Vorwort der Herausgeber

Bei den vorliegenden elf Beiträgen handelt es sich um eine Auswahl überarbeiteter Vorträge, die auf dem “1. Carlisler Symposium für Moderne Deutsche Literatur” im Oktober 1999 von Literaturwissenschaftlern aus den USA, Deutschland und England gehalten wurden. Anlaß war der zehnte Jahrestag des Falls der Berliner Mauer.

Die überwiegende Mehrheit der Vorträge befaßte sich mit Autoren, die schon vor dem Untergang der DDR dort literarisch tätig waren. Daher war die explizite oder implizite Fragestellung der Beiträge häufig, wie es diesen Autoren im vereinigten Deutschland ergangen sei, ob und auf welche Weise sich ihre Umstellung auf neue Lebensverhältnisse auf ihre literarische Produktion niedergeschlagen habe.

Christine Cosentino geht zum Beispiel an Hand der Simple Storys von Ingo Schulze vorsichtig der Frage nach, ob die deutsche Literatur den Anschluß an die Weltliteratur gewänne. Barbara Mabee untersucht Elke Erbs politische und ästhetische Positionen im neuen Deutschland. Wolfgang Ertl untersucht in seinem Porträt des sächsischen Autors Thomas Rosenlöcher besonders dessen neueste essayistische Werke, die sich durch Zuwendung zum Regionalen und durch Humor im Umgang mit den Veränderungen in Deutschland auszeichnen. Auch Jill Twark beschäftigt sich mit Humor und Satire nach dem Fall der Mauer. Sie tut es an Hand der Biographien und der Werke von Matthias Wedel and Matthias Biskupek, die beide in der DDR aufgewachsen waren. Erk Grimms Beitrag zeichnet sehr nuanciert die Entwicklung der Lyrik in den letzten zehn Jahren nach, während Dennis Tate sich kritisch mit Corinos Buch Die Legenden des Stephan Hermlin auseinandersetzt, das er in den Zusammenhang des Literaturstreits der neunziger Jahre stellt. Auch Marion Hussongs Interpretation von Christa Wolfs Roman Medea, den sie auf der Folie Walter Benjamins betrachtet und konsequent als Rettungsversuch der historischen Medea-Figur durch die Autorin Wolf liest, verweist auf diesen für die intellektuellen Mißverständnisse der letzten Jahre so wichtigen Literaturstreit. Karl Heinz Schoeps befaßt sich mit dem Roman eines Autors, der zwar keine DDR Literatur geschrieben hat, aber doch auch aus der DDR kam, nämlich mit Hans Joachim Schädlichs Roman Tallhover, den er als den bedeutendsten Stasi-Roman deutscher Sprache liest. Richard Wagner — als der einzige literarische Autor unter den Vortragenden — skizziert die Entwicklung der Berliner Literatur in den letzten zehn Jahren, wobei er sowohl Autoren aus der DDR als auch die nachdrängenden Jüngeren aus der Berliner Szene berücksichtigt, für die die politischen Verhältnisse der letzten zehn Jahre eine Selbstverständlichkeit sind. Reinhard Zachau beschäftigt sich mit einem Autor, der den größten Teil seiner Schaffenszeit in der DDR verbrachte, dort zu Ehren und Schmähungen gekommen war und auch im hohen Alter noch einmal in die politische Arena stieg, mit Stefan Heym.

Obwohl der Titel, den die Herausgeber für dieses 1. Carlisler Symposium gewählt hatten, eine enge Verbindung von Politik und Literatur vorauszusetzen scheint, waren sie sich darüber im klaren, daß Literatur sich in anderen Dimension bewegt, sich eines feineren Sensoriums und eines völlig anderen Instrumentariums bedient als die Politik und die politischen Schriften des Tages. Wer die hier vorgestellte Literatur liest, wird allerdings feststellen, daß die Querverbindungen zwischen beiden Bereichen äußerst zahlreich sind.

Es sei darauf hingewiesen, daß die Herausgeber dieses Sonderheftes nicht unbedingt mit den vorgestellten Beiträgen oder miteinander übereinstimmten, wie auch die Tagungsteilnehmer häufig unterschiedlicher Meinung waren. Doch war das weder bei der Organisation des Symposiums noch bei der Herstellung dieses Sonderheftes ein Problem, ging es doch darum, Details zusammenzutragen, Bestandsaufnahme zu machen. Keiner der Beiträge erhebt den Anspruch, die literarische Entwicklung der letzten zehn Jahre insgesamt deuten zu wollen. Das muß späteren Zeiten vorbehalten bleiben. Angebote zur Diskussion sind die Beiträge allemal.


Christine Cosentino,Wolfgang Ertl, Wolfgang Müller
März, 2000