rezensionen


Monika Maron, Endmoränen. Roman. (Frankfurt/M.: Fischer, 2002).

Bereits 1999 hatte Monika Maron (Jahrgang 1941) mit einem Stück autobiografischer Erinnerungsarbeit aufgewartet, der dokumentarischen Familiengeschichte Pawels Briefe. Anhand von alten Briefen, Fotos und anderen Erinnerungsstücken rekonstruierte sie in diesem Werk das drei Generationen umfassende Porträt ihrer Familie, in dem sie sich ihres eigenen Platzes und ihrer eigenen Identität vergewissern wollte.

Marons neuer Roman Endmoränen ist keine Autobiografie im strengen Sinne. Der fiktive Schnitt täuscht jedoch nicht darüber hinweg, daß es sich hier um einen autobiografisch grundierten Roman handelt, denn hinter der literarischen Figur Johanna, einer in der DDR sozialisierten Schriftstellerin, läßt sich in vielem die Autorin erkennen. Es geht - der vielsagende symbolische Titel suggeriert es - um von Gletschern bewegten Schutt und ein "Ende", einen Abgesang also an die vielen Mißverständnisse und an die Fehlinterpretationen des "Wunders" der Wende von 1989; kurz, es geht um ein Ende jener apathischen Erleichterung: "daß ich endlich aufhören durfte zu kämpfen [...] Ich habe damals vor allem, was wir für ewig gehalten haben, gefeiert und darüber wohl den Anfang vergessen".

Der Ton der Handlung ist unterkühlt, spröde, keineswegs larmoyant. Zu Beginn der Handlung begegnet der Leser einer depressiv gestimmten Ich-Erzählerin, die sich nutzlos, alt und lethargisch fühlt und in der Isolation ihres mecklenburgischen Sommerhauses über den verpaßten Anfang im neuen Staat sinniert. Dieses ist gekoppelt mit einer akuten Bewußtwerdung der Schrecken des Alterns und des körperlichen Verfalls. Die Autorin scheut sich nicht, diesen Prozeß ausführlich zu analysieren. Sie tut es mit Selbstironie, Sachlichkeit und Mut zum abstoßenden Detail. Ratlos und orientierungslos blickt Johanna auf ihr Leben zurück, dann jedoch strebt sie in ihren Denkprozessen und Auseinandersetzungen mit Dorfeinwohnern und Freunden eine Aufarbeitung historisch-biografischen Gerölls an: im Privat- und Berufsleben und im Historisch-Politischen, all das auf der Folie des existentiellen Bereichs des Älterwerdens. Am Ende der Handlung - "ein wunderlicher Anfang" - steht die kleine, völlig alltägliche Geste, die nicht bar an Komik, aber auch an versteckter Symbolik ist. Sie wendet sich einem ausgesetzten, herrenlosen schwarzen Hund zu - "einer Mischung aus Schnauzer und noch etwas", vielleicht sogar einem Pudel - und verläßt, wie einst der Goethesche Faust sein Grübelgefängnis, ihre selbstgewählte Isolation und kehrt noch Berlin zurück.

Marons Buch ist ein Text über Brüche, Phasen, Lebenswechsel und über den Versuch, mit Ungewohntem, Neuem fertigzuwerden. Es geschieht nicht viel in dieser Handlung. In ihrem Abgekapseltsein blickt die Heldin auf ihre literarische Tätigkeit in der DDR zurück, in der sie gebraucht zu werden glaubte, denn das Abfassen von Biografien gab ihr die Gelegenheit zur Vermittlung provokativer Subtexte, die sie für politisch nützlich hielt. Kritisch blickt sie zurück auf die anregende Atmosphäre jener intellektuellen DDR-Nischen, die Gemeinschaft und Zusammenhalt mit politisch Gleichgesinnten garantierten, und kritisch unterzieht sie die festgefahrenen Strukturen ihrer Ehe einer eingehenden Prüfung. Das Fazit, das sie zieht, weist auf ein existentielles Nirgendwo, das sie im Laufe der Handlung jedoch in ein unspektakuläres Irgendwo und Irgendwie verwandelt. Hilfestellung dazu leistet ihre Arbeit an einer Biografie über die soziale Aufsteigerin Wilhelmine Enke, die Mätresse Friedrich Wilhelm II., eine Frau, die die Neuorientierung ihres Lebensstils und die damit verbundene Neudefinition ihrer Persönlichkeit heftig und entschlossen verteidigte. Ein Modell also, an dem Johanna sich unbewußt oder bewußt aufrichtet.

Die Handlungsarmut des Maronschen Werkes zieht den Leser eher an als daß sie ihn ermüdet. Es ist der Blick aufs ungeschönte Detail, der besticht, der Mut zur Wahrheit und zum gedanklichen Durchdringen eines Lebensbereiches, dem jeder sich früher oder später zu stellen hat. Hier liegt ein Identifikationsbereich für den Leser, den die Autorin mit subtiler Komik gestaltet. Komik aber ist eine Form des Humors, eines Sich-lebendig-Lachens oder zumindest Lächelns, mit dem Abseitsstehende sich nicht ausschließen, sondern wieder in die Gemeinschaft einschließen.

Christine Cosentino
Rutgers University