rezensionen


Jakob Hein, Mein erstes T-Shirt (München: Piper, 2001).

An autobiografischem Material fehlte es nicht in den neunziger Jahren. Aber auch Anfang der Jahrtausenwende setzt sich dieser Trend der Rückblicke auf die verflossene DDR fort. Nachdem sich Thomas Brussig im Jahre 1996 mit seinem respektlosen Roman Helden wie wir zu Wort gemeldet hatte, sind es auch weiterhin die jüngeren Autoren, die - im Vergleich zu älteren Autoren - ihren grundsätzlich anderen Erfahrungsbereich mit der DDR literarisch verarbeiten und zur Diskussion stellen. Die in den siebziger Jahren geborenen Autoren - die "Generation Trabant" - erzählt anders: lockerer, gelassener, ohne Trauma. In ihren Werken geht es um Kindheit, die sich in vielem nicht wesentlich von einer im Westen verbrachten Kindheit unterschied und doch eine andere, ideologisch durchdrungene, "realexistierende" war. Es geht also um die Rettung der Kindheit nach einem historischen Bruch; darum, daß man das, was man für authentisch hält, vor dem Verblassen rettet. Es äußern sich u. a. Jana Hensel (Zonenkinder), Andre Kubiczek (Junge Talente), Julia Schoch (Der Körper des Salamanders), Jakob Hein Mein erstes T-Shirt und die westdeutsche Journalistin Susanne Leinemann mit ihrem DDR-Buch Aufgewacht. Mauer weg.

Jakob Hein, von Beruf Psychiater, ist der Sohn des zu DDR-Zeiten als systemkritisch geltenden Schrifstellers Christoph Hein. Er wuchs also, wie es in seinem Rückblick heißt, in einem Haushalt "notorischer Nestbeschmutzer" auf. Der Held, ein Ich-Sprecher, hat die Erfahrung eines Erwachsenen, erzählt aber mit geschickt konstruierter Pseudo-Naivität aus der Perspektive eines Kindes bzw. eines pubertierenden Teenagers. Darin liegt die groteske Komik. Im kindlichen Ton wird ohne kritische Wertung über alltägliche Vorkommnisse und Beobachtungen berichtet, deren Erwähnung allein schon Heiterkeit auslöst. Über das Abschicken eines vorgedruckten Protestbriefes an den US-Präsidenten ist beispielsweise die Rede und wie dieser sich wundert, daß das Kind Jakob Hein ihm mal wieder auf die Schliche gekommen ist. Diese erzähltechnisch konsequent durchgehaltene Verquickung von Absurd-Lächerlichem und Alltäglich-Normalem macht den Reiz dieses Büchleins aus.

Der Band besteht aus 26 anekdotischen Miniaturen, deren Überschriften - behält man die kindliche Sicht im Auge - bereits komisch wirken: "Warum ich Antikommunist wurde", "Dummheit schafft Freiheit", "Sex in meiner Kindheit" und ähnliches. Darin geht es um Erfahrungen, die typisch für jede Kindheit sind: Schule, die keinen Spaß macht, Lehrer mit Marotten, Macken und Mätzchen, Freundinnen, Musik, Besäufnisse. Daneben stehen Ritualen, die für den realen Sozialismus typisch sind: der Sieg des Sozialismus, die Arbeiter, die traurig sind, wenn die Schüler keine Hausaufgaben machen, das Suchen nach dem Klassenfeind im Klassenzimmer, Umgang mit der Stasi, das Aushorchen, ob man Westfernsehen guckt oder wie man den Lehrer überlistet, der sich nach der Fernsehuhr mit Strich (West) oder Pünktchen (Ost) erkundigt.

Das Buch endet offen mit dem Fall der Mauer und einem Neuanfang: "[Ich} ging auf die Suche nach neuen Lebenszielen in der Wunderwelt des Kapitalismus." Hein präsentiert fiktiv getönte Erinnerungen auf biografischer Folie. Heins Witz und Ironie sowie sein ausgeprägter Sinn für skurrile Situationskomik sorgen für vergnügliche, unterhaltsame Lektüre, vielleicht sogar für ein Verständnis dessen - so der Titel der letzten Silhouette - "Wie es damals wirklich gewesen sein könnte."

Christine Cosentino
Rutgers University