glossen: lyrik


Richard Wagner

Feld der Ereignisse

Wenn die Bauern übers Feld ziehen, bleibt kein Stein auf
dem anderen. Wolken werden von links nach rechts ge-
schoben, nach hinten, direkt über den fernen Wald. Sie

sind jetzt nicht zu gebrauchen. Wenn die Bauern über
das Feld ziehen, wird so richtig aufgeräumt mit der
trägen Natur, Herzchen. Über Nacht kriegt alles seine

vier Ecken und bringt seinen Nutzen, wie ich schon
sagte, da gibt es kein Erbarmen. Hart aber gerecht sind
die Bauern, im Vorbeigehen nicken wir ihnen zu.

Field of Events

When the farmers advance over the field, no stone remains upon
another. Clouds are pushed from left to right,
back, directly above the distant forest. They

are not of use now. When the farmers advance
over the field, inert nature, dear, is
properly cleared away. Over night everything gets its

four corners and generates a use value, as I already
said, there is no mercy. Harsh yet just are
the farmers; in passing, to them we nod.
(Transl. By Sarah Allen)


Windgedicht

Und die Schlaghosen kamen wieder
Und der Frühling hatte den dünnen
Boden der Geschichte

Das war letztes Jahr
Und es war ein gutes Jahr
Wir liefen durch Aluminium und Glas

Und hielten uns an den Händen
Als wir den Regenbogen sahen
Den Regenbogen über unserem nackten Leben

Wir gingen auf Friedhöfe
Um uns zu küssen Wie junge Leute
Gingen wir durch Feuer und Flamme

Durchs Gras
Um uns war ein Wirbel
Ein lautloser unerwarteter Wind

Wind poem

And the bell bottom pants came back
And spring was thinly grounded
on history

This was last year
And it was a good year
We walked through aluminum and glass

And held each other’s hands
When we saw the rainbow
The rainbow over our naked lives

We went to cemeteries
to kiss Like young people
We went through fire and flame

Through the grass
A whirlwind around us
A silent unexpected wind
(Transl. by Wolfgang Müller)


Früher

Früher, als ich noch
auf nackten Füßen
durch das Gras lief.
Früher, als das
Schreien der Gänse
vor dem Gewitter
noch nicht eine flüchtige
Erinnerung war.
Früher, als ich noch
die Sehnsucht hatte,
mich von mir zu entfernen.
Früher, als die
Dinge noch zugänglich waren,
für das Auge,
für die Hand.
Früher, als das Nichts
noch Namen hatte
und ich einen Dialekt sprach.
Früher kannte ich noch die Angst
jemanden zu verlieren.

Back then

Back then, when I still
ran through the grass
with naked feet.
Back then, when
the screeching of the geese
before the thunderstorm
was not a fleeting
memory.
Back then, when I was
filled with longing
to be different from how I was.
Back then, when
things where still accessible,
to the eye,
to the hand.
Back then, when nothingness
still had names
and I spoke in dialect.
Back then, I still knew the fear
of losing someone.
(Transl. By Wolfgang Müller)


Fahrkarten

Dieses Gedicht ist
ein Gedicht aus Paris.
Es nennt zwar nichts
Erkennbares in Paris,
keine Sehenswürdigkeit.
Es hat das Wort Paris
auch nicht im Titel.
Aber es ist ein Gedicht
aus Paris. Es spricht von
Fahrkarten, von U-Bahn-Fahrkarten,
die durch den Automaten
springen. Vom Automaten
in die Hand. In deine Hand, in meine.
Es handelt von unseren hüpfenden Augen
beim Durchschreiten
der Schranke.
Von unseren Augen, die sich treffen.
Über die Sperre hinweg.
Wer nicht in Paris war,
sollte dieses Gedicht
nicht lesen.

Train tickets

This poem is
a poem from Paris.
It does not mention anything
that is recognizably from Paris,
no sights.
And the word Paris
is not in its title.
But it is a poem
from Paris. It is about
tickets, about subway tickets
that pop out of the ticket dispenser
From the automatic dispenser
into the hand. Into your hand, into mine.
It is about our hopping eyes
as we go through the gate.
It is about our eyes that meet.
Across the gate.
Whoever has not been to Paris,
should not read
this poem.
(Transl. By Wolfgang Müller)


Die Gedichte erscheinen mit freundlicher Erlaubnis des Autors.

"Feld der Ereignisse", "Windgedicht" und "Fahrkarten" entstammen der Anthologie Mit Madonna in der Stadt (Book on demand, lyrikedition 2000, München 2000); "Früher" wurde dem Gedichtband Heiße Maroni (DVA, 1993) entnommen.