Glossen 23


Lyn Marven, Body and Narrative in Contemporary Literatures in German. Herta Müller, Libuse Moníková, and Kerstin Hensel (Oxford: Clarendon Press, 2005) 282 Seiten


„Das Private ist politisch!“ Mit diesem Slogan forderten Frauen vor etwa 35 Jahren ein neues Politikverständnis und formulierten damit zugleich den scheinbar unaufhaltsamen politischen Befreiungsdrang der außerparlamentarischen Linken in der Bundesrepublik. Bald sollte dieses Bedingungsverhältnis eine gesamte Literaturbewegung, die dann unter dem Namen Neuen Subjektivität kursierte, tragen. In den Ländern Ost- und Mitteleuropas allerdings beinhaltete die Losung keine Aufforderung, sondern beschrieb vielmehr eine Tatsache des Alltags. Die Spannungen und Konflikte, die sich in den kommunistischen Nationen Europas zwischen den politischen Schlachtfeldern und dem als feste Burg verteidigten Privatbereich präsentierten, färbten ebenfalls eine Literatur; eine, die sich kritisch diktatorischen Zuständen - sowohl in Groß- als auch in Kleinformat - widmete und deshalb oft nur im Westen veröffentlich werden konnte. Die literarische Repräsentation politischer Repressionen wurde bald ein beliebter Forschungsgegenstand in der Germanistik. Die Studie Body and Narrative in Contemporary Literatures in German von Lyn Marven ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie sich die (in diesem Fall Auslands-)Germanistik diesem Thema annahm. Die Verfasserin nimmt Romane und Erzählungen der deutschsprachigen Schriftstellerinnen Herta Müller (Rumänien), Libuse Moníková (tschechische Republik) und Kerstin Hensel (DDR) unter die Lupe, präzisiert dabei das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Text, Politik und Weiblichkeit. Ihr Hauptinteresse ist die Analyse jener Transformationsprozesse, die eine Verarbeitung der in der Wirklichkeit erfahrenen Unterdrückungsrituale in literarischen Texten erst ermöglichen. Untersucht werden die Spuren, die Gewalt in der Psyche und auf den Körpern der im Text aufgeführten einzelnen fiktiven Personen zurücklassen, wobei aber vor allem auch die Einflüsse dieser gewalttätigen Prägungen auf die Erzählverfahren angesprochen werden.

Müller, Moníková und Hensel werden als jene Autorinnen identifiziert, die eine grundlegende kulturhistorische Tradition Europas weiterschreiben, weil auch sie davon überzeugt sind, dass das literarische Wort die Fähigkeit besitzt, traumatische Erfahrungen zu verschriftlichen, um auf diese Weise das Leiden auf adäquate Weise zu kommunizieren. Die literarische Sprache hat sich als ein geeignetes Medium bewährt, den Schmerz an der Geschichte wiederholte Male erneut spürbar zu machen und eben nicht im Akt der Sublimation zu lindern. Die Literatur hat somit das von Adorno verhängte unbeschriebene „Bilderverbot“ aufgehoben, das einst besagte, das jede Repräsentation von Auschwitz scheitern müsse. - Marven interpretiert die Spuren der Gewalt, die die Geschichte Mittelosteuropas zwischen 1945 und 1990 im und als Text hinterlassen hat und demonstriert in drei sorgfältig streng strukturierten Kapiteln die Interaktionen zwischen Körperlichkeit und Erzählstrategien in den Prosatexten. Das, was Marven als „corporeality“ bezeichnet, beziehe sich eben nicht ausschließlich auf den Corpus des fiktionalen Personals, sondern wird ebenfalls als „Textkörper“ verstanden, wobei die mittlerweile etablierten Kulturwissenschaftlerinnen, wie etwa Elisabeth Bronfen, Elaine Scarry und Judith Butler Pate stehen. Sie wendet die von den Expertinnen vorgelegten neuen feministischen Thesen an und führt in den drei von ihr behandelten Fällen geschickt vor, wie die Körper im Schmerz zu diagnostizieren sein sollten.

Marven beruft sich in ihren Forschungen nicht nur auf genannte Expertinnen, sondern ebenfalls auf den poetologischen Statements der von ihr untersuchten Autorinnen. Die Tatsache, dass Marven für ihre Argumentation über den Tellerrand des Textes guckt und diverse Quellen konsultiert schadet ihrer Arbeit jedoch in keiner Weise. Im Gegenteil: die kontrollierte Handhabung der Vielfalt von inner- und außerliterarischen Informaten und Informantinnen bereichert ihre Analysen, wenn sie sowohl mit den Texten als auch mit den Kontexten streng ins Gericht geht. Im Kapitel zu Kerstin Hensel zum Beispiel spielt das Denken des russischen Kulturtheoretikers und Literaturwissenschaftlers Michail Bachtin eine zentrale und zugleich doppelte Rolle, wenn dessen Rede vom Grotesken nicht nur die Risse im narrativen Konstrukt der Henselschen Texte klassifiziert. Überdies fungiert Bachtin als Schirmherr, das Politikum DDR, das vor Gespaltenheit, Ambivalenz und Karnevaleskem nur so trotzte, (zugegeben nicht zum ersten Mal, aber in origineller Art und Weise) zu klassifizieren.

Mit Body and Narrative in Contemporary Literatures in German leistet Marven nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Studium der drei Schriftstellerinnen, sondern darüber hinaus zum besseren Verständnis für ein Beziehungsgeflecht, das in der europäischen Kulturgeschichte eine bedeutende Rolle gespielt hat und heute auch außerhalb des „alten Kontinents“ gefragt ist. Die Einwirkungen der von der Macht evozierten Gewalt auf den Einzelnen ist ein Thema, das sich nicht auf einen Gegenstand (kultur-)historischer Forschung beschränkt. Der einzelne literarische Text, der zwischen dem 'unschuldigen' Körper und der als gewalttätig interpretierten Politik pendelt, besitzt die Fähigkeit, den einst gelittenen Schmerz mit anderen zu teilen und somit erneut spürbar zu machen. Dieses Reaktivierungsverfahren sollte aber nicht zur Illusion beitragen, Literatur könne Trost bringen, denn, so schreibt Marven zu Recht:

„Literature cannot overcome the effects of trauma, but it can make them legible. By recreating and enacting them as fiction, it can be reinscribe a tentative and contingent sense of subjectivity […].” (p. 114)

Überzeugend ist die Arbeit für mich vor allem deshalb, weil die Diskussionen über die unmittelbaren Einwirkungen der von der ost- und mitteleuropäischen Politik ausgegangenen Macht- und Gewaltstrukturen auf das fiktive Personal und auf die Textkörper mit unterschiedlichen, in vielen Fällen innovativen methodischen Ansätzen einhergeht. Das Oszillieren zwischen Analysen von Form und Inhalt, von Privatem und Politischem, von Text und Kontext wird ohne Frage zur Neulektüre der Texte der drei Schriftstellerinnen anregen.


Gerrit-Jan Berendse
Cardiff University