literarische Texte


Alexander Kluge
Geselligkeit transgener Mäuse

Am Tag unseres Besuchs an der Rockefeller University in New York schritten die Mäuse, elegante Prärie-Tiere und links davon die Berg-Wühlmäuse, nur stockend und stolpernd vorwärts. In getrennten Käfigen. Es war die Woche, in der deformatorische gentechnische Versuche am Kleinhirn der Tiere vorgenommen wurden. Wieviel davon darf ausfallen? Was funktioniert noch nach dem Eingriff? Durch uns, die Sponsoren, sollte beurteilt werden, ob eine Publikation dieser Forschung werbewirksam wäre. Der Auftritt der Mäuse schien uns vollkommen ungeeignet. Der Chef der Professorengruppe sagte:
– Bei Mäusen, denen eine molekulare Antenne für Östrogen fehlt, sehen Sie nach unserem Eingriff auf den ersten Blick überhaupt nichts. Erst ihr Paar-verhalten erweist sich als tiefgehend gestört.
– Gleich, wieviel Östrogen Sie hineinspritzen?
– Völlig gleich.
– Sie verhalten sich wie Laien? Als hätten sie nie von Sexualität gehört? Als wäre es Sport?
– Nicht wie Sport. Wie bei einer defekten Telefonleitung.
– Durch die man nichts hört?
– Ja. Die Tiere sind aufgereizt, blindlings und uninformiert.
– Erregt?
– Ja, in einer monströsen Weise.
In einer der folgenden Wochen kamen wir wieder. Der Vorstand wünschte eine Förderung der Universität und der angegliederten Forschungsunternehmen um jeden Preis. Diesmal Vasopressin. Ein nicht den Geschlechtsdrüsen entstammendes Hormon, ein Produkt der Nervenzellen. Die Mäuse in allen Käfigen und im Laufgelände torkelten nicht, hockten in Gruppen zusammen, übten Starts.
– Normalerweise hält Vasopressin die Nieren zu sparsamem Wasserverbrauch an. Wir haben entdeckt, daß es auch gesellig macht.
– Ein soziales Hormon? Sie haben die Erbanlage für »Geselligkeit« gefunden?
– Bei einer monogamen Art amerikanischer Wühlmäuse!
– Die Verbundenheit von Paaren verstärkt sich?
Kennen Sie die besondere Verbundenheit von Männern in Pissoirs? warf ich ein. Hohe Juristen treffen, harngeleitet, unter Nierendruck, intime Absprachen über ihre Urteile an rosa Becken? Das ist nicht Vasopressin, antwortete der Leiter des Versuchsprojekts. Es ist aber Niere plus Geselligkeit, beharrte ich, und wenn ich Sie recht verstanden habe, geht es doch darum.
– Wir untersuchen bis dato nur Prärie-Wühlmäuse. Sie produzieren keineswegs mehr Vasopressin als die Berg-Wühlmäuse in ihren kleinen Körpern. Der Unterschied liegt in den Antennen. Die Berg-Wühlmäuse reagieren nicht mit Gemeinschaftssinn. Ihnen fehlt die Antenne für Vasopressin.
– Sie sprechen von molekularen Antennen? Wie in der vorigen Woche?
– Die molekularen Antennen für Vasopressin sind in den Gehirnen der zwei Arten völlig verschieden verteilt. Wir haben Berg-Wühlmäuse mit dem Gen der Prärie-Wühlmäuse ausgestattet, und das Verhalten änderte sich.
– Das Gen für die Antenne im Hirn?
– Behandelt man ein transgenes Tier mit dem Hormon, reagiert es gesellig, obwohl
es eine Bergmaus ist.
– Unabhängig von der Umwelt?
– Ganz unabhängig. Und wenn wir das Hormon sechsmal verstärken, so gesellen sie sich sechsmal so stark. Wie abgerichtet.
– Ein Nervenhormon?
– Es entsteht im Gehirn und in der Lymphe. Die Bergmäuse werden kontaktfreudig. Biologen wollten es einfach nicht glauben.
– Bei einer Berg-Wühlmaus ohne solche transgene Antenne kann man mit einer Extraration Vasopressin nichts erreichen?
–Überhaupt nichts.[1]
– Wenn man aggressiven Muslimen Nahrungsmittel gibt, in denen Vasopressin versteckt ist, werden sie geselliger?
– Immer vorausgesetzt, daß wir ihnen transgen eine wirksame Antenne für den Stoff eingebaut haben. Wir könnten das bei den Söhnen und Töchtern der nächsten Generation versuchen.
– Immer vorausgesetzt, es funktioniert wie bei den Wühlmäusen.
– Wenn es sogar bei der Berg-Wühlmaus funktioniert!
– Gesellig bedeutet aber nicht freundlich und friedlich?
– Es heißt gesellig untereinander.
– Wer gemeinsam seinen Urin abläßt, verträgt sich?
– So ähnlich. Erstmals Genetik des Verhaltens.
– Könnte man eine Antenne und ein Nervenhormon für die Menschheit »global«
entwickeln?
– Bei Berg- oder Prärie-Wühlmäusen?
–Überhaupt.
– Wir können es in unserem Institut nur an Nagetieren testen. Irgendeinen Stoff wird es geben. Man kann Massenwanderungen der Tiere in der Evolution nur erklären, wenn es Stoffe gibt, welche die Tiere zur Großversammlung treiben. Wir gruppierten die Förderungsmaßnahmen unseres Konzerns so um, daß in diesem Forschungskomplex »Geselligkeit, soziales Verhalten, Paarbildung« berücksichtigt werden konnten. Vorstand und Öffentlichkeitsarbeit waren begeistert. Schließlich sind wir Männer der Werbung. Was erst, wenn es möglich wäre, eine Käufereigenschaft durch transgene Rezepturen zu verbessern? Ein weiter Weg vom Hans-im-Glück zum modernen transgen ausstaffierten Käufer von 2032!



[1] Neurotransmitter funktionieren lokal. Hormone durcheilen jeden Winkel des Körpers;
welche Wirkung sie entfalten, hängt von den Empfangsantennen ab.