G: anmerkungen


Abschiede vom PEN-Zentrum der Bundesrepublik

Wieder hat ein deutscher Schriftsteller das PEN-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland verlassen. Nachdem schon in den letzten beiden Jahren Autoren wie Jürgen Fuchs, Sarah Kirsch, Herta Müller, Hans Joachim Schädlich, Richard Wagner und andere den deutschen Schriftstellerclub verlassen hatten, kehrte nun, im April 1997, auch Ralph Giordano dem deutschen PEN-Zentrum West den Rücken und trat dem von Fritz Beer geleiteten Exil-PEN bei. Damit verliert der deutsche PEN einen wichtigen Autor.

Diese Austritte waren unter der gegenwärtigen Leitung und in der gegenwärtigen Atmosphäre des PEN nicht zu vermeiden. Ausgangspunkt des PEN-Streites war eine signifikante politisch Unterlassung. Als die DDR ab Herbst 1989 immer schneller zerfiel, lösten sich nach und nach auch die meisten DDR-Institution auf: der FdGB, die DSF, der Frauenbund u. a. Selbst die SED versuchte, sich neu und unter neuem Namen zu definieren. Nicht so die künstlerischen Institutionen der DDR. Vom Schriftstellerverband, über die Akademien bis zum PEN: sie blieben vorerst, der PEN bis heute, erhalten. Unvernünftigerweise. Ein klarer Trennungsstrich hätte gezogen werden müssen, denn alle diese Institutionen hatten der Machterhaltung der SED-Diktatur zugearbeitet, auch wenn (wenige) einzelne Mitglieder in dieser Hinsicht eher zögerlich verfahren waren oder sogar Widerstand geleistet hatten. Die Erhaltung der alten Institutionen und das Bestreben sich "gleichberechtigt" mit dem entsprechenden Organisationen im Westen zu vereinen, lassen sich als Versuch verstehen, die ungewollte Vereinigung Deutschlands wenigstens auf höherer, künstlerischer Ebene als einen Prozeß des Zusammenwachsens von Gleichem, Zusammengehörigem umzudeuten. Das damit die DDR über den Umweg der Kunst und Literatur aufgewertet und auch die öffentlichen Biographien einzelner Künstler und Autoren etwas nachgebessert werden sollten — man wollte wohl nicht "alles gleich wegwerfen".

Verständlich vielleicht, daß dieses Bestreben bei den ehemaligen westlichen Gesprächspartnern des Systems, bei westlichen Freunden der halbwegs kritischen Autoren und Künstler im Osten und bei freundlichen Liberalen und toleranten Konservativen im Westen aus verschiedenen Gründen, teilweise wohl auch aus gewolltem oder hingenommenem Nichtwissen über die Lebensbedingungen unter einer Diktatur, auf Wohlgefallen stieß. Weitaus verständlicher jedoch ist die Gegnerschaft von Künstlern und Autoren, die sich aus ihren Erfahrungen mit der Diktatur der DDR und anderen Diktaturen gegen solche Vereinigungen und damit gegen die Toleranz gegenüber einem vergangenem diktatorischem Regime streuben. Es irritiert sie, daß sich der Ost-PEN als Nachfolgeorganisation des DDR-PEN definierte, der selbst einen Klaus Höpcke in seine Reihen aufgenommen hatte. Es irritiert sie weiterhin, daß nach wie vor nicht ganz klar ist, wie viele gegenwärtige Ost-PEN-Mitglieder politischen Dreck aus DDR-Zeiten am Stecken haben. Es muß sie irritieren, daß die Aufnahme der DDR in die Bundesrepublik über eine Teilvereinigung im "Ästhetischem" umgedeutet werden könnte in eine Vereinigung von moralisch und politisch Äquivalentem. Vollkommen unverständlich ist, und das mag die grösste Irritation sein, daß ehemalige Freunde, wie Günter Grass, selbst einen Hermann Kant als anregenden Gegner im gemeinsamen PEN-Zentrum willkommen heißen würden, weil, wie Grass sagte, er ja schließlich gerade mit dem Ex-Präsidenten des DDR Schriftstellerverbandes den Streit seit Jahrzehnten gepflegt habe, während ihre Stimmen offenbar nicht mehr erwünscht sind.  

Als Dokumente im Streit um die Entwicklung des PEN-Zentrums Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht glossen zwei Abschiedsbriefe an den PEN. Der eine von Ralph Giordano, der andere von Jürgen Fuchs.



Köln, den 25. 04. 97


P.E.N
Zentrum Bundesrepublik Deutschland
Herrn Präsidenten
Karl Otto Conrady

Sehr geehrter Herr Conrady,

nach langem Zögern erkläre ich hiermit meinen Austritt aus dem PEN Zentrum Bundesrepublik Deutschland. Die Gründe, die mich neben anderen, zuvor schon lange erwogen dazu bewegen, sind die ungeheuerlichen, von Ihrem Schweigen und dem des PEN-Präsidiums begleiteten Verlautbarungen führender Teilnehmer der PEN-Tagung vom 16. bis 19. April 1997 in Quedlinburg auf dem Wege zu einer möglichst schmerzlosen Vereinigung des PEN-West mit dem PEN-Ost. Ich war nach dem Zusammenbruch der DDR immer für einen PEN Deutschland, und bin es noch. Allein schon wegen jener SchriftstellerInnen, die von ihrem Lebensalter völlig unbelastet sind, soll sie, muß sie kommen. Aber nicht als die Totgeburt der jetzigen Wortführer im PEN-West und PEN-Ost!

Welche feindselige Einstellung zu den DDR-Dissidenten unter den ausgetretenen Mitgliedern kommt denn zum Ausdruck durch Diskriminierungen folgenden Stils?-:

"Die Austritte sind die schärfste Form der Verweigerung. Ständige Wiederholung der Bitte um ihre Rückkehr verbietet der Stolz. (Klaus Staek).

Oder Friedrich Schorlemmer: "Mein Bedauern über den Verlust hält sich insofern in Grenzen, wenn darunter verstanden wird, wir müssen uns dauernd zerknirschen" (ein Blickwinkel, der mich, pardon, vegetativ an die Trotzpositionen unbelehrbarer Konservativer erinnert).

Dann Günter Grass: "Die Stasivergangenheit von PEN-Mitgliedern muß differenziert gesehen werden." Gewiß, nur schließt er darin ausdrücklich auch die des Oberspitzels und Reclam-Verlegers Hans Marquard ein, dessen Stasiakten so schwerbelastend waren, daß sogar der PEN-Ost ihn ausschließen mußte, was bekanntlicherweise sehr, sehr viel heißen soll. Aber Grass, sonst mit Abqualifizierungen von Gegnern schnell bei der Hand, sieht auch jetzt noch in Sachen Marquard Revisionsbedarf, und sich selbst "nicht in der Lage, den Fall abschließend zu beurteilen."

Den Vogel der Entsorgungssucht aber schoß der inzwischen als PEN Vereinigungsguru triumphierende Berliner Rechtsprofessor Uwe Wesel ab. Originalton: "Die Staatssicherheit der DDR, so abscheulich sie mitunter (!) auch war, ist doch nie ein 'Reich des Bösen' gewesen." Nach dieser Verwandlung der Mielke-Organisation in ein eher familienfreundliches Unternehmen, setzte Uwe Wesel in Quedlinburg die Grass'sche Ouvertüre so fort: Manch einer habe in und mit der Stasi Gutes bewirkt, ja. der Freiheit gedient: "Auch Hans Marquard. Und deshalb ist sein Ausschluß eigentlich eine Verletzung der Charta des PEN."

Eine mißbräuchlichere, unsittlischere Anrufung und Ausdeutung der PEN Verfassung als diese kann es nicht geben!

Wieso haben Sie, Herr Präsident, und das Präsidium geschwiegen zu dem unmöglichen Kondensat aus Täteraffinität bei gleichzeitig klar erkennbarer Sympathie- und Verständnisabstinenz gegenüber ihren Opfern? Wieso sind Sie den Stasiminimierungsaktionen von Grass und Wesel nicht in die Parade gefahren? Wie leichtfertig wird in diesem PEN eigentlich umgegangen mit den höchst bedenkenswerten Austrittsmotiven solcher einstiger Mitglieder wie Günter Kunert, Herta Müller, Hans Joachim Schädlich, Reiner Kunze, Sarah Kirsch (um nur sie zu nennen), wenn Staeck und Schorlemmer zu ihnen nicht besseres einfällt, als angemessene Haltung bei "Rückkehrbitten" zu wahren? In diesen PEN wird niemand der ehemals Desavouierten zurückkehren, nicht einer. Verhöhnung der Verfolgten durch Verniedlichung des Verfolgungsapparats, gar nicht mehr klammheimlicher Exkulpierungsdrang selbst für Schwerbelastete, beleidigende Distanzierung gegenüber DDR-geschädigten Kolleginnen und Kollegen — das sind für mich die Stigmata der Quedlinburger PEN-Tagung 1997.

Mit Gesinnungen wie diesen kann es Mitgliedschaft in einem PEN nicht mehr geben, es sei denn, ich verriete alle meine mühsam erkämpften und erlittenen Lebenskriterien. In Quedlinburg sind endgültig die Weichen gestellt worden für einen Club, der nicht mehr der meine ist.

Sie, Herr Conrady, sollen wissen. daß dies nach gut fünfzehnjähriger Mitgliedschaft ein schwerer Abschied ist. Der PEN hat mir, dem Zugehörigkeit nie selbstverständlich war, viel bedeutet, glaubte ich doch, sie in ihm gefunden zu haben. Das hat sich auf die Dauer nun als Irrtum erwiesen.

PEN-Mitglied bleibe ich aber auch weiterhin — unter dem ehrenvollen Dach des Londoner Exil-PEN, Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland, mit seinem Präsidenten Fritz Beer. Daß aber mein Ade vom PEN-Zentrum Bundesrepublik in mir Assoziationen an Deutschlands ungute Kontinuität im Umgang mit Schriftstellern wachruft, das kann und will ich nicht leugnen.

In Trauer, aber ohne Abschiedsschmerz von diesem PEN

Ralph Giordano.

(Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors)



Beginnt etwas von vorn?

Als ich 1976/77 in der Untersuchungshaft der Staatssicherheit saß und psychisch gefoltert wurde, schrieb das schwedische PEN-Zentrum an das der DDR und verlangte Auskunft über den politischen Gefangenen. Generalsekretär Keisch antwortete sinngemäß, man kenne keinen Schriftsteller mit dem genannten Namen. Kein offizieller Protest, auch nicht bei der Ausbürgerung seines Mitgliedes Biermann, auch nicht beim Weggehen von Reiner Kunze und während des jahrelangen Hausarrestes gegen Robert Havemann. Wie viele Menschenrechtsverletzungen gab es in der DDR, die nicht zu Reaktionen des dortigen PEN-Zentrums führten! 1988 rechtfertigte sogar der Präsident Kamnitzer das brutale Vorgehen gegen Andersdenkende bei der Luxemburg/Liebknecht-Demonstration in Ostberlin. Aus der Einsicht in die Stasiakten geht hervor, wie willfährig sich auch andere DDR-Einrichtungen unterwarfen: Die Zeitschrift Sinn und Form der Akademie der Künste gab dem MfS in der Normannenstraße bereitwillig Auskunft über den Häftling F. Keine Silbe, man möge ihn lieber freilassen. Ähnlich ndl (Neue Deutsche Literatur), auch Verlage und einzelne Autoren verhielten sich so. Schriftsteller ließen sich als Inoffizielle Mitarbeiter des Geheimdienstes anwerben. Ein äußerst niederdrückendes Kapitel.

Das PEN-Zentrum der DDR hat umfassend versagt und die internationale Charta verraten. Warum wurde es nach 1989 nicht aufgelöst? Gewiß, einige Kollegen haben sich anders verhalten, sie haben Verhafteten, Ausgebürgerten und "Zersetzten" (ein Begriff der Stasi; sie führte ihre "aktiven Maßnahmen" gegen uns bis zum Schluß durch, auch auf dem Boden der Bundesrepublik) zu helfen versucht. Auch daran möchte ich erinnern und werde es nie vergessen. Seit diesen Jahren bin ich bemüht, Menschenrechtsverletzungen aufzudecken, literarisch zu analysieren und Betroffenen zu helfen. Besonders die leisen Formen des Terrors, konspirativ durchgeführt, haben ja zugenommen — weltweit. Die Stasi ist dafür nur ein Beispiel, wenn auch ein wichtiges. Die Akten sind in letzter Minute dem Reißwolf entrissene "Daten über Ihre Taten" und auch Zeugnisse von Zivilcourage und Leiden einzelner und verfolgter Gruppen. Wer sagt, aus diesen Dokumenten kann er nichts lernen, ist ein Ignorant. Leider nur einer von so vielen heute. In der deutsch-deutschen Diskussion um die "Vereinigung" entdecke ich bei verantwortlichen Leuten wie Heidenreich und Schlenstedt viel defensives und eher zudeckendes Verhalten, das mich an die ungute deutsche Tradition des "Schlußstriches" erinnert, des kleinen raschen Friedens mit den Tätern und den dienenden Intellektuellen. Noch eine Runde und noch eine, dann sind die Querulanten und "Neurotiker" (S. Heym) ruhig. Man muß nur durchhalten, siehe Stolpe und Gysi, auch der Streit um die Berliner Akademie könnte so bewertet werden. Die Diktatur war am Ende nur ein "komplizierter historischer Vorgang". Wer aber im Sinne der PEN-Charta bedrängten Kollegen in Rechts- und Linksdiktaturen beistehen will, benötigt Vertrauen in Büros, Präsidenten und Generalsekretäre des jeweiligen eigenen Zentrums des internationalen PENs. Es ist ja auch eine Frage der Haltung, des "guten Gefühls" und der Gewißheit, man werde nach besten Kräften geschützt und unterstützt in seinem Tun. Dieses gute Gefühl habe ich nicht mehr. Mich ereilen eher düstere Erinnerungen an gehörte und gelesene Beschwichtigungsfloskeln aus vergangenen Jahren und Jahrzehnten.

Die Diktatur der Lüge und der gleichgültigen, banalen Ignoranz ist offenbar noch nicht zu Ende, wenn diktatorische Parteien und Staaten zusammengebrochen sind. Der Exil-PEN deutschsprachiger Autoren hat mir nun einen Übertritt ermöglicht. Wem die Fremde eine Rettung war, wird vielleicht verstehen, in welche Lage man zu Hause geraten kann, wenn Stasi-Unworte wie "Zersetzung feindlich-negativer Kräfte" keinen Schrei der Empörung auslösen und ein Begriff wie "geistige Verluderung" ungeniert in Schwange kommt. Als sei nichts gewesen. Beginnt etwas von vorn? Sind wir schon wieder die Feinde einer "fortschrittlichen Entwicklung"? Und warum machen das andere vornehm schweigend mit?

Jürgen Fuchs

(Zuerst veröffentlich in der taz, vom 14. 2. 1995)


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