glossen: rezension


Bernd Wagner, Club Oblomow. Roman (Berlin: Ullstein Verlag, 1999), 190 Seiten.

Hatten Kritiker Bernd Wagners Roman Paradies (1997) noch als großen gesamtdeutschen Gegenwartsroman bzw. den ultimativen Ost-West-Begegnungsroman gepriesen, so fanden sie für das zwei Jahre später folgende Werk Club Oblomow wenig freundliche Worte. Generell fand der Roman in der Presse nicht das Echo, das er nach Meinung dieser Rezensentin hätte finden sollen. Das mag am prekären Thema liegen, das nicht nur in einem Autor selbst, sondern auch in seinen Kritikern Unbehagen und Ratlosigkeit auslösen kann, das man aber trotzdem ernst nehmen muß. Es geht in Bernd Wagners spritziger und flippiger Satire um die Frage, ob bzw. in welcher Weise man den Schriftsteller im Zeitalter medialer Informationsschwemme und elektronischer Reproduktion überhaupt noch ernst nehmen kann. Kein neues Thema, aber ein Thema, das immer gewichtiger wird.

Bereits im Roman Paradies streckte ein überfragter fiktiver Erzähler angesichts des überbordenden Informationskonvolutes, das seine Heldin ihm wortreich und ausschweifend aufs Tonband diktierte, ratlos die Waffen. Er versagt vor der Aufgabe, dem Monstrum eine künstlerische Form zu geben, er schweigt und übergibt das Manuskript in seinem rohen Zustand dem werten Leser. In Club Oblomow geht der Autor Wagner in der Konzeption seiner Schriftstellerfigur einen Schritt weiter. Er radikalisiert den Gedanken des Scheiterns. In ironischer Verquickung von Ulk und Ernst löst ein satirisch überzogener fiktiver Ich-Sprecher das Problem auf seine Weise: der Autor Max zieht sich schlicht aus der Handlung und begeht Selbstmord. Das letzte Wort haben Computer, Internet und Drucker.

Der Roman Club Oblomow besteht aus zwei Handlungssträngen, ist ein Buch im Buch. Die Rahmengeschichte ist eine Art Szene- oder Bohemienporträt über Berliner Künstler, die der Kunst entsagen, weil sie im Zeitalter der Romanschwemme ihre Schreibverweigerung - im Sinne der mittelalterlichen Dreifelderbewirtschaftung - als einen Beitrag zur Rekultivierung der literarischen Landschaft verstehen. Vorbild für diese Tatenlosigkeit bzw. künstlerische Lähmung ist Iwan Gontscharows Romanheld Oblomow. Subventioniert wird der Club Oblomow von einer alten, in der Schweiz lebenden russischen Gräfin, die mit ihrer einzigen Verwandten, ihrer Nichte, zerstritten zu sein scheint. Eingebettet in diese Handlung ist die Geschichte des an Schreibentzug leidenden Erzählers und Flaneurs Max. Ihn treibt es zu einem mysteriösen, sich im Club befindlichen PC, und heimlich beginnt er, mit einer an das Internet angeschlossenen Gesprächspartnerin wortreich und ausschweifend über Kunst und eine neue Literaturgeschichte zu meditieren. Damit liefert Wagner eine Art Reflexionsroman über “die Sinnlosigkeit des Schreibens”, “den Verlust der Kontrolle”, über den fragwürdigen Wert eines literarischen Warenproduktes im Zeitalter der mechanischen Reproduktion, denn: “der Schriftsteller ist zu einem Produzenten geworden, der bei seinen makellosen Produkten nicht nur die persönliche Färbung vermeidet, schließlich sollen sie von der Masse konsumiert werden, sondern auch jede Stellungnahme”.

Verzahnt sind der Bohemienhandlungsstrang und der meditative Reflexionsstrang durch einen übergreifenden, erst am Schluß des Werkes sichtbaren Überraschungseffekt, der dem Buch den Touch einer Kriminalstory gibt. Die geheimnisvolle Internet-Gesprächspartnerin - so stellt sich heraus - ist nämlich die Nichte der russischen Adligen, der er im Zustand der Volltrunkenheit und des Schreibrausches ein Geheimnis anvertraut: die alte Dame, die nicht sterben will, soll ermordet werden, er selbst ist also Mitwisser, wird letztlich in einem komischen Verwirrspiel Angeklagter und stirbt auf genau die Weise, die der Gräfin zugedacht war. Er schluckt eine vergiftete Weinbrandbohne. Seine Freunde finden ihn: “Doch im Gegensatz zu dem Computer war sein Körper kalt. Der Rest war Sache des Druckers”.

Das “anonymen Ich” des aktiven Computers, das ja ohnehin die Handlung gelenkt hatte, hat die Oberhand. Der kreative Schriftsteller ist überflüssig geworden. Was bleibt, sind die im Computer gespeicherten Gespräche, Nabelschauen, Wahrheiten, Halbwahrheiten, Binsenwahrheiten, Erlebnisse, Reflexionen und Beichten eines sich selbst nicht allzu ernst nehmenden Schriftstellers: kurz, ein Manuskript, das ausgedruckt werden kann. Was bleibt, ist allerdings auch ein anspruchsloses literarisches Massenprodukt, ein Krimi. Den Konflikt, “literarischer Warenproduzent vs. literarisches Produkt” im Zeitalter digitaler Massenproduktion hat Bernd Wagner auf den Boden der ehemaligen DDR verlegt. Es hätte durchaus ein anderer Ort sein können. Der Widerstreit vom Schriftsteller, der ja sein Brot verdienen muß, und “wirklicher Authentizität des Sprechens” bleibt ungelöst. Wagners “persönliche Färbung” in diesem bewußt “formlosen” Ineinander von Künstler-, Bohemien-, Reflexions- und Kriminalroman ist die Satire und der Witz, eben seine spezifische Art momentanen authentischen Sprechens. Sieht man das Werk von dieser ulkig-ernsten Perspektive, so wird Lesen zum Vergnügen. Wortreiches Verstummen, das in der verdrehten literarischen Konstruktion des Club Oblomow ins Nichts führen sollte, führt also dennoch zu einem Etwas, zum vom Ich-Erzähler Max in seinen Meditationen persiflierten Romangenre, zu einem kleinen Roman, über den er nur lachen kann. Lachen ist jedoch nicht die schlechteste Medizin.

Christine Cosentino
Rutgers University