Bürger” (165) zu teilen vermochten. Deren Alltagskultur ist in der Tat noch eine Grauzone für die Kulturwissenschaftler. Nun liegt aber der Reiz der Engler’schen Thesen gerade für eine nichtwissenschaftliche Leserschaft sicherlich in der Konstruktion einer homogenen Mentalität, die von “Gleichheit, Unabhängigkeit und Sicherheit” (298) gespeist wurde, aber “arm an politischer Phantasie” blieb (299). Eine publikumswirksame These wie die von der Originalität der alltäglichen Lebensform wirkt nicht nur entlastend, was die Frage nach dem Mangel an politischem Widerstandswillen und “das Phantom der DDR-Opposition” (Uwe Kolbe)[12] betrifft; sie gibt mit großer Suggestivität den “ganz normalen” Bürgern wieder die Dignität zurück, die ihnen in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit, der Aufdeckung von Denunzianten und der plötzlichen Entwertung eines vertrauten Symbolrepertoires zu verschwinden droht. Darüber hinaus verleiht Engler dem konsumfreien Alltag in der DDR den Zauber, den das normale Leben zu seiner Bewahrung im kollektiven Gedächtnis der Normalbürger anscheinend bedarf. In Anbetracht einer “Abwesenheit der Sexindustrie” und dem Prinzip der Gleichheit konnte man sich nur auf Liebe berufen: “Man heiratete oder zog zusammen, weil man sich liebte, und ging auseinander, weil man sich nicht mehr liebte” (270, 258). Ungeklärt bleibt bei dieser panoramatischen Betrachtung der Mehrheit und des “privaten Glücks” in ihrer Mitte, ob Engler die auf politische Veränderung bedachten Kreise und die an künstlerischem Selbstausdruck interessierten Gruppen als Teil der breiten Masse verstehen will oder ob er nurmehr sie als eine obskure Minderheit betrachtet, die sich der “Nachahmung westlicher Verhaltensformen” hingibt und deswegen nicht als repräsentativ für die ostdeutsche Mentalität erachtet werden kann. Diese Unklarheit hat beträchtliche Konsequenzen für die Deutung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR. Englers Studie unterliegt der Versuchung, die ostdeutsche Alltagskultur nach ästhetischen Kriterien wie “innovativ” oder “originell” zu bemessen. Die auf diese Weise herausgestellte Experimentierfreude des Normalbürgers, die sich offenbar sowohl vom westlichen Lebensstil als auch von der unorthodoxen Alltagspraxis der Kunstschaffenden abheben soll, ist aber in Englers Studie auf markante Weise von allen politischen Konnotationen befreit.[13] Die Fixierung auf eine typisch ostdeutsche Mentalität, insbesondere im Bereich der Ehe und der Partnerschaft, die mehr als im Westen auf ”wechselseitiger Zuneigung” und Echtheit der Gefühle beruhen soll (258), stilisiert Konflikte zu einem “Geschlechterkampf” (219), ohne auf die Stereotypie der Geschlechterrollen, die latente Homophobie und den höchst problematischen“Mythos der Emanzipation” einzugehen.[14] Vor allem fehlt die Frage nach dem Protestpotential unter Normalbürgern und minoritären Gruppen, die sich in den achtziger Jahren im Gegensatz zu entsprechenden Zirkeln in Polen oder der Tschechoslowakei nur ganz vereinzelt zu Solidargemeinschaften mit politischen Anspruch formierten. Bezeichnenderweise findet Wolfgang Englers Interesse an der “arbeiterlichen Gesellschaft” ihr spiegelverkehrtes Gegenbild im Bereich der Literatur, denn vielfach zeichnet sich in den im letzten Jahrzent der DDR erscheinenden Werken eine deutliche Abkehr vom Milieu der Arbeiter ab. Gerade im Bereich eines sprachsensitiven Mediums wie der Lyrik ist die Distanz zwischen Autor und Normalbürger, zwischen Ich und Masse, besonders deutlich zu spüren. Zum einen reagiert das Gedicht seismographisch auf die wachsende Monotonie des Alltags unter den Vorzeichen des politischen status quo im Honecker-Regime; zum anderen macht sich in den achtziger Jahren ein Form- und Sprachbewußtsein bemerkbar, welches das Wörtliche mit dem Bildlichen, das Künstliche mit dem Natürlichen, das Technische mit dem Organischen kollidieren läßt und dadurch oft hybride und anti-traditionelle Gebilde hervorbringt, die an ein partikulares Publikum, nicht an “die arbeiterliche Gesellschaft” addressiert sind. Thematisch umfassen die Gedichte der späten siebziger Jahre eher den Bereich des Persönlichen, Körperlichen, Materiellen als die Sphäre des Öffentlichen, der Gesellschaft und der Arbeit. Sieht man einmal vom Werk Volker Brauns oder Heiner Müllers ab, so ist der historische Rahmen zerbrochen und die utopischen Entwürfe haben katastrophischen Visionen Platz gemacht. Statt des großen zeitlichen Bogens entwirft diese Lyrik ein topographisches und biographisches Sprachfeld, worin Geschichte zu einem “HEUTMORGESTERN” (Stefan Döring) zugesammenschrumpft ist.

Im Übergang von den achtziger zu den neunziger Jahren bleibt diese Aufmerksamkeit für das vereinzelte Ich im Alltag und die Resistenz gegen monumentale gesellschaftliche Entwürfe erhalten. Wie aber bestimmt das im Gedicht artikulierte Subjekt seine Position angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen nach 1989? Es wird nicht überraschen, daß das Thema des Werktags und der Arbeiter, wie sie früher von Ralph Grüneberger oder Wilhelm Bartsch vertreten wurden, in den neunziger Jahren als obsolet erscheinen müssen, zumal im gesamtdeutschen Kontext ohnehin eine “Individualisierung sozialer Klassen” unter den Vorzeichen der Massenarbeitslosigkeit und zunehmenden Vereinzelung des Arbeitslosenschicksals zu beobachten ist, wie der Münchner Soziologe Ulrich Beck herausstellt.[15] Wenn der Blick der zeitgenössischen Lyriker auf den Typus des Normalbürgers der DDR fällt, so ist es der kalte, wissenschaftliche Blick auf den Status des Subjekts als abgerichtetes Tier, als Pawlowscher Hund, wie er in der Dichtung Durs Grünbeins porträtiert wird. Mit diesem Wesen verbinden sich keine utopischen Perspektiven. Wie Grünbeins Band Schädelbasislektion (1991) dokumentiert, hat die Vereinigung beider deutscher Staaten einerseits die Frage nach der Zugehörigkeit des Ich zur Masse intensiviert, andererseits das Problem der “ostdeutschen” Identität aufgeworfen. Der Dresdner Lyriker hat dafür ein anthropologisches Denkmodell entwickelt, das Ost und West als Systeme mit verschiedenen Raum-Zeit-Begriffen und Vorstellungen vom Ich charakterisiert; eine spezifisch ostdeutsche Identität ist in den Gedichten indessen nicht als Identifikation mit einem kollektiven Subjekt erkennbar. Stattdessen wird sie rein individualistisch als erinnertes Ich der Kindheit rekonstruiert und unsentimental in einer spezifischen Region, dem Raum um Dresden, verankert. Unmittelbar nach 1989 beschäftigt eine Reihe von Lyrikern das Problem der (Re)Konstruktion einer Identität, die zwar durch erinnerte Wünsche und Ängste persönlich beglaubigt scheint, andererseits aber mit dem Dilemma der nationalen Identität verquickt ist. So ist die erste Hälfte der neunziger Jahre deutlich von Gedichtbänden ostdeutscher Autoren bestimmt, die sich ganz explizit mit der deutsch-deutschen Thematik auseinandersetzen, darunter Barbara Köhler Deutsches Roulette (1991), Kathrin Schmidts Flußbild mit Engel (1995) oder Michael Wüstefelds Deutsche Anatomie (1996). Bemerkenswert ist an diesen Bänden die Distanz zum “Volk” und dem Arbeitsalltag. Stattdessen finden wir häufig die Beschäftigung mit dem eigenen Selbst, und zwar zunehmend als Problematisierung der personalen und nationalen Identität in einer fremd gewordenen Umgebung. Diese Disposition verdankt sich einer langzeitigen Entwicklung, wie Peter Böthig unterstreicht: “Das Kollektivsubjekt Gesellschaft war, als die Autoren in den späten siebziger Jahren zu schreiben begannen, bereits historisch in der Agonie und hatte als solches verspielt,” und folglich ist das Ich von den Verhältnissen auf eine Weise affiziert, daß es sich nur als fragmentiert erleben kann (71). Noch in den Gedichten, die in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts erschienen sind, ist eine bohrende Ungewißheit zu verspüren, was oder wer denn dieses poetisch gesetzte Ich überhaupt sein könnte. Tom Pohlmann schreibt in seinem Debütband Solo Bei Volxmond (1996) im unkonventionellen Schriftbild von der Hoffnung auf eine eigene Lebensgeschichte: “Meine Biographie//Schlägt Mir Vor\\ Es Nicht Mehr//Länger\\Zu Versuchen Mit Einer Arbeit//Meine Biographie ... Die Nicht Ich Ist\\...”[16] Pohlmanns Haltung zum “Volk” wird ironisch im langen Titelgedicht des Bandes formuliert, welches ein allegorisches Bild für eine von der zitrusgelben Scheibe des Mondes berauschte Bevölkerung entwirft, die sich in Gestalt einer Betrunkenen vor einer Kneipe wohl einerseits einen Strand unter dem Pflaster wünscht, sich aber andererseits an einen Tisch mit der Bundesrepublik setzte. Doch die Betrunkene muß entdecken, daß sich dieser Tisch insgeheim in ein trojanisches Pferd verwandelte: “Danach Sind Sie Beide Die Hälfte/Von Sich & Die Hälfte Des Anderen” (71). Pohlmanns Gedichte deuten auf Enttäuschung, aber auch auf die überlegene Distanzierung des Ich von einem “Volx,” das Individualität nur als Variable X zu kennen scheint und seine Autonomie über Bord wirft. Aus der Hoffnung auf einen revolutionären Sonnenaufgang wird ein Mondaufgang mit dem Versprechen auf Zitrusfrüchte. Ähnlich evoziert Micha Schmidt die Desillusionierung nach1989: “also wenden wir uns ab von trunknen uferträumen/und in der morgenhelle zerbrech ich endgültig/die windrose weil ich mich nicht treiben lassen will/bis unser vollmundiger lustmond nur noch in mir/scheint doch jeder ort schon mit erinnerungen verhangen.”[17] Auch nachdem viele Autoren der ehemaligen DDR längere Auslandsaufenthalte und Reisen hinter sich gebracht haben, herrscht Unsicherheit über die eigene Stimme. Emblematisch faßt ein Gedicht aus Durs Grünbeins Schädelbasislektion (1991) diese Haltung zusammen. So heißt es in “Begegnen ... dem Tag”: “Im Telefonnetz zappelnd, in den gelben Zellen nachts/Kopfunter aufgehängt, mein Echolot ‘Ich bins’/Bin ichs’” (50). Das Ich ist in der Tat ein Anderer, und es tritt uns in zahlreichen ostdeutschen Gedichten der neunziger Jahre als anonyme Stimme entgegen, beispielsweise im Signal des Echolots, wie bei Grünbein; als Vox humana im Radio wie bei Micha Schmidt: “meine sätze beginnen am abend/auf den autobahnen mit der stimme ausm äther” (7); oder als grammatische Rest-Identität in den verhedderten Rondo- oder Sonett-Formen Barbara Köhlers: “ich nenne mich du ... /...der Übergang/ eine offene Wunde du nennst mich / ich wer von uns sagt/ hier hast du ein Messer/ mach meinen Schnitt.”[18]

Die skeptische Selbstbefragung des Ich tritt besonders augenfällig in denjenigen Gedichten hervor, welche direkt oder indirekt auf die Erfahrung von ostdeutschen Lyrikern bei Reisen ins Ausland zurückzuführen sind. In diesem thematischen Umfeld wird die personale und nationale Identität als besonders problematisch erlebt, und zwar im Sinne der Identifizierung des Ich mit sich selbst, sowohl als neuer Staatsbürger der Bundesrepublik als auch im Sinne der Begegnung mit einer Fremdsprache in einer fremden Umgebung. Ein erstes Beispiel für diese Erfahrung des Ich als Fremdes liefert Uwe Kolbes Gedichtband Nicht wirklich platonisch (1994),[19] worin sich an den einzelnen Titeln nicht nur eine räumliche Verschiebung des Standorts des Sprechers von Berlin nach Rom, sondern auch eine intensivere Art der Selbstbefragung in einem ungewohnten topographischen Kontext verfolgen läßt. In der Stadt am Tiber befällt das Ich ein Befremden über die “Klinge im Hals”, den “röchelnde(n) Schlund,” über “Vinetas Idiom aus der Tiefe” (Kolbe 14, 97). Vineta, die versunkene Stadt in der Ostsee, ist für Kolbe das gefühlsbesetzte poetische Bild einer vergangenen Epoche, das Leben im Bezirk Prenzlauer Berg. In Rom angekommen, unter Agaven und römischen Katzen umherschlendernd, spürt das poetische Subjekt in sich ein Schweigen, eine beklemmende “Krötenstille,” die aus der Konfrontation mit dem fremdgewordenen Ich resultiert, das sich anfangs noch neugeboren wähnte, jedoch, wie es am Ende des Bandes heißt, paradoxerweise “ortlos, angekommen” ist. Uwe Kolbes Gedicht “Alleinsein” formuliert die Befremdung des Ich angesichts des Auf-sich-gestellt-seins noch deutlicher: “Allein sein und deutsch sein / in Rom, ein Krieg in dir selbst./Schleppst eines der Beine nach,/nichts, niemand hilft gegen den Krampf./ Das heißt gesund zu werden./Hier bist du wirklich so deutsch/allein wie sonst nicht in Städten” (26). Die neue Umgebung Rom bringt schlagartig die Distanz des Ich zur vertrauten Sprache zum Bewußtsein. Zugleich befallen den Städtebesucher Assoziationen an die Kämpfe um die italienische Hauptstadt, die eine innere Auseinandersetzung mit den Bildern von der Vergangenheit auslöst und die Isolation eines Ich enthüllen, das sich wie ein Veteran sogleich in die Kriegswirren geworfen sieht und sich, anders als ein Westreisender, nicht spontan in die Tradition des Italien-Tourismus zu stellen vermag.

Das in Nicht wirklich platonisch präsentierte Ich kann weder in den direkten Dialog mit der Umgebung, noch mit sich selbst treten. Es erlebt Rom als eine stumme Bilderwelt. An einer Stelle des Gedichtbandes wird das Schweigen mit dem Bild einer Trennung von der Geliebten verbunden:

Das Schweigen auf meinem Rücken
Gezähmt vom noch folgenden Tag.
Wer hört noch: ungedrechselte Qual
hinaus zum jähen Lachen.
Lieb mich, doch folge mir nicht
--das war wirklich stark.
Darüber von Anfang das Schweigen.
Ach wenn ich mich umdrehen könnte. (Kolbe 32)

Die deutlichen Anklänge an Goethes fünfte Elegie werden in “ungedrechselte,” fast flapsige Worte übersetzt, die einer verlorenen Liebe gelten. Die umgangsprachlichen Wendungen ziehen einen Schutzkreis um ein männliches Ich, welches das anhaltende Schweigen aufbrechen und sich nicht in Trauer ergehen will. Der Ton des Gedichts, metrisch zwischen Jamben und Daktylen wechselnd, ist durchaus tragikomisch: das Gebot “Lieb mich, doch folge mir nicht” wird in seiner widersprüchlichen Botschaft transparent gemacht. Es ist aber nicht einmal sicher, ob das Ich den Schmerz des Abschieds noch deutlich spürt. So bleibt fraglich, ob die Qual noch vernehmbar ist und ob das Ereignis der Trennung nicht schon längst der Vergangenheit angehört. Somit erscheint der elegische Gestus des monologischen “Ach wenn ich mich umdrehen könnte” relativiert und der Schmerz “gezähmt.” Das Spiel mit der Tradition des Abschiedsgedichts ist ein weiteres Mittel zur Distanzierung vom emotionalen Geschehen. Das Motiv des Umdrehens zur Geliebten verweist auf Orpheus, den mythischen Sänger, der hier dem Gebot folgt, dem weiblichen Blick nur den Rücken zu zeigen. Doch bedrohlicher als dieser Blick ist das Schweigen, das sich nicht mehr oder noch nicht im “jähen Lachen” auflösen kann. So scheint der Schutzpanzer des sich hier aussprechenden männlichen Subjekts zwar Risse zu zeigen, doch das Ich hat das Schweigen schon akzeptiert und kann für sich die Lehre aus Rainer Maria Rilkes dreizehntem Sonett an Orpheus in Anspruch nehmen: “Sei allem Abschied voran/als wär er hinter dir”.

In Uwe Kolbes Anspielung auf die mythische Gestalt des Orpheus verbirgt sich eine bemerkenswerte Abkehr von einem Bild, das Uwe Kolbe, neben anderen Autoren, zu DDR-Zeiten verwendet hatte, das Bild des Sisyphos. Diese Abkehr scheint symptomatisch für eine auch andernorts zu verfolgende Tendenz, denn auch Kurt Drawert, in seinem in den neunziger Jahren veröffentlichten Gedicht “Sisyphos” aus Wo es war(1996), signalisiert schon in den ersten Zeilen eine deutliche Distanzierung von dem mythischen Bild des steinerollenden Helden, das einst als Verständigungsmetapher einer Generation von DDR-Autoren fungierte, die den politischen status quo der achtziger Jahre erleben mußten: “Das waren noch Zeiten,/als es einen Gegenstand gab,/den es zu bewegen galt.”[20] Drawert und Kolbe registrieren die Vergeblichkeit des Unterfangens, in ihrer Generation eine gesellschaftliche Veränderung zu erreichen. Kolbes motivische Verschiebung vom Sisyphos zu Orpheus ist insofern aufschlußreich, als Orpheus nicht mehr auf den Komplex Arbeit verweist, schon gar nicht auf eine Solidarisierung mit einem kollektiven Subjekt, das das Selbstvertrauen einer “arbeiterlichen Gesellschaft” verbürgt. Die Mühen am Hang des Berges sind hoffnungslos, und das Ich der Gedichte kann sich nur noch auf den Partner beziehen. Der sich wiederholende Verweis auf den mythischen Sänger dürfte eine grundsätzliche Umorientierung um die Mitte des Jahrzehnts anzuzeigen, nämlich eine Ausrichtung am Schönen im Alltag. Diese motivische Neuorientierung geht über eine ästhetische Verankerung in lyrischen Traditionen hinaus; denn das Orpheus-Motiv dramatisiert die Bedeutung der Partnerschaft und verdichtet die Suche nach einer emotionalen Stabilisierung des unsicheren Ich. Mehr noch, die neue Motivik artikuliert in ihrer unverkennbaren Abkehr von der Ästhetik der Häßlichkeit, der sprichwörtlichen “Grauzone,” das dringende Bedürfnis nach Normalität im Alltag. Es ist symptomatisch für die in den neunziger Jahren erscheinenden Lyrikbände ostdeutscher Autoren, daß dieses Bemühen um Stabilität des zwischen personaler und nationaler Identität gespaltenen Subjekts im Ausland immer wieder auf die Abnormalität der deutschen Geschichte stößt, auf den “Krieg in dir selbst,” von dem Uwe Kolbe in dem Gedicht “Alleinsein” spricht.” Micha Schmidts “letztes See-Sonett” formuliert die poetische Einsicht in das Zurückgeworfensein auf das Ich trotz der neugewonnenen Bewegungsmöglichkeiten: “belastet mit anderen bildern egal mit wem/ich kommen werde ich war schon immer dort/und bin wieder am anfang aller reisen aller fluchten,” so schließt das Gedicht (29).

Die Problematik der bedrängenden Bilder ist am Beispiel eines Gedichtbands zu erläutern, der das Debüt des Leipziger Lyriker Christian Lehnert (geb. 1969) darstellt. Diese Veröffentlichung, Der gefesselte Sänger (1997),[21] scheint die bei Kolbe vorfindliche Akzenteverschiebung zum Schönen im Alltag zu bestätigen. Interessanterweise aber geht Lehnert sehr viel weniger auf den durch den Titel des Bandes gesetzten Erwartungshorizont ein. Nicht Nachklänge von Rilkes Sonette an Orpheus sind in diesen Gedichten zu finden, sondern melancholische Betrachtungen eines ruhelos Umherstreifenden, der uns auf Rügen und in Dresden, in Leipzig, Israel, Jordanien und im jüdischen Viertel von Krakau begegnet. Vereinzelt sind Spuren des Titelmotivs zu finden, nämlich in Zeilen wie “es ist am rande eine berührung / in der du mir fehlst” (58) oder “zu wissen dahin geht eine strecke / solange man den kopf nicht dreht” (48) oder “vergeblich immer wieder / kehrtest du um / und ich fände / nie zu etwas zurück” (46). Dennoch sperren sich die Texte gegen ein poetisches Idiom, das sich, wie bei dem österreichischen Autor Raoul Schrott, der rein bildungsbeflissenen Beschäftigung mit Schönheit und antiken Formen verdankt. Lehnert geht es vielmehr um den Zusammenhang von Trauma und Erinnerung, um Wiederentdeckung und Vergessen. Das Gedicht “In amman”, das gleich zu Beginn die Frage stellt, “ob das vergangene / mit dem leben endet,” entwirft ein Bild von glühendem Asphalt und Palmen, ein Bild von der Ferne, das ebensosehr zu flimmern beginnt wie die heiße Luft. Die Zeit scheint im Nahen Osten stillzustehen: es heißt, “bei rot / an der kreuzung stünden löchrige modelle / von mercedes seit dreiundvierzig”, was für das beobachtende und reflektierende poetische Subjekt einen “kurzschluß in der zeit” bedeutet. Mutmaßlich stammt die Frage von einem Bettler, denn dieser singt “im süßlichen geruch ranzigen / öls neben mir kehlige / sequenzen german / und immer wieder /german nazi?” Das Ineinandergleiten und Verschleifen von Satzteilen gleicht der Überlappung von Zeitzonen, es hebt aber auch die ganz konkrete Sinnlichkeit der Impressionen in der Durchmischung der Düfte hervor. Die bohrenden Fragen des Gegenübers bleiben als Gesprächsfetzen im Gedächtnis des Ich hängen, “woher man ungerührt / die leere annähme.sie für die härte / einer mark gleich wem und wessen / übelkeit von wasserpfeifenrauch und arrak”, so fügen sich die Erinnerungen in sperrigen Sätzen zusammen, um mit der Feststellung zu schließen, daß die Impression “ohne jede spur ohne / jede erinnerung verlosch” (60).

Wie bei Uwe Kolbe, der seinem Gedichtband Nicht nur platonisch die Erfahrungen bei einem Aufenthalt in Rom zugrundelegt, finden wir bei Christian Lehnert den Versuch einer Bestimmung des Ich als Fremdes in der Fremde. Die Konfrontation mit einer gesamtdeutschen Identität ist zugleich Last und Lust, da zur Entdeckung des Anderen die Wiederkehr des Vergangenen stößt. Das Orpheus-Motiv in diesen poetischen Texten zeigt sowohl die Entfernung vom Reich der Schatten als auch die Isolierung des Ich an. Die Vereinzelung des Subjekts--wir finden sie noch extremer bei Autoren wie Oliver Mertins, in seinen hymnischen Bildern, die sich stark an Hölderlin anlehnen, oder in den verschrobenen Bildfügungen Ulrich Ziegers --, dieses vereinzelte, gar verzweifelte Ich findet keinen Trost in der Menge. Das Subjekt ist bei seinen Streifzügen völlig auf sich selbst geworfen und seinen Ängsten ausgesetzt. Entsprechend heißt es bei Lehnert: “träume die mich verfolgen, was wollt ihr?”, in dem Gedicht “der gefesselte sänger 2" (83). Wie die verschwimmenden Bilder des Gedichts “in amman” anzeigen, kann man sich der Träume und der visuellen Eindrücke niemals gewiß sein. Diese Skepsis betrifft vor allem die Leistung des Gedächtnisses. An einer bezeichnenden Stelle, als ein altarabischer Mythos zitiert wird, heißt es unvermittelt: “nein, falsch erinnert: ...” (81). Die Ungewißtheit rührt daher, dass sich die Erinnerungsbilder auf fatale Weise mit den Medienbildern überdecken. Film und Foto rufen Bilder aus der deutschen Geschichte wach, ja sie dringen in das Bewußtsein ein, bis das Reale mit dem Imaginären verschwimmt und einen labyrintischen Empfindungskomplex bildet.

So kommen in einer Folterszene “jene vergangenen schreie [hinter gepolsterten türen]” möglicherweise “gepreßt, aus einem anderen mund” (“selbstgespräch” 13). Das Subjekt wird gleich darauf ein “fragender, / der sich nicht mehr kennt, der / sucht, schlägt, den schreien lauscht”(14). Während in einem anderen Gedicht Erinnerungen an die Militärzeit bei der NVA wachgerufen werden (22), drängen sich dem Subjekt Assoziationen auf wie “im waggon // war ich die addition ohne summe der vielen,”-- ein ausgesprochen penetrantes Bild für die Ermordeten der Shoah. Die Rückbezüge auf die bedeutendste Stimme einer Lyrik nach Auschwitz sind deutlich genug; der zweite Teil des Bandes hat den Titel “schotter und schwellen,” ein unübersehbarer Verweis auf Paul Celans Dichtung. Offenbar führt die Bestimmung der existentiellen Ängste zu einer falschen Erinnerung, die das Ich in der Vision von einem Kollektiv von Opfern auflöst und eine simulierte Vergangenheit erzeugt. Folglich gehört das “gefälle der angst” (23) zu einem “fremden, viel zu allgemeinen schrei, der in mir haust” (17). Die Auseinandersetzung mit dem Genozid erhellt die Schwierigkeit zeitgenössischer, nicht nur ostdeutscher Lyriker, die affektive Besetzung von Erinnerungsbildern auf eine konkrete Realität zurückzubeziehen, da sich in der Vorstellung von der Vergangenheit die visionären Bilder mit den Bildern einer historisch verbürgten Realität durchdringen.[22] Das Bewußtsein des empfindsamen lyrischen Ich ist von diesen “Doppelbelichtungen” (Thomas Kling) besetzt. Wie Lehnerts Gedichte zeigen, hat sich das reisende Ich mit stereotypischen Vorstellungen vom Ansehen der harten deutschen Währung und dem Makel der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Reise in den Nahen Osten beinhaltet die Aufgabe, sich mit einer gesamtdeutschen Identität auseinanderzusetzen, die unablöslich an die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gebunden bleibt. Doch auch persönlich kann sich das lyrische Ich nicht einmal mehr der eigenen Vergangenheit versichern, ohne mit den Erinnerungsbildern der Fotos, Dias und Akten konfrontiert zu werden, die sich auf unheimliche Weise mit den Alpträumen der Kindheit oder Armeezeit durchdringen.

Wie wir gesehen haben, bringt das im Gedicht hervortretende Subjekt vor allem seine Selbstzweifel angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen nach 1989 zum Ausdruck, das heißt, es existiert weder eine nostalgische Erinnerung an die “guten Jahre” der DDR (Lutz Niethammer, zit.n. Engler 146), noch findet das Subjekt zu einer Verankerung in einer fremden Umgebung, wo sich das Ich positiv als anders erfahren könnte. Christian Lehnert oder auch Barbara Köhler und Uwe Kolbe stellen vielmehr die Selbstentfremdung im eigenen Körper, in der eigenen Muttersprache, dar, und sie können sich nicht mit einem kollektiven Subjekt oder einer spezifisch ostdeutschen Mentalität identifizieren. Es ist vor allem die Erfahrung einer neuen staatsbürgerlichen Identität, die das Ich auf die gesamtdeutsche Geschichte und die Erinnerungskultur der DDR zurückwirft und die Selbstverständigung auf ein Du beziehen muß, um die innere Stille und das Gefühl des Irrealis zu kompensieren. So läßt sich die hohe Aufmerksamkeit der Autoren für die Durchdringung von Medienbildern und Erinnerungen erklären, die im poetischen Subjekt das ständige Gefühl der Fremdheit in der eigenen Haut hinterläßt.

So verschiedenartig die Tonlagen der hier vorgestellten Gedichte der neunziger Jahre auch sein mögen, was sie vereint, ist die Loslösung von der vertrauten Topographie der DDR und eine Indifferenz gegenüber einer zerfallenden “arbeiterlichen” Sozialstruktur oder, in den Worten Ulrich Becks, gegenüber den wegschmelzenden “ständischen Subkulturen” (Beck 154). An deren Stelle ist nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten das Bild der Masse gerückt, d.h., in den Worten Durs Grünbeins: “Die Masse der Ostdeutschen, wie inhomogen sie zuvor auch gewesen sein mochte, über Nacht war sie formiert und damit sich selbst gegenübergestellt.”[23] Das Phantombild der “Ostdeutschen” wird in der Lyrik also nicht als feste Größe entworfen, die sich auf eine bestimmte Mentalität, z.B. das glücksverheißende Wechselspiel von Echtheit und “Nähe-Zumutungen” (Engler 230), festlegen ließe. Vielmehr spiegeln die Gedichte ostdeutscher Autoren die anhaltende “Privatisierung der Jungen,” die parallel zur Geschichte eines gescheiterten Reformsozialismus verlaufen ist, wie Engler die politische Fraktionierung seit den siebziger Jahren beschreibt (328). Für die in den neunziger Jahren Schreibenden existiert nämlich kein Datum, das mentalitätshistorisch einen hoffnungsvollen Einschnitt markierte.[24] Das Ich ist sich selbst gegenübergestellt, als unbestimmtes und anonymes Teilchen einer Masse, die kein revolutionäres Kollektiv, stattdessen lediglich eine Gemeinschaft Betroffener darstellt.[25] In der Lyrik der in der DDR geborenen Autoren setzen sich also die “Suchbewegungen” (Peter Geist) [26] des letzten Jahrzehnts fort. Wohl haben die Sehnsüchte nach einem Ortswechsel und nach Entgrenzung[27] zumindest geographisch ihre Erfüllung gefunden und der katastrophische Ton der frühen achtziger Jahre, der an Flucht-, Kreislauf- und Gewaltphantasien gebunden war, hat sich verflüchtigt. Doch das Subjekt der poetischen Rede bleibt ein problematisches, ein dissoziiertes Ich, das sich abseits der Menge bewegt und keinen überpersönlichen Sinnhorizont entwerfen kann. Was bedeutet diese Skepsis gegenüber dem Ich? Das in den Lyrikbänden von Kolbe und Lehnert umrissene Subjekt sucht nach einem Selbst, doch es begegnet sich in der Fremde nur als Fremdes; die geographische Bewegung ist zugleich die Umschreibung einer historischen Auslotung des Selbst, und zwar eines erinnerten und imaginierten Selbst in der Kindheit und in der deutschen Geschichte. Die Reise in eine fremdsprachige Umgebung führt also gerade nicht zu einer Bestätigung oder Ausbildung der “ostdeutschen Identität.” Die zeitweilige Entfernung von der Topographie der ehemaligen DDR bedingt vielmehr eine unerwartete und widersprüchliche Konfrontation des Ich mit einer staatsbürgerlichen Identität, die als abstrakte Größe keineswegs die singuläre biographische Erfahrung in Ostdeutschland umfängt; ebensowenig deckt sie eine Erinnerungskultur, die sowohl eine gemeinsame Geschichte vor dem Kriegsende wie eine getrennte Geschichte nach der Gründung beider deutschen Staaten betrifft. Angesichts dieser doppelten Erinnerungsarbeit zeigt das sprach- und subjektzentrierte Medium Gedicht, daß die Bestimmung dessen, was man als “ostdeutsche Identität“ beschreiben könnte, sich nur auf die Fremdheit dieses “Ich,” die inneren Risse und Brüche des Selbst, beziehen kann, nicht aber auf die Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft und deren wie immer gearteter Mentalität.




Anmerkungen


[1] Michael Braun und Hans Thill, Hrsg., Das verlorene Alphabet. Deutschsprachige Lyrik der neunziger Jahre (Heidelberg: Wunderhorn, 1998).

[2] Peter Geist, “Asphodelen im Kühlschrank. Poetische Urszene und Lyrik der Neunziger,” Neue Deutsche Literatur 3 (1999): 171.

[3] Ulrich Greiner, “Plädoyer für Schluß der Stasi-Debatte,” Die Zeit, 5.2.1993; Cf. Karl Dreiritz, “Zur Klärung eines Sachverhalts--Literatur und Staatssicherheit,” Verrat an der Kunst. Rückblicke auf die DDR-Literatur, Hrsg. Karl Dreiritz und Hannes Krauss (Berlin: Aufbau, 1993) 16; Jörg Magenau, “Strukturelle Befangenheiten. Die Intellektuellen-Debatte,”Verrat an der Kunst 57; Stephen Brockman, “German Literary Debates After the Collapse,” German Life and Letters, 47.2 (1994): 201.

[4] Cf. Matthias Politycki, “Die 78er und der Untergang des Hauses Usher,” Die Farbe der Vokale. Von der Literatur, den 78ern und dem Gequake satter Frösche (München: Luchterhand, 1998) 52.

[5] Klaus Michael und Thomas Wohlfahrt, Hrsg., Vogel oder Käfig sein. Kunst und Literatur aus unabhängigen Zeitschriften in der DDR 1979-1989 (Berlin: Galrev, 1992).

[6] Michael Thulin [= Klaus Michael], “Sprache und Sprachkritik. Die Literatur des Prenzlauer Bergs in Berlin/ DDR,” Die andere Sprache. Neue DDR Literatur der 80er Jahre, Hrsg. Heinz Ludwig Arnold mit Gerhard Wolf (München: text + kritik, 1990) 242.--Siehe auch Peter Geist, “‘Die Schatten werfen ihre Ereignisse voraus.’ Eine Rücksicht, “ Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante. Lyrik der siebziger/achtziger Jahre von Dichtern aus der DDR, Hrsg. Peter Geist (Leipzig: Reclam, 1991) 393-4.

[7] Günter Kunert, “Homunculus kehrt zurück. Das Rätsel der DDR Identität,” Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.12.1991. Siehe Günter Erbe, “Die ostdeutschen Schriftsteller,” Changing Identities in East Germany, Hrsg. Margy Gerber und Roger Woods (Lanham: University Press of America, 1996) 59.

[8] Wolfgang Engler, Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land (Berlin: Aufbau, 1999)197-199.--Vergleichbare Betrachtungen über eine kollektive Disposition sind bisher vornehmlich aus psychologischer Sicht angestellt worden, z.B. Hans-Joachim Maaz’ bekannte Diagnose Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR (1990) oder Tilman Mosers Aufsätze in Besuche bei Brüdern und Schwestern (1992) ohne die historische Herleitung und schichtorientierte Analyse, wie sie Engler vorträgt.

[9] Birgit Dahlke und Peter Böthig sprechen bezüglich der nichtoffiziellen Kulturformen der DDR von einer “Gegenöffentlichkeit.” Siehe Dahlke, Papierboot. Autorinnen aus der DDR--inoffiziell publiziert (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1997)22; Böthig, Grammatik einer Landschaft. Literatur aus der DDR in den 80er Jahren (Berlin: Lukas, 1997) 15.

[10] Zum Begriff einer Bohème im Zusammenhang mit städtischen Subkulturen in “Nischen- und Insellagen” siehe Paul Kaiser und Claudia Petzold, Boheme und Diktatur in der DDR (Berlin: Fannei & Walz/Deutsches Historisches Museum, 1997) 18.--Gegen den Begriff der Nischengesellschaft wendet sich Engler, mit der Begründung, daß die Ostdeutschen “ihre Privatsphäre sorgsam bewachten, aber nie gänzlich gegen die Außenwelt abdichteten,” so daß die privaten Bezirke ”ans große Ganze angeschlossen blieben” (168). Das Prinzip der Egalität wird für den Soziologen zum ästhetischen Hauptcharakteristikum: “Die DDR besaß kaum Nischen, weil die Gesellschaft der Gleichen Nischen nicht goutierte” (168; Hervorheb.EG). Engler sieht die ostdeutsche Gesellschaft als nahezu homogenes Gebilde: “Wo die Mitte der Gesellschaft fast den gesamten sozialen Raum in Anspruch nimmt, nur kleine Ränder übrigläßt, ist auch nur wenig Raum für Eskapaden” (268), so daß die “Menschen aus der Mitte der Gesellschaft” zum “Kreis der Neuerer” werden (261).--Im Gegensatz zu Engler geht Böthig von einer vitalen Gegenkultur aus, die sich anfangs noch durch das “Pathos der Avantgarde” auszeichne, aber Mitte der achtziger Jahre durch eine “Bohème-Haltung” ersetzt werde (15, 146). Anstatt ein rein “privates Glück” im System verordneter Gleichheit zu betonen, wie dies Engler tut (171), unterstreicht Böthig die kollektive Distanz der Oppositionellen zum Sozialismus und deren Nähe zur Friedens- und Bürgerbewegung. Der anti-sozialistische “Rückzug aufs Subjekt” ist für Böthig eine verständliche Folge der Biermann-Ausweisung (143-4), während er für Engler eine am Westen orientierte Privatisierung anzeigt.

[11] Cf. Anneli Hartmann, “Schreiben in der Tradition der Avantgarde: neue Lyrik in der DDR,” DDR-Lyrik im Kontext, Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Bd.26, Hrsg. Christine Cosentino, Wolfgang Ertl und Gerd Labroisse (Amsterdam: Rodopi, 1988)--.Der Terminus technicus “Avantgarde” wird von Birgit Dahlke abgelehnt, doch die Spracharbeit der Autorinnen wird als “existentielles, nicht ‘bloß’ künstlerisches Anliegen” interpretiert, womit die Nähe zur Lebenspraxis im Sinne Peter Bürgers hergestellt wird (Papierboot 17,22). Bei Böthig wird der Terminus im Zusammenhang mit dem Geist der Revolte und mit den politischen Intentionen der Literaten verwendet (15, 85). Während die Lebenspraxis als “lustorientierte-anarchische Rebellion” (64), als Vielfalt von “kritisch aktive(n) Lebensformen” (76), betrachtet wird, scheint die Literatur trotz Leonhard Loreks “verbalem anarchismus” (192) insgesamt eher einer poststrukturalistischen Haltung oder einem “Post-Avantgarde-Konzept” zu entsprechen (Grammatik 18, 68, 71,146).

[12] Uwe Kolbe, “Die Heimat der Dissidenten. Anmerkungen zum Phantom der DDR-Opposition,” Renegatentermine. 30 Versuche, die eigene Erfahrung zu behaupten (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1998): “Im Gegensatz zur damaligen Lage in den sozialistischen Staaten Polen, CSSR, Ungarn, UdSSR gab es in der Deutschen Demokratischen Republik keine antisozialistische Opposition” (47).

[13] Die repressive Politik gegen Außenseiter wie z.B. Homosexuelle wird lediglich auf den Konformitätsdruck aufgrund des Gleichheitsprinzips zurückgeführt (300). Engler erwähnt die Verhaftungen der fünfziger Jahre nach Harichs Reformvorschlägen (93-98), bezieht aber die politische Desillusionierung und die Verhaftungen der achtziger Jahre auf den Mangel an “sozialer Integration” (329) und auf den “gesinnungsethischen Märtyrer” (337), um seine These von einer “Spaltung der dritten politischen Generation” zu untermauern (338).

[14] “Es blieb weitgehend Privatsache, und dort wiederum vorrangig des Mannes, inwiefern das Modell einer ‘gleichberechtigten’ Arbeitsteilung praktisch einzulösen versucht wurde” (Dahlke, Papierboot 53.--Der Ausdruck “Mythos der Emanzipation” geht auf Dorothea Dornhof zurück. Man vergleiche dazu Engler: “Frauen bildeten die emotional-praktische Avantgarde der DDR-Gesellschaft, in die Männer eigentlich nur kooptiert werden konnten” (231).

[15] Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1986) 131, 149.

[16] Tom Pohlmann, “Blue Box,” Solo Bei Volxmond (Hamburg: Rospo, 1996) 43.

[17] Micha Schmidt, “letztes See-Sonett,” Die Seehand (Berlin: Pegasus, 1994) 29.

[18] Barbara Köhler, “Gedicht,” Deutsches Roulette (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1991) 11.

[19]Uwe Kolbe, Nicht wirklich platonisch (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1994).

[20] Kurt Drawert, “Sisyphos,” Wo es war (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1996) 10.

[21] Christian Lehnert, Der gefesselte Sänger (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1997).

[22] Diese Projektionsleistung betrifft auch die eigene autobiographisch erlebte Kindheit. Für den sächsischen, in Frankreich lebenden Lyriker Ulrich Zieger kommen in der Erinnerung Kindheitsängste zum Vorschein, die Furcht von arbeitenden Zuchthäuslern, flüchtenden Frauen aus der Psychiatrie, wie ein Interview verrät, doch sie vermengen sich nicht mit den Medienbildern. Ulrich Zieger, “wie lange wie weiter,” Sprache & Antwort. Stimmen und Texte einer anderen Literatur aus der DDR, Hrsg. Egmont Hesse (Frankfurt/M.: Fischer, 1988)189.

[23] Durs Grünbein, “Wir Buschmänner,” Galilei vermißt Dantes Hölle und bleibt an den Maßen hängen. Aufsätze 1989-1995 (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1996) 206.

[24] Dieses Datum ist für Engler der Jahreswechsel 1961/62, der die Anzeichen einer neuen Reformpolitik setzt (104 126). Dagegen markieren 1956 und 1968 die Jahre des Scheiterns.

[25] Im Sinne einer Ablösung des Proletariats durch eine Gemeinschaft von Betroffenen in der Risikogesellschaft, wie sie Beck ins Auge faßt. Cf. Beck, Risikogesellschaft 65.

[26] Geist, “‘Die Schatten ...’” 378.

[27] Die zentrale Metapher geht auf Erich Arendt zurück. Cf. Böthig, Grammatik 66.


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