Glossen 25

Michael Augustin

Panoptikum

Der alte Friseur.
Die zerbrochene Schere.
Das wachsende Haar.

Der Mörder zieht's raus
und weist uns den Weg mit dem
blutigen Messer.

Gewaltbereit schneuzt
sich im Turm seines Panzers
der junge Soldat.

Höflich wie er ist,
zieht der hutlose Henker
zum Gruß seinen Kopf.

Jesus fällt vom Kreuz.
Doch der Pastor nagelt ihn
sogleich wieder dran.

Wenn es dunkelt und
keiner schaut hin, lächelt die
Maske des Bösen.

Geflügel

Die Vogelscheuche
singt ein Frühlingslied: Amsel
Drossel, Fink und Star.

Der Kuckuck ruft ins
Gedächtnis wie früher der
Kuckuck immer rief.

Keine Schwalbe, nein
ein Stürmer hängt in der Luft.
Grün flattert sein Hemd.

Die beiden Türme
stehn nicht mehr - doch die Falken
umkreisen sie noch.

Die Taube pickt
die Brocken aus der Kotze
am Morgen danach.

Die Vogelscheuche
jagt die fliegenden Fische
zurück in das Meer.

 

Tagaustagein

Zu früh aufstehend
betrachte ich neidvoll mein
schnarchendes Kissen.

Im Schwimmbad morgens:
Die verbitterten Alten.
Das Becken friert zu.

Vereister Gehweg
mit Schokoladengeschmack:
Das kleine Kind weint.

Duftlos die Tulpe.
Das Mädchen träufelt etwas
Rosenwasser drauf.

Aus dem Loch, das der
Taktstock des Dirigenten
gemacht hat, tropft Blut.

Der Wachhund dreht durch.
Kleines Moped schnurrt vorbei.
Der Abend raucht Gras.

 

Bin was ich bin

Auf hoher See in
seinem Tretboot der Dichter.
Eisberg in Gefahr!

Bestsellerautor
macht einen Waldspaziergang.
Rettet die Bäume!

Wegen der Pflaumen
im Kühlschrank: Nicht ich aß sie.
Der Dichter war es.

Nach Ameisenart
wetzt das erste Haiku los
und holt die andern.

Da fällt der Apfel!
Doch noch bevor er aufschlägt
fängt ihn das Haiku.

Bist kein Haiku! Sagt
Haiku-Polizei. Bin was
ich bin, sagt Haiku.