glossen 24
Das Süffisante in der Kunst und die einsame Bilderstürmerin
von Erfurt
Gerd Sonntag
In Erfurt hatte das politische Gewicht der Stimme einer Frau an einem Sprach-Bild-
Werk der deutschen Nachkriegs-Kunst ganz plötzlich dessen Rechtfertigungs-
Bedarf entblößt. Der Landtag hatte sich das Kunstwerk ausgeliehen.
Frau Hildigund Neubert, thüringische Landesbeauftragte für Stasiunterlagen,
bat die Landtagspräsidentin (wörtlich: "ich bitte Sie")
um die Abhängung der Leihgabe wegen deren Bild-Aufschrift, die sie verleumderische
Propaganda aus der SED-Zeit nannte. "Weißer Terror" und "Faschistischer
Terror in Ungarn, 1956". So beschriftete ein sehr bekannter, ein in der
DDR erfolgreich wirkender Künstler eine Bilder-Folge zum ungarischen Volks-Aufstand,
zu der das abgehängte Bild gehört.
Der Bitte von Frau Neubert mußte nicht entsprochen werden. Daß
ihr dennoch entsprochen wurde, war Landtags-Sache. Dazu darf jeder eine Meinung
haben. Ich hielt die Rückgabe für falsch. Doch diese, meine Meinung
verlor sich langsam im Geröll einer DDR-Nützlichkeits-Sprache, deren
scharfkantige Sprüche die Landesbeauftragte mit harten Worten attackierten
und wie ein Steinschlag durch die Spalten deutscher Druck-Erzeugnisse polterten.
Hörte man auf den Lärm, so wurde eines verstorbenen Künstlers
Freiheit von einer Bilderstürmerin mit Kunstzensur bedroht. Zensoren, die
etwas erstürmen? Die Zusammenhänge umfangreich zu beschreiben, ist
müßige Arbeit. Sie verbrennt kostbare Lebenszeit und hält von
Kreativität ab. Ich setze deshalb zur Verteidigung der Erfurter "Bilderstürmerin"
einige Fakten der Vergangenheit gegen die Hatz von Sprach-Artisten, Wortbesitzern,
die einen simplen Hergang in Wendungen und Pirouetten so oft um dessen Achse
drehen, daß dem Leser davon schwindlig wird. Die Vorwürfe gegen Frau
Neubert sind von beängstigender Schwere: Bilderstürmerei, Unterdrückung
der Meinungsfreiheit, Rückfall in den Kalten Krieg, Kunstzensur, Rechthaberei,
Inquisition. Worauf gründet sich das?
Vom Schutz der politischen Polizei der DDR befreit, wurde ein Produkt der Handelsware
Kunst nach 49 Jahren der Eigen-Verantwortung des Autors übergegeben. Erstmals
wird sein geistiger Gehalt für alle, die das wollen, ins Gespräch
gebracht. Debattiert wird an dem Kunstwerk dessen Politik, das Werk der Sprache,
einer deutschen Sprache. Bei der Geburt des Werkes war die Debatte noch nicht
möglich. Hier klafft ein Riß in der Erinnerung. Damals,1957, war
in der DDR das Wort "faschistisch" definiert als "schlimmste
Form des reaktionärsten Terrors imperialistischer Mächte."[1]
"Faschistisch" implizierte Rassenwahn und fand nach sozialistischer
Lesart seinen Höhepunkt in Deutschland. Auch "Weiß" und
"Rot" waren als Bojen politischer Grenzen in der DDR-Politiker-Sprache
fest verankert. Sie entstammen der sowjetischen Geschichtsschreibung vom russischen
Bürgerkrieg. Rot, Weiß, Grün. Wer erinnert sich? Die Grünen
sind vergessen, mit Rot bemalten sich die Bolschewiken, das Kreidebleiche, das
Weiße überließen sie als Farbwert ausländischen Truppen,
Sozialdemokraten, Popen, Monarchisten und den Demokraten jeder Denkungs-Art.
Durchaus sinnfällig. Es erinnert an Physik: Alle Farben des Regenbogens
bilden Weiß. "Die Weißen" symbolisierten das Anti- Sowjetische.
Auch die Roten, die nicht Stalin selber waren, wurden als antisowjetisch verdächtigt.
Erst wenn ich alles das zusammenharke, erkenne ich den Wert der Arbeit an der
Bild-Aufschrift von 1957. Die von ausländischem Militär niedergemachten
aufständischen Ungarn wurden von einem deutschen Künstler mit deutschen
Schlächtern gleichgesetzt, die als Beherrscher eines Herrenvolkes Menschen
fabrikmäßig vernichteten, die ganz Europa fressen wollten. "Faschistischer
Terror", "Weißer Terror". Das sind seine Worte. Handschriftlich
vom Künstler auf das Bild gesetzt. Das läßt sich nicht mehr
wegreden. Das ist ganz präzises Zielen. Das nennen Militärgehirne
"Kimme und Korn auf etwas halten". Unmißverständlich deutlich
fixierten 1957 beide Bilder-Titel den besiegten Volksaufstand. Den Kampf um
nationale Unhabhängigkeit übersetzt der Künstler so: In Ungarn
haben letztes Jahr Faschisten und antisowjetische Kräfte die Bevölkerung
terrorisiert.
1956. Unverheilte Wunden. Ein in seine Friedensphase eintretender Weltkrieg.
Stasi-Militär erschoß in Budapest weit über hundert Demonstranten.
Der Mob antwortete mit dem Lynchen von Geheimdienst-Leuten. Plötzlich waren
Stasi- Männer vogelfrei. Ähnlich endete Mussolini in der Italiener-Menge.
Mit dem Vorgang wilden Unrechts - Töter gegen Töter - wurde die Rechtfertigung
für schlimme sowjetische Pläne eingeläutet. Fotos gehenkter Stasi-Männer
schockierten Zeitungs-Leser in der DDR und wurden als des Schreckens Terror
gegen Zivilisten auf den Titelblättern groß herausgebracht. Wie immer
in der Demagogie kam das Unsaubere am Volk den Schmutzigsten gerade recht. Bilder
halfen, eine wachsende Volksbewegung zum Verbrechen zu erklären. Die Lynch-
Szenen-Propaganda in Kunst übersetzen - das war kein privates Räuspern.
Hier spielte süffisante Politik mit Kunst und Künstlers Worten im
Kampf um Volkes Angst und Stimmung.
Künste werden nicht erschaffen, damit Zuschauer im Kreateur, ihr Charakterbild
erkennen. Charakter darf jeder an sich selber demonstrieren. Gefragt ist im
Hungaria-Steit auch nicht, weshalb oder wie oft ein Künstler seine Meinung
änderte. Das Abändern der Meinung steht auch den Malern frei. Was
den Maler 1957 im Innersten antrieb bleibt Vermutung. Strategie, Privatkram
und Persönlichkeit des Künstlers liegen bereits unter Vorurteilen
und Geschichtsbildern begraben; aber für den Blick auf Hintergründe
interessant, weil noch nicht verschüttet von Geschichte, sind die sehr
kantigen, die nachlesbaren Fakten.
Der Künstler war seit 1950 Mitglied der Partei, die ihre Lesart vom Aufstand
in Ungarn als faschistische Greueltat und Terror dem gesamten Land verordnet
hatte und jegliche Kritik daran verfolgte. 40 Jahre DDR - 39 Jahre Mitgliedschaft
des Künstlers in der herrschenden Partei. Das sind 39 Jahre staatsverbundene
Parteilichkeit des Künstlers.
1957. Der "17. Juni" saß noch in den Knochen der SED-Anführer.
Die Parteilichkeit des Künstlers wurde eingefordert. Verschwinden sollte
das Erinnern an 20.000 Tote. Das standrechtliche Massakrieren und zigtausend
Inhaftierungen, Abtransporte in den GULAG - das ganze Ungarn-Gemetzel, das Staatsverbrechen
der, mit der Partei des Künstlers verbündeten Besatzungsmacht durfte
nicht zur Sprache kommen. Stattdessen sollte die Erfindung vom notwendig gewordenen
Kampf gegen einen "Weißen Terror" die Intellektuellen überzeugen
und des Volkes Fürsprache kassieren. Notwendigkeit - eisernes Wort. Da
stand es steif im Raum, wie Nobodaddys fester Zeigefinger. Der Künstler
illustrierte die Phrasen der Partei. Die Volksbewegung wurde als grausam profaschistisch,
als "Weißer Terror" abgeurteilt. Die wissenschaftlich sozialistisch
durchtrainierte Psyche des Zukunftsmenschen war erleichtert - die ungarischen
Greueltäter mußte man vernichten, sie zertreten, an Häuserwänden
niederschießen. Nur so ließ sich des Lebens Frohsinn schützen
Die Parteilichkeit des Malers hatte sich bewährt.
Es war die Zeit, da Deutschlands Künstler Gerhard Richter von Ost nach
West entfloh.
Jetzt noch ein Wort zu Künstlers Freiheit. Des Malers Bild-Betextung kam
von weit Oben her, aber sie kam von keinem hochfliegenden Wolkenhügel künstlerischer
Freiheit auf den realen Boden der DDR herabgeschwebt. Um jeden Zweifel an der
Lesart auszuschließen, wurde die Bilder-Folge in der DDR veröffentlicht
unter dem »hochoffiziell vom damaligen Ministerium (für Kultur) genehmigten
Titel "Weißer Terror".« (H.D.Hey).[2] Die Propaganda wurde
demnach abgesprochen mit den SED- Hierarchen. Wir lesen deren Worte. Hier steckt
der Punkt, um den Frau Neubert den Zirkel ihrer dringlichen Bitte drehte, der
Punkt, den man in Erfurt auf den ersten Blick erkannte. Als die Bildfolge das
Atelier verließ, war des Malers Meinung die Politik der Diktatoren. Hinter
dieser "Meinung" standen politische Polizei und Strafrechts-Paragraphen,
Staatsanwälte, Spitzel - da strahlte nirgendwo hervor ein noch so kleiner
Zipfel "künstlerischer Freiheit". Des Titels Sprache war Gewalt,
war ganz profane Innenpolitik der DDR, war Teil der geistigen Unterdrückung.
Wer sich auf sowas einläßt, sollte für seine Seele mit den kühlen
Tagen rechnen, wenn das schützende Herdfeuer der Diktatoren verloschen
sein wird. Es ist verloschen.
Die neue ungarische Ordnung unter dem Kommunisten Nagy brach zusammen. Rotarmisten
hatten Budapest kapitulationsreif bombardiert. Ungarns Austritt aus dem sowjetischen
Militärblock wurde abgestraft. Zwangsweise von den neuen Herren eingesetzt,
wurde Ungarns Partei- und Staats-Chef Kadar ebenso zwangsweise zum Voyeur. Er
mußte bei der Hinrichtung seiner Genossen und seines Partei-Vorgängers
Nagy mit eignen Augen zusehen. Das war die faktische Politik eines Besatzer-Terrors,
der das neue Ungarn niederquälte, wenn wir schon von Terror reden. Genau
hier mischte sich die Bilder-Folge mit ihrer Wortwahl ein.
Schaue ich mich in der Bildkunst um, dann steht ein so spezieller, staatstragend
verbaler Angriff gegen eine ausländische Volksbewegung als Titel und als
Aufschrift eines Bildes in der Kunstgeschichte ziemlich einsam da, obwohl die
voll von sprachlich kuriosen und glänzenden Lügen ist. Entstehung,
Titel, Geisteshaltung der Terror-Bilder-Folge geben in allen denkbaren Fragen
den moralischen und künstlerischen Gegensatz zu Goyas "Schrecken des
Krieges" ab oder zu Kollwitz´ "Carmagnole". Als Künstler
mit Instinkt erahnend, daß im Bürgerkrieg die Rechthaber wüten,
überschrieb Picasso sein berühmtes Bild mit "Massaker in Korea".
Die männlichen Täter werden zur Maschine, die Opfer: Kinder, Frauen.
Der Angriff aus der DDR dagegen macht sich gemein mit Propaganda-Postern, von
Geistes-Tätern abgesichert.
Die Kokketteria einer aktuellen Szene begrüßte darin den akzeptablen
Chic sich auslebender Freiheit in der Umzäunung des modernen Künstler-Parks.
Doch das thüringische Parlament konnte diesen Chic nicht mit dem Charme
von Modedamen wie ein Bolerojäckchen tragen. Es hatte auf den im Parlaments-Gebäude
präsentierten Text antworten müssen. Die Worte Terror und faschistisch
sollten nicht verniedlicht werden. Ein Angriff mit dem Wort "faschistisch"
war auch schon 1957 entweder treffend oder demagogisch.
Eine Frau hat das erkannt. Sie wurde zur neuesten "Zensorin der Kunst"
erhoben, obwohl sie nichts zensierte und nicht zensieren konnte. Vielleicht
gehört zum Freisein auch, daß es den Zwang auf Präsentation
von Autoritäten noch nicht gibt, daß Leihnehmer entscheiden dürfen,
ob sich in ihrem Haus künstlerische Autorität als Kunst einfindet
oder als Politik im Interesse Dritter. Das Bild wurde von niemandem verboten,
der strittige Text nicht abgeändert, nicht verschwiegen. Das Bild erfreut
sich der Beliebtheit bei Kunst-Händlern und lebte auf, wo es den meisten
Platz erhielt - in den Feuilletons.
Die Kunst hat etliche Freiheiten erkämpft, aber nur eine öffentliche
Aufgabe erhalten, nämlich die, ihr Freisein immer wieder zu beweisen. Das
spielen mehrere Seiten gegen Frau Neubert aus. Worte werden inflationiert. Zensur
/ Faschismus / Inquisition. Die Wirkung dieser Worte wird so geduldig weichgetreten,
daß niemand mehr deren Bedeutung kennt, wenn ein ganzes Land der tatsächlichen
Zensur ganz plötzlich wehrlos gegenübersteht.
Was Bilderstürmen ist, weiß wohl auch niemand mehr. Frau Neubert
präsentierte keinerlei Gewalt, die aus der Bitte etwas anderes als eine
Bitte hätte machen können. Politischer Einfluß ist nicht identisch
mit politischem Diktat. Ein Zensor ohne Polizeigewalt ist nur noch Mensch mit
Meinung. Frau Neuberts einsame Waffe gegen die Präsenz des Textes war der
moralische Appell.
Anders die Bild-Aufschrift. Hinter ihr standen Zensoren, Repressionen, Polizei. Als sie "hoch offiziell genehmigt" wurde, bedrohte diese "Meinung" jeden, der andrer Meinung war, mit einem harten Bett im Zuchthaus, und jetzt erinnert mich daran das immer lauter tönende Orchester ihrer alten Anhängerschaft. Darunter fallen Stimmen auf, die wollen der Öffentlichkeit einreden, die Propaganda herrschender Diktatoren gehe auf jemandes private künstlerische Sensibilität zurück. Von diesen Stimmen wurde Frau Neubert vorgeworfen, sie handle "ohne jegliche fachliche Kompetenz". Das hat ihr Handeln widerlegt. Mit ihrer Bitte hatte sie der Öffentlichkeit genau die fachliche Kompetenz geboten, für die sie vom Land Thüringen bezahlt wird. Denn: in Erfurt ist die Rede nicht von der privaten Strategie der Anpassungen eines Künstlers an die jeweils herrschende Gewalt, es ist die Rede davon, daß es Versuche gibt, eine sprachlich fixierte, erpresserische Propaganda wieder hoffähig zu machen und ihre brutale Wucht zu leugnen.
Endnoten
1 Faschismus, 1935 definiert von Georgi Dimitrof, siehe Lexikon A-Z,
Leipzig, 1953
2 H.-D.Hey, "Kunst ist frei - aber nicht für Werner Tübke in
Thüringen. Die Bilderstürmerinnen von Erfurt" Neue Rheinische
Zeitung, 2006, Online-Flyer Nr. 53 vom 18.07.2006. Herr Hey hatte seine
eigene, gegen Frau Neubert angebrachte, "fachliche Kompetenz" in der
NRZ damit eingeleitet, daß er den Sitz des ostberliner Ministers
für Kultur in das "Ministerium für Kunst" umbenannte.