glossen 25


Gerd Sonntag

Raumschiff "Virus", gelandet
Des Malers Glas-Skulpturen-Schmelze

In einem Künstlerschädel, worin für die Produkte räumlich orientierter Phantasie deren Heranwachsen geplant wirdt, verlinken sich Logistik und Erfahrung mit Projektion und Aperçu. Nun geschieht gelegentlich, daß mit der Lust auf Raum, aber auf ungepflasterten Nebenwegen ein Maler in die Glaswelt eintritt, von innen her sein Ohr an ihre Grenzen hält und nach Geheimnissen ihrer Materie horcht. Wenn solch ein Maler gläserne Skulpturen fertigt, wird das Gros der Arbeitszeit verschlungen von der Vorbereitung auf die Schmelze.
Die Vorbereitung auf die Schmelze, die ich im Kommenden umschreibe, zielt auf eine Glasverformung mit zeitgleich ungleich großer Hitze. Triumpf bleibt aus. Gewohnheit gibt es keine. Es geht ins Ungewisse. Der Künstler läßt sich ein auf immer neue Risiken, die sich ergeben, wenn er im Ofen Schmelz-Etagen schichtet und hinter Wänden aus Keramikfasern jenen Teil der Gläser fest verstaut, den leichte Hitze nur verbiegen soll; wofür der Maler dünngläserne Streifen zwischen Platten schiebt und drückt und drängt, damit das so bedeckte Glas während der Schmelze vom flüssig weichen Glas nur leicht touchiert wird.

 

Strahlungsschatten und Etagen

Hitze von oben. Glut und Strahlung. Substanzen lösen sich. Staubfelder weichen. Doch unter Dächern wankender Etagen hält sich Kühle. Dort dunkeln Strahlungsschatten vor sich hin, die über abgeschirmten Gläsern ruhen. Stockender Glasfluß, Schatten, Härte. Spannung. Wärmeblocker. Des Künstlers Sinn verbündet sich beim Glasverformen mit den Widersachern homogener Schmelzeprozesse. Absichtlich läßt er Stücke dünnen Glases, von der Strahlung abgeschottet, noch in kühler Starre schläfernd liegen, da beginnt ein andrer Glasanteil, vom Schmelzpunkt schon verweichlicht, sich abwärts zu bewegen. Das weiche Glas befingert die noch steife Haut der schattenkühlen gläsernen Verwandtschaft in den unteren Etagen.

Es gehört zu all den Widersprüchen einer solchen künstlerischen Arbeitsweise, daß der Maler auf die Böden und auf schräge Wände schief geschnittener Keramikfaser-Plattenbauten gläserne Wackeltürme setzt und ungeschütztes Glas gefährlich nahe an die Wärmequellen seines Ofens rückt. Er liefert es der groben Hitze aus. Langsam davonkriechend wie eine schwermütige nackte Schnecke flieht das Glas aus dem Bereich der Gluten. Es sinkt dem kühlen Glas entgegen. Der Glasfluß leckt am äußeren Terrain der Strahlungsschatten, schlürft an aufgestautem Glas und weicht es an, so daß es aus den Spalten der Etagenwandung schlingert.

 

Glasfluß im Wackelturm

Für seine Schmelze schneidet sich der Maler zunächst Gläser kalt zurecht als Scheiben oder Streifen in gewünschter Form - Halbkreise, Wellenlinien, Unregelmäßigkeiten und Geraden. Die so geschnittenen Gläser verbindet er mit Teilen feuerfester Materialien, mit denen er im Ofen die eigentliche Konstruktion der Schmelzformen errichtet. Die Formen für die Schmelze wachsen unter seiner Hand im Ofen sozusagen erst heran. Für die Verbindung Form und Glas ist dem Künstler jede Hilfe recht, wenn sie die Schmelze übersteht und dem Glas nicht schadet.

Er achtet auf Notwendiges. Einige der Farbglasstreifen läßt er über ihren Schwerpunkt schwankend auf den Spitzen von bizarren Gipfeln seiner Formgebilde taumeln - eine nicht fixierte Wippe. An andrer Stelle wird das Glas verklemmt. Er verkeilt es zwischen Ofenwand und Formenstücken, und der Künstler schreckt auch nicht davor zurück, das Glas mit Teilen seiner Form fest zu verdrahten. Er schnitzt Rinnen, Ritzen, Täler, er baut Brücken und bohrt Tunnel, er hängt das kalte Glas in kleinen Säcken aus Kupferdraht an dünne Galgen, er schichtet es zu Farbglas-Pyramiden auf und moduliert konkave und konvexe Formen, über die das Glas sich während seiner Schmelze langsam biegen wird.

Mit solcher List, mit Lust und mit Voraussicht lockt der Künstler das heiße Glas in die Rinnen eines unbeständigen Konstrukts, das der Miniaturdarstellung von klapprigen Schienensträngen auf unsicheren Hängebrücken ähnlicher ist als einer Schmelzform. Das träge Glas, es fließt, es tropft, es schleicht an den dünnen Teilen der wackeligen Form entlang wie schwerfälliger Honig an den Zweigen eines Baumes. Auf seinen Schleich- und Sturzwegen verfängt es sich formabwärts in des Künstlers drahtig aufgesteckten Hindernissen. Dort verschluckt der Glasfluß das vom Maler hingekrümelte Gepulver aus gebranntem Gips, um sich weißlich grau zu färben. Diese Stellen werden nach dem Schmelzen undurchlässig für das Licht.

Für kurze Zeit schwebt in der Werkstatt eine Stille, als würden alle Dinge lauschen. Die Stille bricht. Der Ofen pocht. Mit Spannung hört der Künstler auf die tuckernden Geräusche, das Knacken in der Ofenuhr - er weiß: bald wird das Glas das Glas begehren, sich über alle Hindernisse drängen, sich der Vereinigung entgegenschieben wie weiches Fleisch dem Fleische. - Der Ofen schweigt. Es folgt die Abkühlung.

Nach dem Schmelzen senkt der Künstler sein Gebinde aus verschmolznem Glas und Schmelzform in ein Wasserbad. Die Drähte werden aufgeschnitten, die Formenteile aufgeweicht, vom Glas getrennt und abgewaschen. Es wird seziert. Die scharfen Grate werden abgeschliffen.

 

Die Malerei mit Glas

Für das Mischen seiner Farben nutzt der Maler-Glas-Verschmelzer eine Palette kompatibler Gläser. Er schneidet sich aus Scheiben Farbformen zurecht, die Elementen seiner Bilder sehr verwandt sind. So arbeitet der Künstler mit transparenten Farbformen des Glases, als wären sie die steife Variante seiner Farben aus der Tube. Die Farben mischt er sich aus Glas im kalten und hernach im heißen Zustand. Das Mischen kalter Farben im ersten Arbeitsschritt ist ein Verbinden kalter Gläser, die mit Drähten i n und a n der Form verknotet werden. Ein skulpturales Formgewirr aus Glas und Draht und Gips und aus Keramikfaser wird aufgebaut wie eine Kleckerburg mit eingesetzten Stützen, an denen krumme Formenteile baumeln. Die sind zerbrechlich dünn geschnitzt und werden ebenfalls mit Drähten an die Form gehängt. Ihr Inneres, das Glas, die Farbe, mischt sich im Verlaufen.
Im zweiten Gang bereitet der Skulpteur das heiße Mischen seiner Farben vor mit sorgfältigem Übereinanderlegen des noch kalten Glases.

Es wird aufgeschichtet. Danach wird mit dem Farbglas moduliert. Glaskrümel, Splitter brechen reine Farbe, schaffen weiche Übergänge oder modulieren einen Halbton. Manchmal hocken sie auch obenauf wie pastose Tüpfelchen. Mit dem Marderhaar des Pinsels fegt die Malerhand verstreut liegende Krümel so zusammen, daß sie auf den Farbglasstreifen sanfte Linien bilden, kalt gemischt.

In Erwartung seiner Schmelze, im kalten Zustand endlich aufgeschichtet, ähnelt das Getürm der instabilen Formenteile einem provisorischen Gerüst aus Knüppeln und aus dünnen Latten, einem Etwas, das sich an der Hoffnung festhält, die Knoten dünner Riemchen könnten es am Einsturz hindern. Wer jetzt in den Ofen schaut, will nicht glauben, daß aus diesem kränklich wankenden Gerippe Haltbares entstehen wird.

Die Hitze läßt den Turm zusammensacken. Die Hitze malt, sie wird zum Pinsel für den Künstler. Die Malerei, das Sich-Bewegung aller Farben, beginnt erst mit der Schmelze.

830 Grad. Das Glas, das Material, die Farbe, tropft herab von hohen Galgen, quält sich aus orange verfärbten Säcken glühend heißer Drähte heraus und schlängelt sich durch kleine Tunnel anderen Farbformen entgegen. Jetzt malt das Feuer mit dem weichen Glas. Es herrscht nur wenige Minuten. Rauhe, weiche, tiefe, flache, vom Künstler in die Form geschnitzte Wege hinterlassen in dem Glasfluß Spuren, die Pinselstrichen ähneln. In den Nischen, in der Tiefe, sammelt sich das Glas als Masse.

Es ist ein Spiel, gespielt nach strengen Regeln, die dem Zufall ihre Zähne zeigen. Der Hersteller von Maler-Glas-Skulpturen dirigiert das Spiel unter Bedingungen der additiven und der subtraktiven Farbmischung. Spektralfarbe und Farbe an der Oberfläche. Auflicht. Durchlicht. Transparenz und Licht und Schatten.

Wo ihm die Malerei mit Glas nicht hinreicht, dort ergänzt der bildnerische Künstler das Vermischen farbigen Glases mit dem Einschmelz von Metalloxiden und diversen Materialien. Er verzichtet nicht auf schon Bekanntes, nicht auf Sand, nicht auf die Wirkung von Graphit und von Titanweiß, er läßt Ton und Gips sich mit dem Glas verbinden und erzeugt mit Kochsalz "Elefantenhaut".

 

Das Innere der gläsernen Skulptur

Der Glas verschmelzende Maler malt mit Glas, zeichnet mit Draht. Beides tut er im Innern der Skulptur. Den Draht, den er vor dem Verschmelzen mit der Pinzette durch die Teile seiner Schmelzform fädelt, den Draht, den er zwischen gläserne Streifen und zwischen Bruch-glasstücke legt oder unter Glassplitterhäuflein verschüttgehen läßt, diesen Draht nutzt er als zeichnerischen Strich im Inneren der Körper seiner Glasobjekte. Mitunter bilden weiche Kupferfäden ein Gewebe - die festen Drähte: ein Geflecht.

Krakel, feine Linien, Linienverfitz, Liniengestrüpp und Gitter entstehen aus den Drähten - Draht, stark und kurz wie Schweineborste, oder dick wie eine ungespitzte Bleistiftmine, dann aber, spinnwebenschwach, ein Hauch von schwächlich dünnen Drähtlein, dünner noch als Raupenseide, in das Glas hineingeatmet - so bewegt der Künstlers seine Zeichnung.

Wenn es ihm gefällt, führt er die Linie aus dem Inneren des Glases an die Oberfläche und läßt den Draht ins Freie ragen. Jetzt greift die Linie in den Raum.

Für das Erschmelzen einer Glasskulptur und das Errichten ihrer Form vereint der Maler, dessen Kunst ich hier beschreibe, seine Lust am Malen mit der Strenge beim Gravieren, und beides wird umschlossen von der Erfahrung des Skulpteurs, der sich an Terrakotten schulte.

Im Inneren der Malerglasskulpturen glimmen feine, feinste, Lichtkanäle, Abdrücke der in garstiger Laune aufgerissenen Unebenheiten, die der Künstler mit der Nadel oder mit der stumpfen Kante eines Schraubenziehers in die Schmelzform ritzte. Kanäle, in denen Lichter blitzen und Reflexionen splittrig klirren, wenn sie das Glas nach dem Erkalten zum Erglitzern bringen.

 

Auge und Tageslicht

Das Tageslicht zieht durch des Malers Glasskulpturen mit Sonnenspiel und wolkengrauen Pinselstrichen. Ein Hort wechselnder Stimmungen für den Betrachter. Der Wechsel rührt das Auge an mit dem Verlauf der 24 Tages-Stunden und zieht sich übers Jahr und sammelt alle farbliche Temperierung ein. Der aufmerksam Betrachtende, wenn seine Blicke in den Lichtkanälen wandern, kann leicht die Malerei i m Glas erkennen. Wechsel der Farbigkeit im Inneren. In Räume Greifendes, in Räumen Wirkendes, Räume Bestimmendes. Das Kolorit. Die Zeichnung. Das Innenleben der Skulptur.

Im Fensterkreuz die niedrig aufziehende Morgensonne sticht ihren Strahl direkt ins Auge des Betrachters. Hinein ins Auge, durch die gläserne Skulptur hindurch, springt die sonnig klare Helle, und die Transparenz des Glases wühlt dem Auge Farben auf, die in den Tiefen der Skulptur verborgen waren. - Ein mittäglicher Sonnenstrahl im Wolkenriß. Er streicht ganz plötzlich Oberlicht über die gläsernen Skulpturen. Glanz und Staub in stumpfen Wellen lagern auf der Haut des Glases. Licht und Schatten befriedigen das Auge. Natürlichkeit. Plastizität.

In mattem Dunkel eingetrübt von Wolkenzügen düsterer Novembertage zieht sich die satte Farbigkeit zurück auf einen sparsam angelegten Haushalt in der Stille. So, wie der Blick auf ferne Wälder das Gebäum zusammenzieht, so tritt die glaserfüllte Farbe, herbstlich blau gefiltert, ihre Wirkung auf das Auge an das Ganze ab. Hier richtet nicht Ästhetik, ob das Dekor gelungen sei, hier wirkt die Arbeit an der Wandlung, die Saat im Hirnfeld des Beschauers.

 

Das Kunstlicht

Grelle, helle Räumlichkeiten stürzen die Bewohner großer Städte in die Fluten ihrer Kunstlichtwelten. Supermärkte, Treppenhäuser, Hallen der Kunst, Kanzleipaläste, mit Werbetext illuminierte Strassenzüge, Empfangsräume, nervöses Neonflimmern in den Fluren von Behörden.
Geschickt gesetztes Kunstlicht, inszeniert als Gegenlicht und Auflicht, übertrumpft die Transparenz, welche das Tageslicht den Malerglasskulpturen noch entlocken konnte, das Kunstlicht stachelt auf zu aggressivem Leuchten. Die Skulpturen strahlen. Sie strahlen wie Insignien kapitaler Herrschaft. Strahlende Pracht gläserner Technik. Es ist, als wollte der Künstler an der Pracht das Unerträgliche noch steigern, als würden die Skulpturen zu Komplizen imperialen Glamours.

Doch da wurmt ein Gegensatz. Gegen das Strahlen dieses Glamours kämpfen die eingeschmolzenen Materialien und die dunklen Drähte an wie eine kleine, eine vom Künstler in die Glaswelt eingeführte, rostig irdisch kümmerliche Mannschaft für das Erinnern an Vergängliches.

Vielleicht ist ein Vergleich hier angebracht. Als Kind hat man es oft beobachtet: Man schaut hindurch, durch die gläserne Umwandung ihres wässrigen Zuhauses und sieht im Kunstlicht der Aquariumbeleuchtung die Perlmutt-Schuppen dickbäuchiger Fischlein schillern, aber im Inneren der kleinen Pracht pulsieren Herzen, und Gedärm bewegt sich, zuckt vor Anstrengung.

So auch die eingeschmolznen Drähte, die groben Innereien. Sie illusionieren dem Betrachter ihr Bewegtsein, als würden sie sich winden, durch das Glitzerglas hindurch, wie sein Gedärm, sein schändlich rohes Innenleben. Organisches. Stoffwechseldünste. Anorganischer Zerfall.

Es gibt noch eine andere Betrachtung. Während der Schmelze bog das Drahtgeflecht sich unter der Last des glühend heissen Glases - doch mit Effekten schriller Illuminationen angegriffen, wird die Phantasie verführt zu dem Gedanken, die Drähte könnten sich womöglich krümmen unter dem harten Lächeln gleissender Siegerstrahlen grellen Lichts. Das verrottend Menschliche, es ächzt im Glanzlicht der Behausung. Punkt.