Glossen 23


Hans Joachim Schädlich

Dialog

Für Jan, Susanne, Anna
Wer ist Ruprecht Ruckteschel? Ich habe nie etwas von ihm gehört, außer heute am Telefon.
Er sagte: „Hallo? Hallo! Sind sie es?“
„Wer spricht da?“, sagte ich.
Er sagte: „Wer spricht da! Ich spreche da.“
„Vielleicht bin ich nicht der richtige“, sagte ich.
Er sagte: „Ach verdammt.“
„Warum &Mac226;verdammt’!“, sagte ich.
Er sagte: „Verdammt verdammt.“
„Was ist“, sagte ich.
Er sagte: „Verdammt.“
„Wen wollen sie sprechen“, sagte ich.
Er sagte: „Sie! Sind sie es nicht?“
„Wer soll ich sein“, sagte ich.
Er sagte: „Jetzt ist es kaputt.“
„Wieso“, sagte ich.
Er sagte: „Kaputt.“
„Was ist kaputt“, sagte ich.
Er sagte: „Es.“
„Wie heißen Sie“, sagte ich.
Er sagte: „Vielleicht sind sie nicht der richtige.“
„Vielleicht ist es nicht die richtige Rufnummer“, sagte ich.
Er sagte: „Rufnummer!“
„Hallo? Sind Sie noch da?“, sagte ich.
Er sagte: „Ja.“
„Tja“, sagte ich.
Er sagte: „Oh doch.“
„Warum?“, sagte ich.
Er sagte: „Ich hätte Ihnen etwas zu sagen.“
„Sie mir?“, sagte ich.
Er sagte: „Wenn Sie es sind.“
„Was wäre das?“, sagte ich.
Er sagte: „Es mangelt Ihnen an Demut.“
„Warum soll ich alles ergeben hinnehmen“, sagte ich.
Er sagte: „Wir müssen Dienende sein. Diese Einsicht fehlt Ihnen, wie ich höre.“
„Unterwürfigkeit ist mir verhaßt“, sagte ich.
Er sagte: „Sie verstehen nichts. Sie sind scheinbar klug, aber sie sind dumm.“
„Sie setzen mich herab. Das muß ich mir nicht gefallen lassen“, sagte ich.
Er sagte: „Wären Sie demütig, dann wüssten Sie, dass Sie längst geschlagen sind.“
„Soll ich auch noch meinen Hals darbieten? Ich bin kein Tier“, sagte ich.
Er sagte: „Sie ermangeln des Wissensdranges.“
„Ich weiß genug“, sagte ich.
Er sagte: „Eine billige Ausrede! Ich störe Ihren stupiden Hochmut.“
„Ich habe keine Zeit für Sie. Ich bin auf dem Weg zu einer Abendgesellschaft“, sagte ich.
Er sagte: „Typisch! Sie sollten sich eines abgeschiedenen einsamen Lebens befleißigen.“
„Ich muß mit anderen Leuten reden“, sagte ich.
Er sagte: „Reden! Was kommt dabei heraus?“
„Ich gewinne Einsichten“, sagte ich.
Er sagte: „Widmen Sie sich des schweigsamen Forschens. Nur so erfahren Sie etwas.“
„Es fehlt nur noch, dass Sie mir Armut predigen!“, sagte ich.
Er sagte: „Das tue ich. Was wollen Sie: Wissen oder Reichtum?“
„Wollen Sie mich verhöhnen? Ich besitze nichts. Kein Haus. Keinen Baum. Aber ich will nicht in Sack und Asche gehen. Ich will auch nicht am Hungertuch nagen“, sagte ich.
Er sagte: „Geben Sie Ihre Wohnung auf. Gehen Sie in die Fremde. Begnügen Sie sich mit dem Allernötigsten, einer schlichten Kammer, einem kargen Mahl.“
„Jetzt ist Schluß. Geben Sie mir Ihre Telefonnummer. Vielleicht rufe ich Sie einmal an“, sagte ich.
Er sagte mir seine Telefonnummer. Ich notierte sie. „Danke“, sagte ich. Er sagte: „Vergessen Sie mich nicht.“
Ehe ich den Zettel mit der Telfonnummer fortlegte, las ich die Nummer laut von dem Zettel ab. Da bemerkte ich, dass es meine eigene Telefonnummer war.