Glossen 25


Die Erfahrungen des Schriftstellers Utz Rachowski in drei deutschen Staaten

Walter Schmitz


Ich möchte Utz Rachowski einen Erfahrungsschriftsteller nennen. »Schließlich kann keine Literatur mit ihrem Zynismus das wirkliche Leben übertrumpfen«, heißt es einmal bei Anton Tschechow, in einer Passage, die Utz Rachowski seinem Band Erinnerungen an eine Jugend. Essays / Akten / Tagebuch (1995) als Motto vorangestellt hat. Auf der Dreiheit von essayistischer Reflexion, aktenmäßiger Dokumentation und subjektivem Tagebuchnotat, wie sie der Untertitel jenes Bandes benennt, baut Rachowskis Erzählen auf. Nicht das ›innere Erlebnis‹, ebenso wenig die scheinbare Verläßlichkeit des bloßen Dokuments verbürgen die Authentizität seines Schreibens, sondern die ›Erfahrung‹, die politisch-gesellschaftliche Umwelt im Spiegel des Ich. Sensibilität der Wahrnehmung und Genauigkeit der Beschreibung müssen für einen Schriftsteller wie Utz Rachowski übereinkommen; die ›Erfahrung‹ ist nur mitteilenswert, wenn einerseits ihr Anlaß in der Welt genau wahrgenommen -- und das heißt auch: begriffen -- wurde, wenn aber andererseits das schreibende Ich überhaupt zur überraschten oder bestürzten Wahrnehmung dessen fähig ist, was sonst in der Verdrängungsroutine des Alltags als ›normal‹ gilt. Hans Sahl hat deshalb dem Erzähler Utz Rachowski eben den »Mut zu jener vielsagenden Einfachheit, die man Dichtung nennt,« zugeschrieben.1

Damit rückt Rachowski -- und auch dies hätte der Exilant Hans Sahl aus eigener Erfahrung kommentieren können -- an den Rand eines Literaturbetriebes, der sich für den zentralen Ort von Literatur hält, während diese zur Nebensache wird. In einer ›postmodernen‹ Literatur, der die Welt eine Konstruktion bedeutet, der man genießend oder ironisch beikomme, in einer Professionalisierung, die den Betrieb in Gang halten muß, ist der Lebenstakt der Erfahrung schwerlich einzubringen. Utz Rachowski findet sich unter jenen Opfern des DDR-Regimes, deren Erfahrung offenkundig nicht auf die Tagesordnung gehört. Es gibt die pathetischen Opfer, die in der Geschichte deutscher Literatur seit der Literaturrevolte der ›Moderne‹ eine alternative Tradition bilden, und es gibt die Opfer, die man vergißt. Utz Rachowski nimmt --- aus eigener Erfahrung -- diese Genealogie aufmerksam wahr: Neben Georg Büchner, der Ikone literarischer Revolutionsmärtyrer, steht für ihn deshalb der junge Minnigerode.

Rachowski schätzt Georg Büchner, geschrieben hat er nicht über den revolutionären Schriftsteller und auch nicht über dessen ›Kunstfigur‹ Georg Woyzeck, sondern geschrieben hat er über jenen »Christian Woyzeck, der der Sündhaftigkeit seiner Marie mit dem Messer beizukommen versuchte«2 und im Jahre 1824 hingerichtet wurde, -- und zwar, wie Wolf Biermann meint, einen seiner besten Texte.3 Dieser Text ist »ein innerer Monolog des armen Mörders, auf dem Weg zum Blutgerüst auf dem Naschmarkt«, ein nüchterner Text, frei von wohlfeilem Moralisieren, aber ein Text, der das Opfer selbst zu Wort kommen läßt.4 Geschrieben hat Rachowski über die ›Namenlosen‹, die in der Tradition der Sieger vergessen werden: »ich weiß die Namen«, versichert der Erzähler.5

Von Karl Ludwig Minnigerode ist kaum einmal die Rede gewesen in der Geschichte der Deutschen. Utz Rachowski hat ihm einen Essay gewidmet, der den Titel trägt: "Red' mir nicht von Minnigerode."6 Georg Büchner soll ja, als er auf dem Totenbett lag, wohl in seinen Fieberträumen immer wieder den Namen dieses Schulfreundes gerufen haben, jenes jungen Mannes, der aus dem Kreis der Giessener und Butzbacher Verschwörer als einziger verhaftet, ins Gefängnis geworfen wurde und trotz des Einflusses seiner Familie -- der Vater war Gerichtspräsident am Hof zu Darmstadt -- die Haft nicht überlebte. Am 1. August 1834 festgenommen, starb Minnigerode im Gefängnis. Der Freund Georg Büchner ging ins Exil, fand literarische Förderung, verlobte sich in Straßburg, wurde Privatdozent in Zürich, starb ebenfalls früh. Zu seinen Lebzeiten erschien die Revolutionstragödie Dantons Tod in einer von Karl Gutzkow vorsorglich bearbeiteten Fassung. Zu den Siegern der Geschichte zählte auch Büchner nicht, doch die Erinnerung hat, was ihn angeht, die Maßverhältnisse revidiert. Schon Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich der Kanon -- nicht mehr die repräsentativen Klassiker der Nation, sondern die anderen, die Verfolgten, die Kranken, die Genialen, denen wenig Verständnis und kaum Förderung, kein Ruhm zu Lebzeiten zuteil wurde, sie korrigierten, für eine Weile, das Bild der Deutschen von sich selbst: Büchner, Hölderlin, Kleist oder auch -- als einzige Frau -- Bettine von Arnim gelangten in dieses alternative Pantheon. Von Minnigerode war weiter nicht die Rede. Er gehörte auch im Kampf um die Erinnerung nicht zu den Sieger. Warum auch? Ein Werk hat er nicht hinterlassen, viele sind jung gestorben, auch die Kämpfer müssen Erfolge vorweisen, wenn sie für die Nachkommenden interessant bleiben wollen, zumindest ihr Scheitern muß großartig sein. "Red' mir nicht von Minnigerode." Die Erfahrung des kurzen Lebens dieses jungen Mannes war mehr als bitter. Er hatte sich aufgelehnt und dafür mit dem Tode bezahlt.

Minnigerodes fast unbemerktem Tod entsprach die Löschung des Gedenkens an ihn, die Verfolgung noch über den Tod hinaus. Diese Techniken haben die Machthaber seither perfektioniert: »Ungehört, ohne Geräusch, lautlos beinahe, kommen die neuen Urteile daher. Von niemandem wahrgenommen als von den Verfolgten selbst. Diese gibt es.«7 In der Diktatur wird geleugnet und vertuscht, was geschieht. Und nach der Diktatur zeigt sich, daß ihre Strategien extrem waren, aber nicht völlig einmalig; die Machttechniken wandeln sich, doch die Opfer bleiben dieselben. Und wer von der Realität der Verfolgung Zeugnis gibt, stört das gute Gewissen der Unbetroffenen: »Jene aber fehlen. Jene aber, gelangweilt von diesen, den alten Namen der Verfolgten und den neuen, bist du, der schon alles weiß, klug genug, wie du es sagst, her von früher. Red' mir nicht von Minnigerode und diesen anderen, deren Namen keiner kennt. Was mit Büchner war, hatten wir hier vor der Haustür.«8 Die ›Erfahrung‹ des Unrechts überbrückt die Zeiten.

Ich möchte Utz Rachowski in diesem Sinn einen Erfahrungsschriftsteller nennen, ihn damit in die literarische Konstellation fast eineinhalb Jahrhunderte nach Minnigerode stellen, in das Jahrhundert der Diktaturen, das die Zahl der vergessenen Opfer fast unzählbar gemacht hat, und zudem noch in die literarische Konstellation von West- und Ostdeutschland.

Im Jahr 1965 wurde eine Maxime aus einem eben erschienenen Roman -- Mein Name sei Gantenbein von Max Frisch -- schnell zum geflügelten Wort: »Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht, jetzt sucht er die Geschichte dazu.« Seit längerem war das Identitätsproblem in der nachgeholten Moderne der westlichen deutschsprachigen Länder zum »Markenzeichen« einer anspruchsvollen Literatur avanciert.9 Die Pluralisierung von Lebensläufen, die Verwandlung des Individuum in ein ›Multividuum‹, wie sie Martin Walser konstatiert hatte, dies alles initiierte eine literarische Suche nach dem archimedischen Punkt in der Existenz des Menschen selbst. Vielleicht war deren Wahrheit nicht mehr sagbar, aber sie konnte sich zumindest in der Vielfalt möglicher Geschichten als verläßliches Muster ausprägen. In solchem ›Spiel‹ des Geschichten-Erfindens bildet sich das Muster einer Existenz ab. Die Geschichte nahm freilich ungerührt von diesen Suchbewegungen ihren eigenen Gang. Die so genannte 1968er Generation versuchte in Protest, Provokation, innergesellschaftlicher Aggression und entschieden linker Politisierung, Geschichte und Geschichten der einzelnen wieder zusammenzuzwingen, kam jedoch nach wenigen Jahren des revolutionären Optimismus wieder bei der Sorge um das eigene Ich an. Dass sich im Osten Deutschlands, der damaligen DDR, eine strikt antithetische ›Erfahrung‹ entwickeln könnte, war dabei im Westen den wenigsten bewußt. Man kannte die literarischen Zeugnisse einer identitätszweifelnden DDR-Literatur. Was aber die Aneignung dieser gesamtdeutschen Thematik von Identität und Identitätsspaltung etwa bei Christa Wolf doch dem Vorbild Uwe Johnsons -- und damit einer Erfahrung des Exils -- schuldete, blieb gleichfalls undiskutiert. Utz Rachowski, damals ein Schüler im Vogtland, hatte schon den Aufbruch 1968 ganz anders erfahren. Der in der Tschechoslowakei erhobene Anspruch des Volkes auf Freiheit wurde in der Geschichte erst gar nicht zugelassen. Panzer unterdrückten ihn; »500 000 ausländische Soldaten« überschritten »die tschechoslowakische Grenze.«10

Rachowski wuchs in einem Staat auf, der die Erkenntnisse über den Sinn der Geschichte beanspruchte und die Verfügungsmacht über den Gang der Geschichte auch gewaltsam durchsetzte. Die Geschichten, die der einzelne erleben konnte, wurden von der Kollektivgeschichte überschrieben. »Geschichten vergehen zu Nichts / während gnadenlos Geschichte passiert.«11 So wird der Staat DDR zur Instanz der Lüge und der Sprachverwirrung, wird -- wie es schon seit den fünfziger Jahren eine Kennmetapher festhält -- zum ›Turm zu Babel‹.12 Damit wird die Literatur im Kern, in der Sprache selbst, gefährdet; hier gilt es, die Wahrheit des Wirklichen schreibend zu bewahren; Literatur wird Zeugenschaft. Und das ist die Erfahrung, die Utz Rachowskis Leben und Schreiben geprägt hat: »Das läßt sich nicht erfinden«,13 muß aber beschrieben werden. »Was die Exilierten der Geschichte entgegenzustellen haben," -- so nochmals Hans Sahl -- „sind ihre Geschichten, ihr Schreiben.«14 Die Autobiographie legitimiert jedes Erzählen bei einem Autor, der Zeugnis ablegen will.15 Und wenn das ›Spiel‹ der westlichen Literatur noch nach einer Verbindung mit der Wirklichkeit sucht, so ist die Erfahrung der Dissidenten im Osten Europas unabweisbar wirklich: »Es war kein Spiel.«16 »Seht euch die Erfahrungen der Dissidenten an,« mahnt Rachowskis Freund Jürgen Fuchs die BRD-Öffentlichkeit, »die sind wichtig, weil sie das Unmenschliche des dortigen Systems zeigen, wovon wir immer geredet haben, die meisten Linken wollten aber davon nichts hören. Jetzt gibt es Schriftsteller, die mit ihrer Biografie und ihren Büchern nachweisen, was vielen angetan wird mit Mauer und Diktatur.«17

Die Stationen seiner Erfahrung hat Rachowski in dem Essay "Mein Gefängnis" knapp skizziert.18 Aus dieser Erfahrung ergaben sich andere Geschichten: »Und warum werden, erzählt man eine Geschichte, immer so viele daraus?«19 Es sind diese besonderen Geschichten, denen der Schriftsteller Utz Rachowski verpflichtet bleibt. Er spricht, wie es in einer der raren verständnisvollen Kritiken heißt, von »den Geschichten betroffener Menschen, die ja die Geschichte selbst ausmachen«.20 Es sind Geschichten von Minnigerode und seinen Nachfahren, und sie lassen sich mit dem Stand der literarischen Kunst und ihrer Instanzen nicht ohne Weiteres verrechnen. So bleibt Rachowski ein wenig bekannter Autor, nicht gerade ein ›Minnigerode der Literaturgeschichte‹, aber einer, dem, wie ihm 1992 der damalige Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirrmacher erklärte, eigentlich ›nicht zu helfen‹ ist.21

1. Kindheitsraum

Vielleicht ist die ›Kindheit‹ »die zentrale Metapher in Rachowskis Texten«22. Gespalten jedoch ist das sonst mit der ›Kindheit‹ des Menschen verbundene, in der deutschen Kultur so hochgehaltene Konzept ›Heimat‹ unter dem Druck und Anspruch der ›sozialistischen Heimat‹ DDR.23 Selbst im Vogtland, wo der Junge aufwächst -- scheinbar fernab von den Zentren der Macht --, begrenzt der Staat den Zeit-Raum ›Kindheit‹, läßt nur noch einen immer mehr schrumpfenden Rückzugsraum zur Entfaltung des Kindseins und setzt schließlich eingreifend der Kindheit ein abruptes Ende. Der letzte Tag der Kindheit markiert den Einbruch der Geschichte in diesen Kindheitstraum.24 »Da unten im Vogtland, nahe der Grenze zur Tschechoslowakei, wurden ja die Truppen der Nationalen Volksarmee schon vorher wochenlang in den Wäldern zusammengezogen. Dort warteten sie auf den Marschbefehl, um 1968 gemeinsam mit den Warschauer-Pakt-Brüdern den Prager Frühling niederzuschlagen.«25 Als die Panzer durch den kleinen Ort im Vogtland rollen, als der ältere Bruder verzweifelt versucht, die Okkupationsarmee aufzuhalten, da wird dem kindlichen Erzähler schockartig deutlich, daß eine menschliche Geschichte in Mitteleuropa noch weiter unmöglich bleibt. Spuren einer Subversion und Zerstörung von ›Kindheit‹ durch Staatsgewalt sind in vielen Erzählungen Rachowskis nachgezeichnet.

Umgrenzt und unterwandert wird die authentische Erfahrungs- und Lebenswelt von der Lüge. Die Erzählung "Brotnacht" ist unter ein Motto von Wolf Biermann gestellt: »Sie stopfen der Wahrheit das Maul mit Brot / Und was wird bleiben vom Brot? / Daß es gegessen wurde.«26 »So ist das immer«, folgert zuletzt die Großmutter dem Kind -- »Prüfe die Nachricht, ehe du sie frißt, das mußt du dir merken.«27 Denn sie »mißtraut den Nachrichten ein Leben lang, den guten, den bösen. Die Nachrichten beginnen, sich zu verwirren, je älter sie wird, und die wahren, die erfundenen quälen sie.« »Eine seltsame Sage«28 bildet das Zentrum eines Textes, der von Metaphern gegliedert, schließlich die Prägnanz der Exempelerzählung erhält -- abermals die Worte der Großmutter: »Ja, wir haben alle viel zu lange das Brot des Bösen gegessen. Als hätten wir nicht gewußt, was davon bleiben wird.«29 Im "Kindheitsmodell" formuliert Utz Rachowski -- ohne programmatische Markierung, ›einfach‹ erzählend -- zwei der grundlegenden Parameter seiner Poetologie, die unverfälschte Erfahrung und das verläßliche Zeugnis. Denn das Kind bekräftigt die Erfahrung: »Ich habe alles gesehen und gehört.«30

Beide Male ragt gleichsam die Großmutter aus einer anderen Zeit als Figur des menschlichen Maßstabs und der Wahrheit in die sich korrumpierende Gegenwart. Die Herkunft gibt einen Rückhalt gegenüber der von den Mächtigen geplanten Zukunft. -- Zur Herkunft gehören für Utz Rachowski vor allem die polnischen Vorfahren. Die zweite Hälfte des Gedichtes "Über das slawische Herz"31 lautet:

Das slawische Herz ist die Träne im Lachen
des Menschen,
mit der er Abschied vom Lachen nimmt, bis
zum letzten
Abschied.

Das slawische Herz ist der Tropfen
Wermuth in der Quelle
der Liebe, die Schramme am blinkenden
Schwert des Todes,
der Rotdorn im Auge der Feigheit, der Rost
an den Stützen
der Welt.

Das slawische Herz liegt zu Füßen der
Schönheit und sitzt
der Macht im Nacken.

Das slawische Herz erhältst du, wenn du dir
zuerst an die
Brust schlägst und dann an die Stirn.

Dann liegt es in deiner Hand, das slawische
Herz zu finden.

Wolf Biermann schreibt sogar Rachowskis Erzählen ›östliche Tugenden‹ zu, »die es im Westen genauso gibt, aber vielleicht seltener: altmodische Leidenschaft, moralischer Ernst, melancholischer Humor.«32 In der Identifikation mit seiner polnischen Herkunft bekennt sich Rachowski jedoch stets auch zur Erbschaft des Widerstands -- und der Dichtung als Widerstand. Polen, das »Land der Poesie«,33 hat unter kommunistischer Herrschaft eine Kultur des Mutes hervorgebracht: »Polen wurde für mich zu einer Offenbarung, die Jazzkeller, die Theater, die Zirkel der Intellektuellen.«34 So liest Rachowski nach einer Polen-Reise im RIAS die Gedichte des Tomasz Iastrun: »Auf deutsch, mit meiner Stimme, las an gegen die aus Lügen, gutbezahlte, die sich Stimme der DDR nannte. Wenn wieder ein Sender Gleiwitz als überfallen gemeldet worden wäre, wollte ich meine Arbeit getan haben. Ich habe einen polnischen Nachnamen und wußte, daß auch die Lehrerinnen und Redakteure in der DDR ihre Arbeit tun würden. Ich verzeihe ihnen nicht.«35

2. Genealogie / Spurensuche

In der Erzählung "Väter und Söhne", Rachowskis »erste Veröffentlichung im Westen überhaupt«, deren »Titel nicht nur zufällig mit Arbeiten von Hemingway und Turgenjew« korrespondierte, kommt die ›Verteidigung der Kindheit‹ in der Geschichte zum Austrag: »Das Verhältnis zwischen den Generationen unter den Bedingungen von Diktatur, das war also angesprochen.«36 Die Autoren, die aus der ›in die DDR hineingeborenen‹ Generation stammen, fragen in ihrer Familiengeschichte zugleich nach der -- offiziell geleugneten -- Genealogie der »zwei ineinander übergegangenen deutschen Diktaturen«.37

In der genealogischen Erzählung verbirgt sich ein poetologisches Bekenntnis. Es geht auch zunächst um den richtigen und falschen Umgang mit Büchern. Das Leben des Vaters freilich ist hinter Büchern gut verborgen. Sie bilden eine kompakte Wand. Erst wenn man hinter sie zu dringen vermochte, fand man ein Buch, das viel preis gab, man fand die Bibel des Vaters mit seinen Anstreichungen. Diese Anstreichungen funktionieren das Buch um. Es sind die Anstreichungen eines Antisemiten. Aber der Mißbrauch widerlegt nicht das Buch. Für den wahren Text der Bibel vielmehr wird in der deutschen Geistesgeschichte gekämpft, seit es Protestanten gibt. Der geschriebene Text muß lebendig werden im Akt des Protestierens. Protestieren bedeutet, die tote Schrift in lebendige Wirklichkeit zu übersetzen. Zuerst war es Luther, der sich bei seiner Übersetzung in dieser mitteldeutschen Geschichtslandschaft gegen den Teufel selbst zu wehren hatte: »Vielleicht gibt es auf der Welt gar nicht so viele Tintenfässer, wie unbedingt nötig, um sie allen Teufeln an den Kopf zu werfen, die einem an den Hals wollen. Ein paar Gläser habe ich, Ökonomie der Seele und des eigenen Halses, gutverteilt auf Papier ausgeschüttet. Das Beispiel steckt an.«38 Die Chance, eine andere Stimme aus der Bibel zu hören, hat der Vater ausgeschlagen, seine Lektüre bricht ab. Er »zieht mit zwanzig als SS-Anwärter und Schütze in den Krieg gegen Polen, sein Geburtsland, aus dem sein Vater zehn Jahre vorher geflohen war, um nicht Soldat werden zu müssen.« Er nimmt nicht zur Kenntnis, was Tadeusz Borowski, der Auschwitzhäftling, der dann 1951 Selbstmord begeht, zu bezeugen hatte, den Mord und das Verbrechen. Er kommt in ein anderes Lager und dieses Lager empfindet er als Soldat, der seine Pflicht getan hat, als Ungerechtigkeit. Er entflieht der Kriegsgefangenschaft, nicht ohne einen weiteren Text zu produzieren, den Abschiedsbrief an seinen Oberst, der ihn nicht der Fahnenflucht verdächtigen soll. Er sei vielmehr gezwungen gewesen, in der ›Unnormalität‹, welche ihm die Sieger aufzwängen, nun doch vor allem »das Schicksal meiner Frau nun wieder selbst in die Hand zu nehmen«. Schließlich habe er nur, so wie es auch die Besatzungsarmee beanspruche, auf Befehl eines Höheren gehandelt. Die Sprache der Unbelehrbarkeit ist fixiert. Der Vater wird nie mehr anderes hören. »Die wenigen Zeugen unter den Überlebenden, jene, denen noch etwas an Sprache, etwas von der Möglichkeit zu sprechen, angesichts des Geschauten geblieben ist, finden keinen Glauben, werden einige Jahrzehnte nicht gehört.«39 Die Täter integrieren sich, im Westen wie im Osten, wenn auch trotz aller Mühe nicht vollständig. Zu Hause leben sie das, was in der Öffentlichkeit nicht verarbeitet wird. Und so wurden die meisten »stille Büroangestellte, aber scharfe Aufseher über ihre Familien«.40 Der Vater bleibt »ein jähzorniger, kaum berechenbarer Tyrann«, Rächer historischen Unrechts, das er sich angetan wähnt. Dies war die verdeckte, in der DDR nicht angenommene Schuld. Sie kommt nach dem Zusammenbruch der DDR wieder auf die Agenda, um neu verdrängt zu werden: »Und dieses falsche und immer feige taktierende Väterchen will nun zu Gericht sitzen über die neue, die dritte Schuld der östlichen Diktatur.« Beendet wird der Text am 15. 4. 1992. Ob es zu einer vierten Schuld einer Verdrängung kommen wird, steht damals noch aus. Es gibt Indizien. Als Postskriptum wird ein Brief mitgeteilt, der an den Freund des Autors, an Hannes Stein gerichtet ist, einen Juden, der heute in Hamburg lebt, 27 Jahre alt ist und der in der FAZ einen Artikel mit dem Titel "Fun di ghettos un lagern" veröffentlicht hatte -- die Sprache der Unbelehrbarkeit ist nicht verstummt.

3. Menschengemeinschaft / Freundschaft, Liebe - und Verrat

In der Abkehr vom Vater, in der Erfahrung einer Kindheit in der Obhut der ›Mütter‹ ist -- im Erzählwerk Rachowskis -- der Appell an ein selbstverantwortliches Leben geborgen, das sich nun jenseits der Kindheit behaupten muß. Denn das Aufwachsen in der Obhut der Elterngeneration, die Weitergabe von Lebenserfahrung, Schutz und Liebe zu Hause, Freundschaft -- das sind die Werte, die ihren anscheinend nur privaten Charakter alsbald verlieren, wenn sie im Alltag des Staatslebens ungültig werden, wenn zu den üblichen Mißlichkeiten in der ›Prosa der Verhältnisse‹ noch wechselseitiger Argwohn, Bespitzelung, Unterdrückung kommen.

Das Idyll der Kindheit ist eine Utopie, in der Gemeinschaft der Menschen und Kommunikation zwischen den Menschen in eins fallen. Treuebruch und Lüge sind die entsprechenden Facetten des Verrats an der Utopie. Und wiederum beginnt der Verrat früh. Rachowski hat dazu abermals eine Schlüsselerzählung einer Erfahrungsfacette vorgelegt -- die Geschichte eines Musterschülers mit der einen der beiden polaren, für Rachowskis Modell von Freundschaft gültigen Konstellationen: Das Erzähler-Ich, konfrontiert mit den Unangepaßten, den anderen. In dieser Erzählung "Auf Verlangen vorzeigen!" erweist sich der Erzähler als ein künftig Angepaßter. Er will nicht die Treue zum Freund, sondern die Willfährigkeit gegenüber den gesellschaftlichen Regeln und Zumutungen bewahren. »Ich würde bei denen bleiben, die immer die guten Zeugnisse haben, bei den anderen, das wusste ich jetzt, immer bei den Falschen. Niemals würde ich so glücklich, so voller Glück sein, es nie im Leben so können, wie mein Freund Mulei an diesem Nachmittag.«41 Und hier interferieren Biographie und literarische Reflexion Rachowskis in der Bestätigung des Wertes: die Freundschaft als erfahrene Solidarität für ein Leben in Wahrheit. Statt sich um gute Zeugnisse und das Wohlgefallen der Mächtigen zu sorgen, gilt es, Zeugnis ablegen für die Wahrheit -- zuerst für die wahre Freundschaft: »Alle waren wir Freunde«.42

Im Freundeskreis entsteht die Liebe, die Gemeinschaft zweier Menschen in Wahrheit und Wirklichkeit. Sie überwindet die Geschichte und deren Zerstörungswerk, sie verwandelt den Menschen und die Tristesse eines versehrten Landes. Für gewöhnlich »vollzieht sich unter dem Gesetz der Zeit, das über allem steht, die Monochromie des menschlichen Lebens«;43 »vielfarbig bunt« ist allein die Liebe -- »und überall gleich, nicht einmal der Regenbogen genügt den Menschen dieser einzelfarbigen Städte, wenn sie lieben.«44 Doch oft genug wird die Wahrheit erst kenntlich, wenn sie verraten wird.

Die erste verstörende Erfahrung dabei ist die des Außenseiters, desjenigen, der zu einer Gemeinschaft nicht gehört -- und sie damit als Kollektiv des Falschen kenntlich macht. "Tauben in Weimar" heißt ein Gedicht von Utz Rachowski:45

DIE TAUBEN VON WEIMAR

Hier liefen
sie
um die Brunnen
und fraßen
Bockwurstreste

Hier lief
ich
davon mit
siebzehn
riß ab
von den Wegen
der Gemeinschaft
setzte mich
ins Straßencafé
und trank
den Becher
nicht leer

Sie liefen
vorbei
Goethe Schiller
Mittagessen
der Deutschlehrer
wies mit
dem Finger:
Hier seht ihr
unseren
Dichter

Die Schüler lachten

Ich blieb
sitzen
für immer

Die organisierte Erbepflege verhindert gleichsam das Erbe der Zukunft; Ulrich Plenzdorf hat diese, in der DDR mit ihrem staatsautoritären Kulturbegriff besonders schneidende Erfahrung ja bereits in der Konfiguration seiner Neuen Leiden des jungen W. angedeutet, wenn er den Part des philiströsen Ehemannes mit einem NVA-tüchtigen Germanisten besetzt. 

»Sie liefen / vorbei / Goethe Schiller« - beziehungsreich reserviert Rachowski die eine Zeile, ehe er auf die Weimarer Dioskuren und Dichterheroen zu sprechen kommt, für das eine Wort: »vorbei«. Der »Deutschlehrer« dann stellt den heutigen »Dichter« gleichsam an den Pranger und macht ihn angesichts der großen deutschen Dichter zum Gespött. So bleibt der künftige Dichter im doppelten Sinne ›sitzen‹. In diesem Bildungssystem wird er niemals vorrücken können. Zugleich wird er mit dem konfrontiert, was es zu überwinden gilt, mit einer hinterhältigen, keineswegs einfachen, sondern boshaft beziehungsreichen Sprache. Indem er sie aber in ihrem Doppelsinn in seinen Versen noch überbietet, vermag er sie in einer neuen Dimension gleichsam aufzuheben: Denn sein ›Sitzenbleiben‹ ist -- anders, als die lachenden Mitschüler und der höhnische Deutschlehrer es jeweils meinen -- zugleich auch ein Akt der Widersetzlichkeit -- »für immer«. Der Dichter ist der ruhende Pol gegenüber den Akteuren einer falschen Geschichte, die vorbei laufen und vergehen werde.

Das kurze, eindringliche Gedicht "Chinesischer Türhütergott" geht von dieser Erfahrung radikaler Belanglosigkeit aus, mündet aber in eine ebenso konsequente wie überraschende Inversion:46

Schlagt an den Pfosten
ihn ruhig.

Es ist ohnehin nur Schein.

Denn Gott behütet
die Dichter nicht

und vor ihnen
schützt auch

kein Gott.

Während Rachowski sonst die ›großen‹ Worte scheut, klingt hier Hölderlin an, ist vom ›Dichterberuf‹ die Rede; der ›Außenseiter‹, wenn er denn völlig ausgegrenzt ist, steht allem gegenüber, dementiert die Totalität des Totalitarismus, verkörpert allein die Alternative, die alles in Frage stellt. Auf die traditionelle Gottähnlichkeit des Dichters wird Verzicht geleistet, doch damit wird zugleich die Sprache jenes Gottes, der keiner ist, des Götzen der politischen Religion, negiert. Der Dichter legt Zeugnis ab. Die Worte des Dichters bezeugen die Wahrheit und damit in eines legt das Gedicht die Lüge in gleichlautenden Worten offen. Der Dichter ist der Mensch, der der Verführung zum Verrat widersteht. Deshalb gilt auch von der Poesie, daß sie ›die Liebe bewahrt‹,47 und deshalb ist die Poesie »nicht verloren -- solange wir leben!«48 So beruft sich Rachowskis Gedicht auf das ›slawische Herz‹, gleichsam -- wie das ›Herz‹ der Dichter seit je -- das Lebensprinzip der Poesie und der Liebe. Die historisch politische Konnotation der Metapher aber ist ihm allein zu eigen.

Daher löst die Freundschaft der Jungen in der DDR gleichsam diesen Appell des ›slawischen Herzens‹ ein: »Der Freund«, so ist ein Abschnitt der Erinnerungen an eine Jugend überschrieben. Und dieser autobiographische Text führt in den jugendlichen Freundeskreis von Heranwachsenden, der jungen Leute in Reichenbach und Greiz. Sie nehmen die phrasenhaft gewordenen Vokabeln des Fortschritts ›einfach‹ ernst: 49

DAS WORT REVOLUTION

Das haben
wir uns zugerufen
bis zum
Ausschankschluß der Mitropa.
Und die Hälse
verrenkt nach Leben.
Das haben
sie uns vorgelogen
jeden Tag.
Wir haben die Ohren
geschlossen und
vergessen schnell.

Aber nie
unsere Scham
vor dem Wort

Revolution.

Bei Reiner Kunze können die Jüngeren -- »Jürgen Fuchs, Arnold Vaatz, Utz Rachowski«50 -- erfahren, was es im Staat DDR bedeuten mag, das Wort der Poesie auf die Wahrheit zu verpflichten. Jürgen Fuchs ist dann für einen engeren Kreis Freund und Mentor geworden. »Alles schon da«, so schreibt Rachowski über ihn, »die Farben seines Lebens, abgesteckt die Themen, nach diesem Sommer 1968, als auch durch unsere kleine Stadt tagelang die Panzer der Armeen des Warschauer Paktes gerollt waren, eine nicht enden wollende Schlange aus Metall, ein Geschehnis, das die Atmosphäre dieser Kleinstadt wie eine Naturkatastrophe verändert hatte.«51 In den Erinnerungen an eine Jugend wird mitgeteilt: »Abschrift von Postkarte (mit Bild) [...] / Utz, kurze Mitteilung, eine von denen, die gewöhnlich mit ›leider‹ beginnen. / Am Sonntag wurde mir mitgeteilt, daß ich nicht dieses fragliche Objekt verlasse. / Man ist ausgeliefert. / Aber es werden sich Wege finden. Andere.« Über diese Wege debattiert der Kreis junger Leute. »Die Diskussionen wurden nicht zu Grundfragen der Philosophie geführt, sondern hauptsächlich zu Existenzialismus«, denunziert der Klassenlehrer der EOS Reichenbach,52 der weiß, daß die Besinnung auf die existenzielle Würde des Menschen staatsgefährdend sein kann. »Meine Freunde« zeigt ein Foto im Band Erinnerungen an eine Jugend, ein Erinnerungsfoto also -- aufgenommen vom Staatssicherheitsdienst, von der ›Bühne‹ (einer Theateraufführung) in den Zuschauerraum - das Dispositiv des Handelns, wie es sich der Geheimdienst vorstellte: Die jungen ›Bürger‹ des Staates DDR als passive Zuschauer einer Inszenierung und als ahnungslose Objekte kalter Beobachtung zugleich.

Was aber ›Heimat‹ wäre, hatte nirgends einen Ort in der DDR, ließ sich nur noch dank Personen erfahren -- in der Freundschaft zuerst. In der Topographie des Unheimisch-Werdens erweist sich gerade die Kindheits-Idylle, weil sie zunächst noch intakt schien, als trügerisch. Greiz vor allem ist in Rachowskis Erzählwelt ein solcher Ort der zerstörten Idylle.53 Aus einer Sonnenwelt, einem Ort des Traums, wird der Ort eines entwendeten Lebens. Das Idyll hält der Belastung nicht stand. Es ist, wie es eine kleine Szene symbolisiert, darunter »zerstört und gebrochen«.54 Die Lebensgefährtin des Erzählers wird in Greiz verhaftet, »in ihrer Tasche Bücher von Reiner Kunze und Alexander Solschenizyn, in ihrer Wohnung, noch eingespannt in der Schreibmaschine, eine Seite der Abschrift des Buches Die wunderbaren Jahre, Gedichte von mir daneben auf dem Schreibtisch.«55 Späterhin, nach der Flucht aus der DDR, wird Reiner Kunze seinem veröffentlichten Tagebuch den Titel Am Sonnenhang geben, das einfache Zeichen einer jenseits des Exils wiederzugewinnenden Idyllik, die standhält. Denn sie ist nicht restlos der Geschichte verfallen, lebt vielmehr aus der Schönheit, die sich steigert zur Kunst. ›Poesie‹ - »Gedichte von mir« -- und deren ›Mitteilung‹ durch Abschrift trotz Verbotes, das war in Rachowskis Text die poetologische Konstellation des Widerstands, bedeutete -- mit der Überschrift einer Erzählung von Jürgen Fuchs -- Das Ende einer Feigheit samt allen Risiken der Verfolgung: »Heimlich dagegen sein«, so hatte er den Jüngeren klar gemacht, »hilft nicht. Nein sagen. Aufschreiben, was du siehst und hörst. Anfälle von Zweifel. Alles undeutlich machen, zerreißen, verbrennen. Ins Allgemeine heben. Ins Historische schieben. Lyrisch werden. Das doppelte Spiel fortsetzen. Aber es ist zu Ende.«56

4. Die Prosa der Akten

Die Folgen lassen sich in der Sprache der Akten formulieren. »R. stellte unter dem Einfluß des Staatsfeindes Fuchs, Jürgen, Aufzeichnungen her und entwickelte ein ›10-Punkte-Programm‹ zur Veränderung der gesell. Verhältnisse in der DDR.«57 Von nun an laufen in der Lebenserfahrung Rachowskis, wie in dessen literarischer Arbeitsweise, zwei Sprachen nebeneinander. Die eine ist die Sprache des Staates, die ihn zum Objekt macht; Rachowski hat dies, im Rückblick des Exils als Konstante zum Aufbauprinzip eines Gedichtes gemacht -- Biografie oder Was die reden:58

Jetzt kann Ihnen niemand mehr helfen
Sagte der Schuldirektor
Aus dir wird nie ein richtiges Rindvieh
Sagte der Lehrmeister
Ich trete Sie ins Kreuz
Sagte der Kompaniechef
Ihr Bettenbau ist Marke Nagasaki
Sagte der Zugführer
Um Sie wäre es doch schade
Sagte der Gruppendozent
Ich schlage Sie mit dem Kopf an die Wand
Sagte der Vernehmer
Jetzt haben Sie die Katze aus dem Sack
gelassen
Sagte der Richter
Und für Sie haben wir Geld ausgegeben
Sagte der CIA-Major

Ich
Bin schon da
Sagte der Igel

Die Aversion derer, die Geschichte machen, bleibt sich gleich; doppelsinnig aber ist die Schlußtransposition ins Märchen: Der ›Igel‹, der einfach ›sitzen bleibt‹, ist immer schon als Objekt der Rede zuhanden -- aber er ist eben auch nicht loszuwerden. -- Seinen Essay über Jürgen Fuchs aber beschließt Rachowski mit dessen frühestem bekannten Gedicht. Der Titel lautet: "Sprache" (wegen Johannes Bobrowski); dies sind die letzten Zeilen: 59

Sprache
Gehetzt
Von Pfiffen
verfolgt
Im endlosen Kampf
gegen das Schweigen der Menschen.

Doch nicht nur durch die Kommandopfiffe, sondern sogar durch die lauten Reden der Macht wird immer mehr das böse Schweigen, dass sie nur verdeckt werden sollte, kenntlich: »Aber manchmal stelle ich erstaunt fest, ist es zu laut gesagt, und was noch schlimmer zu sein scheint, schon geschrieben gewesen und zu lesen, bevor er es sagt, so bleibt nur sein offener Mund, der auf mich gerichtet ist, rot im schwarzen Bart«.60 In der Konfiguration des musterhaften Beststudenten und SED-Mitglieds einerseits, des fremden, indischen Studenten Selvan andererseits ist dies in diesem Text Kommilitonen exemplarisch geworden - »meine Heimat aus Gut und Böse«.61 Seither stellt Rachowski gegen die Prosa der Akten, die über ihn und den Kreis der Freunde stetig anwachsen, eine ›andere Sprache‹, die Sprache der Authentizität, die Poesie. Zu erfahren war sie in der Lektüre zunächst -- von Prosa und Gedichten Bobrowskis und Reiner Kunzes, der für die jüngeren in diesem Kreis zum Vorbild wurde. Wie aber der Staat sich die Sprache aneignete, um die Wirklichkeit zu fälschen, war Jürgen Fuchs in Viktor Klemperers LTI dokumentiert worden.62 In den Akten wird der Zugriff des Staates schließlich fixiert: Akten dekretieren ›Schöpfungsakte‹, sie richten die Menschen zu Objekten der Bürokratie zu. Rachwoski zitiert Jürgen Fuchs: »ANDERE SCHREIBEN (ALLES,) UNSERE BIOGRAPHIEN.«63 Der Band Erinnerungen an eine Jugend. Essays / Akten / Tagebuch wird, wie ein Verbrecheralbum, mit Gefangenen-Porträts eröffnet: Drei Verbrecher. Die beiden ersten -- ›Wilhelm Tell‹ und der ›junge Prinz‹ sind gleichsam die Simulationen des ›wirklichen Lebens‹ durch die Schöpfungs-›Akten‹ des totalen Staates; sie, die inhaftierten Menschen, erleiden eine ihnen zugeschriebene, zudiktierte Existenz: Das Aufrührertum des ›Wilhelm Tell‹, der einsame Aristokratismus des ›jungen Prinzen‹ sind lediglich Posen.

›In abgelegener Provinz‹ vollzieht sich diese Zerstörung eines Lebens, Rachowski hat sie in einem autobiographischen Essay mit diesem Titel nachgezeichnet. Vorangestellt hat er den Schluß des kurzen Prosatextes von Hans-Joachim Schädlich, der ebenfalls diesen Titel trägt. Es ist das Modell einer Zerstörung der sich Widersetzenden durch die Gewalthaber: »Was zu tun ist? sagt der Gouverneur. Einige füttere ich, dass sie mir vorpfeifen, für andere stampfe ich mit dem Fuß auf. Den Dritten zertrete ich den Kopf.«64 Schädlich hat das Modell -- eine mögliche Matritze -- für die biographische Erfahrung geschrieben

Der Vater, die Lehrer -- als Diener des Erziehungssystems65 --, sie bereiten die entscheidende Stufe vor, die Verfügungsgewalt des Staates durch die Gefangennahme der als Gegner definierten Jugendlichen. Die Stadien der Zurichtung, beginnend mit den Phasen des Verhörrituals, werden präzise notiert:66 »Schuldigmachen im Erstverhör« (158), »Mitwisser und Freunde werden zu Zeugen gemacht« (160), »Omnipotenz der repressiven Mittel -- dein Zuhause -- die Zelle -- Widerstandformen« (164). Jetzt wird der Raum des Lebens vollends zur Illusion; das ›Gefängnis‹, längst die passende Metapher für den eingemauerten Staat DDR, wird real: »Die Zelle 231 Cottbus« und ihre Bewohner -- Strafvollzug; dies ist die von nun an gültige Erfahrung Rachowskis.67 Seinem Essay "Mein Gefängnis" steht deshalb ein Motto von Josef Brodsky voran: »Gefängnis ist tatsächlich eine Übersetzung der eigenen Metaphysik und Ethik, des persönlichen Geschichtsverständnis und noch einiges anderen mehr in die kompakte Ausdrucksweise des täglichen Verhaltens.«68 -- »Unversehens«, so heißt es in einer Rede Rachowskis vor ehemaligen Bautzen-Häftlingen, »durch das [...] Ereignis der eigenen Verhaftung sah diese Gruppe von Autoren sich plötzlich den gar nicht glanzvollen, sondern ewigen, aber schmutzigen Themen wie Gefängnis, Kasernierung, physische und psychische Folter, Einzelzelle, Freigang usw. gegenübergestellt. Und wir nahmen das Thema an.«69 Die Gefängniszeit war »eine Zeit wie Blei, die, kommt man lebendigen Leibes oder Geistes davon, niemand wird adäquat wiedergeben können, erzählen können.«70

1971: Ich werde auf Antrag der Erweiterten Oberschule wegen »Beleidigung von Offizieren der Nationalen Volksarmee«, »Linksradikalität« und »Zersetzung des Klassenkollektivs« relegiert. Ich arbeite auf dem Güterbahnhof als Transportarbeiter.

1971 bis 1972: Elektromonteurslehre.

1973 bis 1975: Armeedienst.

1974: Ich besuche Reiner Kunze, um ihm meine Gedicht zu zeigen, erzähle ihm die Geschichte meines Rausschmisses aus der Schule. Er schreibt das Prosastück Fahnenappell, das er in seinen Band Die wunderbaren Jahre aufnimmt. Kunze schützt mich durch Anonymität (Der Schüler N. in X.).

1975: Stärkerer Kontakt zu Jürgen Fuchs. Im Herbst besuche ich Wolf Biermann.

September 1976: Erneuter Besuch bei Jürgen Fuchs auf dem Grundstück Havemanns.

November 1976: Ausbürgerung Wolf Biermanns. Verhaftung von Jürgen Fuchs und anderen. Petition eines Teils der Schriftsteller der DDR an die Regierung.

April 1977: Eine Freundin, die Krankenschwester ist, wird auf dem Weg zur Frühschicht (Uhrzeit: 4.45 Uhr) in ein kurz haltendes Auto verbracht, zur Villa des MfS in Cunsdorf bei Reichenbach gefahren.

Mai 1978: Ich studiere inzwischen in Leipzig Medizin und habe den Kontakt zu den Reichenbacher Freunden etwas verloren. Diese werden Anfang Mai von ihrer Arbeit geholt und acht Stunden verhört.

Oktober 1978: Eine Freundin beobachtet, wie meine Leipziger Wohnung fotografiert wird.

Mai 1979: Ein Herr spricht bei meinen Vermietern in Leipzig vor und erkundigt sich nach dem bei mir verkehrenden Personenkreis, ob ich Musik hören würde, wann die Schreibmaschine ginge.

September 1979: Es klingelt, ich öffne. Ein Beauftragter für Wohnungswesen stellt sich per Ausweis mit Lichtbild vor. Auf seine Bitte lasse ich ihn ein. Es interessierten ihn nicht gelöster Deckenputz, defekte Installationsleitungen, eher schon Raumverteilung, Plakate, Zettelinschriften und Bücher. Als ich es bemerkte, beeilt er sich zu gehen.

Am 22. September 1979 wird M. verhaftet. Und ich schlafe nicht ein.

Am nächsten Tag werde ich in Reichenbach verhaftet. Es ist der 5. Oktober '79. Sie kommen am frühen Morgen.71


Die Chronik der Ausgrenzung und Einsperrung hat Rachowski selbst zusammengestellt; seine Erzählungen aber -- vor allem "Die Akten des Menschengesangs oder Wie ein Staatsfeind entsteht" -- verbinden poetologische Reflexion über Sprache und Erfahrungsbericht untrennbar; sie stellen die utopischen Potentiale von Liebe und Freundschaft auf die Probe -- »und ich bitte Sie zu bedenken, alle hatten wir als junge Schriftsteller begonnen mit Liebesgedichten«.72

Wohl machte die Verfolgung selbst wiederum auch die Freiheit erfahrbar: »In einem Gefängnishof in Karl-Marx-Stadt, als ich die Liebe hinter Gittern sah, wußte ich, daß es zu kämpfen galt und der Preis herrlich sein würde.«73 Hier entstehen neue Solidaritäten, und hier wiederholt sich aufs Äußerste verschärft jene Zerstörung des einfachen menschlichen Miteinanders, die bereits in der Kindheitswelt und in der Alltagswelt aufzuzeigen war.

Aber verläßlich funktionierte solche Dialektik nicht; vielmehr erweist sich das Gefängnis letztlich bloß als die sinistre Realität eines falschen Daseins, das schon längst auch die Lebenswelt durchdrungen hatte. Und analog dazu objektiviert sich in der Prosa der Akten nur jene ihr vorausgehende doppelsinnige Rede des Verrats, die der Sprache des Wirklichen noch zum Verwechseln ähnelt. Der Verräter tarnt sich als Freund und die Kommunikation mit ihm höhlt die Werte der Gemeinschaft aus, ja die Poesie selbst. Poesie - daran ist zu erinnern -, »das waren auch Beatles und Small Faces via Luxemburg und Saarbrücken, aus dem Äther gefiltert mit der geheimen Antenne unterm Dachboden«,74 das war auch der Gesang, die Melodie des anderen, die Lieder der Freiheit: »Das ist die alte Stimme der Baumwollplantagen und Sklavenaufstände.«75

Der Sänger, der diese Lieder anstimmt, ist vielleicht die bewegendste Kennfigur des Verrats in Rachowskis Œuvre Josef Amica Herrmann, der als Titelfigur ›Kaspar Mauser‹ in Katja Lange-Müllers Erzählung wiederkehrt.76 In der Genealogie der Figuren in Rachowskis erzählter Welt ist er Mulei verwandt, jenem anderen, den die biederen Mitglieder des Kollektivs der DDR-Deutschen nicht als gleichrangig anerkennen mochten. ›Amica‹ ist selbst ein Ausgegrenzter, ihm ist das dritte jener Verbrecherporträts gewidmet: "My Huckleberry Friend", die Verkörperung des ›freien Lebens‹ aus der Abenteuerliteratur für Jungen. Mit der Titelanspielung auf Mark Twains berühmten Roman ist zugleich die Leitfrage nach dem gestellt, was vom Mut der Jugend bleibt, wenn der Staat diese Phase brutal beendet.

Der Kompositionsbogen der großen Erzählung einer Jugend hebt an mit einer Erfahrung der Solidarität gerade auch mit den Anderen, mit dem Unangepaßten, dem Sänger, dem Huckleberry Friend, der im Zuge des Freundschaftsverrats der DDR aus dem sozialistischen afrikanischen Bruderland zuerst importiert und dann im Stich gelassen, an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde und der jene Musik bewahrte, der die Unterdrückten gegen ihr Schicksal die Stimme erheben. Damit wird gleichsam der Mut des Sängers Wolf Biermann, dessen Ausbürgerung ja die Verfolgungen, denen auch Rachowski zum Opfer fiel, ausgelöst hatte, in den Raum dieses Textes hineingehoben; zum erstenmal hört der Erzähler den Sänger Amica beim Transport ins Gefängnis: »Nein, Biermann ist im Westen. Unfreiwillig, aber nicht hier. Das ist sein Lied, aber der singt jetzt nicht.«77 Derjenige, der singt, wird durch den Gesang nicht zum authentischen Freund. Um dem Druck gegen den fremden Ausländer zu entgehen, verbündet er sich mit denen, die ihn bedrücken, und wird damit wahrhaft zum ›Fremden‹ in der Gemeinschaft menschlicher Solidarität, wird zum Verräter. Die drohende Fälschung der Stimme ist das Wahnmotiv dieser Erzählung: »Vielleicht ist es zu spät die Stimme zu erheben. Der erhobenen Stimme kann beschieden sein, nicht gehört zu werden. Vielleicht ist es die falsche Stimme. Und zur falschen Zeit.«78

Er wird gejagt, ist gehetzt, doch zunächst wird er nur zum Schauspieler seiner Existenz, die sich alsbald auf eine Rolle, die einzige für einen »schwarzen Schauspieler«, verkürzt, auf diejenige »des Verlassenen: Othello.«79 Nun wird aus der spielerisch genommenen Jagd ein Todesernst: »Es ist kein Spiel, nicht mit Katz und Maus, Jago und Othello, nicht mehr Old Man River und Huckleberry Friend. Es ist tödlicher Ernst daraus geworden.« Amica, dessen Freundschaft in seinem zweiten Namen bereits in die Fremdsprache übersetzt ist, wird vollends zum mörderischen Spieler. Sein Gesang findet seine wahre Bedeutung in der Gefangenensprache, denn einer der ›singt‹, ist dort einer, der seine Freunde verrät. Nach dem Freikauf singt er wieder. Nun sind die »Akten des Menschengesangs« zu rekonstruieren, die Prosa des Verrats. Selbst ›Amicas‹ faszinierende Freiheit erweist sich als bloßer Schein. In der Buchkomposition Rachowskis antwortet auf diese traumatische Erfahrung von Verrat und Simulation dann die Rücknahme nach innen, ins Tagebuch. Nachdem das, was an der DDR-Geschichte authentisch schien, vollends seine Fragilität im Verrat enthüllt hatte, bleibt nur die Rekonstruktion der eigenen Geschichte und schließlich das Bekenntnis zu seiner eigenen negativen Geschichte, die es anzunehmen gilt.

Zu ihr gehört auch die Kontinuität, wenn schon nicht die Gleichheit der Diktaturen, die sich nun als Teil der Erfahrungen des Schreibenden enthüllt. Gewiß können die Aufnahmeprozeduren der Häftlinge in Auschwitz nicht gleichgesetzt werden. Die Aufnahmeprozeduren der Häftlinge in Auschwitz sollen nicht gleichgesetzt werden mit den Verfolgungsmethoden der DDR; sie werden aber in einer Konstellation betrachtet.80 Die Zeiten spiegeln sich: »Später, im Gefängnis, fällt mit die Verhaftungsszene aus Günther Weisenborns Memorial wieder ein.«81 Und schließlich -- die »Ausbürgerung, eine Maßnahme, die es in Deutschland seit den Nazis nicht mehr gegeben hatte, und der endgültige Anfang vom Ende der DDR war das auch.«82

5. Exil / Die Rettung der Sprache und die Erfahrungen am Markt

Im Exil erst wird der Schriftsteller Utz Rachowski zu einem ›Autor‹, übernimmt diese Rolle, in der sich der Ausdruckwille des Schreibenden und die Erwartungen der Öffentlichkeit stets in paradoxer und, wie sich in diesem besonderen Fall zeigt, auch in schmerzlicher Weise verschränken. Und selbst wenn das Exil die Geburt des Autors bedeutet, so bedeutet es doch zuerst und vor allem versäumtes Leben. Ein Motto, das Rachowski für Red' mir nicht von Minnigerode aus Jean Cocteaus Armer Jean entlehnt hat, spricht bewegend diese Klage aus:83

Du schöner Junge,
hat man ihn ermuntert,
du hast ja noch gar keinen Flaum,
so stell dich mal an diesen Baum
und zähle brav bis hundert!
Doch als er aufhob sein Gesicht,
war es von Tränen blind,
denn die einen hatten das Weite gesucht
und die anderen Weib und Kind.

Selbst »bei beibehaltener Sprache«84 ist die Emigration für den Ausgebürgerten gewiß kein bequemes oder auch nur alltägliches Schicksal. »In bizarrer Dialektik ist das Exil Rettung und stigmatisierende Wunde in einem«,85 und diese Wunde heilt nicht;86 der »krankhafte Exilstatus«87 bleibt; Exil, so erfährt es Rachowski, bedeutet »die vollkommene Abwesenheit von mir selbst«.88

Öffentlichkeit, so stellt der exilierte Autor im Land seiner Muttersprache fest, ist ein Raum der Entfremdung. Wie viele Schicksalsgenossen versucht er nun ein Schriftstellerleben jenseits der Blockantithesen; dabei begegnen ihm im Westen nicht mehr nur die Akteure des ›Kalten Krieges‹, die ihn als Zeugen für das Unrechtsregime DDR vereinnahmen wollen, sondern auch jene, die ›Westlinken‹, die eben davon gar nichts hören wollen, »daß es ein Land gibt in Deutschland, in dem die Regierung, eine Partei, Krieg führt gegen das eigene Volk und mit allen Mitteln.«89 Und schließlich gibt es, angesichts so massiver Erwartungen, die Verlockung zu neuerlicher Anpassung, zu einem sublimeren Verrat des ›Dichterberufs‹. »Welche kommen von drüben,« so hat Jürgen Fuchs diese von manchen Kommentatoren geäußerte Meinung beschrieben, »haben einiges erlebt und reisen hier auf Schriftsteller. Sie denken, weil sie im Gefängnis saßen oder einige Verhöre erlebten, ist alles gut und richtig, was sie schreiben und sagen. Das sind aber meist nur Erlebnisberichte, Zeugnisse sehr subjektiver Art, politisch gefärbte Anklagen, keine Literatur.«90 Der Freund Jürgen Fuchs setzt dann auch das Themenschlagwort in den Titel seines Essays über Rachowski: "Literatur, die im Knast entsteht". 91 Eine »Münchner Zeitung«, so berichtet Jürgen Fuchs, »behandelte ein Schriftstellertreffen, das in Marburg stattfand, Rachowski war einer der Teilnehmer (neben Biermann, Erich Loest, Bernd Jentzsch, Helga M. Novak und anderen) und las öffentlich die ›Szenen aus Thüringen‹, ich weiß nicht, ob der Verfasser des Artikels ihn meinte,« -- mit dem Vorwurf einer bloßen Spekulation auf den Verfolgtenstatus; jedenfalls wurde, so Fuchs weiter, »das Thema Gefängnis [...] von verschiedenen aufgegriffen, aber er [Rachowski] fühlte sich wohl angesprochen. Dieses Zitat dringt ins Zentrum einer Diskussion«, und Jürgen Fuchs insistiert, daß eben diese Diskussion »noch nicht offen genug geführt wird. Sie hat mit Autoren wie Rachowski viel zu tun«.92 Und: »Zu hoffen ist, [...] daß ausführlich beschrieben wird, was zukünftig zur deutschsprachigen Literatur gehören wird: die Auseinandersetzung mit Gefängnis, Armee, Flucht, Ausbürgerung, Ankunft in der nahen oder fernen Fremde«.93 Autoren wie Rachowski aber »versuchen, sich noch einmal loszureißen und das zu tun, was sie sich vorgenommen hatten: künstlerisch zu arbeiten. Dazu gehört, und es ist wie eine Auflage, sich dem Thema, dem Erlebten zu stellen.« - Rachowski nimmt diese ›Auflage‹ an, wie er mit einem ironischen Motto, das er Witold Gombrowicz' Tagebuch entnommen hat, über seiner Erzählung "Wer ich bin, woher ich komme und wie ich Friseur wurde" belegt: »Er selbst, Milosz, hat sich einmal ungefähr so ausgedrückt: der Unterschied zwischen dem westlichen Intellektuellen und dem östlichen besteht darin, daß ersterer nie richtig eins in die Fresse gekriegt hat. Im Sinne dieses Aphorismus bestünde unser Trumpf (ich schließe mich selbst nicht aus) darin, daß wir Vertreter einer brutalisierten Kultur sind, also dem Leben näherstehen.«94 Und darüber hinaus - so formuliert er dann die Aufgabe einer Kunst, die Zeugnis gibt, -- heiße dem »Exil [zu] entkommen [...], der Unsichtbarkeit ein Bild zu geben und das Bild aber ist negativ.«95


Erzählungen über das Exil lassen diesen existentiellen Zustand bereits in der DDR beginnen; es ist der Zustand des Selbstverrates, des Verzichtes auf Liebe: Der Mann, der schweigt, grenzt sich selbst aus dem Leben aus. Er vollführt die -- vielleicht erwarteten -- Rollenhandlungen, aber indem er in seiner Verschlossenheit »verharrt«, verzichtet er auf das Wort der Liebe: »Es begann jetzt ein Gefühl in mir aufzusteigen, fast eine Sicherheit, denn war ich war stumm geblieben ihr gegenüber, eitel und kalt, daß ich einen Preis würde zahlen müssen eines Tages und immer wieder für mein Schweigen zu meiner ersten Liebe.«96

Nach der Exilierung wird die Liebe zur Utopie jenseits der Grenze. Die Geliebte ist für den Dichter unter den politischen Bedingungen von heute so verloren wie einst Eurydike für Orpheus, der sich auf den Weg machte, um sie von jenseits des Lebens wieder zurück zu holen. »Die endlose Fahrt« ist ein Abschnitt des Erzählbandes Namenlose überschrieben;97 das dauernde Unterwegs-Sein im Exil und das Verfehlen der wahren Liebe entsprechen sich, und die ›endlose Fahrt‹ findet für den heutigen Schriftsteller noch immer kein glückliches Ende: »[...] ich suchte ein Dorf, ich hatte mein Schicksal wieder gefunden. [...] ich suchte ein Dorf jenseits der Grenze. Ich suchte das Dorf meiner Liebe und fand es nicht.«98 Und, wie ein anderer Text in der Einheit von Rachowskis Erzählwelt kommentiert: »[...] ohne Liebe, mit diesem Preis zahlen zu müssen, hatte ich nicht gerechnet, als ich mich auf den Weg ins Land der Poesie machte.«99 -- »Ich komme an«; so trügerisch beginnt der offenkundig autobiographische Bericht der Exilerfahrung "Erster Abend, letzter Morgen".100 Die zwei Teile dieses Textes verhalten sich wie die realistische Exempelerzählung zur kategorischen Auslegung. In der Erzählung wird das Schreckensmotiv des Schweigens eingeführt, fürchtet der Erzähler doch »ernsthaft, in diesem deutschen Teil Deutschlands würde kein deutsch gesprochen.«101 Die Unschuld des Ankömmlings verbannt ihn in eine völlige Täuschung über seine Situation in jener Stadt Berlin, in der »die Angst schon alt war, und ich wußte es nicht«;102 und so verkennt er seine Gemeinschaft mit einer jungen Frau, so meint er irrtümlich, die »splitternde[n] frühe[n] Schreie« seiner zwei Töchter seien »das Kristall reinen Glücks«, so verfällt er schließlich »Salome«, »[d]er Tänzerin zweier Welten« und erfüllt ihren Wunsch: »Meinen Kopf in einer goldenen Schüssel.«103 Der Liebende, jetzt für immer stumm, präsentiert in Schönheit, ein Opfer der ›zwei Welten‹.

»In die Fremde kommt der Mensch schnell, aber wieder nach Hause, das ist ein langer Weg.« So lautet ein Motto von Karel Capek, das Rachowski über einen Abschnitt seiner Collage "Die alte Stadt "stellt.104 In solchen Motti, in Zitaten und intertextuellen Verweisen mündet die Selbstverständigung über die allmählich aufdämmernde Ahnung von der Strenge des Dichterberufes in einen Dialog, an dem auch andere teil nehmen; Rachowski sucht den Maßstab der bis in die Gegenwart reichenden Tradition. Um Bildungsliteratur geht es ihm nicht; was er bietet ist, wie er selbstironisch altmodisch vermerkt, eine »Mitteilung an die halbgebildeten Stände«.105 So werden auch die Erwartungen der Literaturkritik enttäuscht -- durch einen Autor, der eben nur bei den Dichtern Zeugen für seine Erfahrung sucht -- und, als ehemaliger Bürger der DDR mit ihrer Erbepflege, ein eigenwilliger ›Erbe‹ ist mit einem »Begriff der ›Poesie‹«, der »aus dem 19. Jahrhundert [kommt], dazu von deutschen Prosaautoren, Kleist, Büchner (Lenz), der Heine in Prosa, aber auch und besonders die gespenstisch realen Geschichten des Amerikaners Edgar Allen Poe«.106 So erkennt Jürgen Fuchs in der Erzählung mit dem Turgenjew-Titel "Väter und Söhne" gleichwohl eine »Kohlhaas Story, die es mit der Kleistschen Intensität durchaus aufnehmen kann«.107 Kleist hatte -- mit seinem Essay "Über das Marionettentheater" -- dem Exilierten seinen Reiseweg ›rund um die Welt‹ schon vorgeschrieben; das Kleistsche ›Paradies‹, jener utopische Ort der Liebe vor dem Sündenfall der Geschichte, ist zum ›Paradies der Werktätigen‹ heruntergekommen, und dieses Land ist hermetisch verschlossen. -- Das Opfer der verwalteten Diktatur erkennt sich in den Texten Franz Kafkas, des Kleist-Lesers, wieder. Freilich, das kafkasche Personal wird in die Schreckensgeschichte des 20. Jahrhunderts, deren Anfang der Prager Autor schon aufgeschrieben hatte, mitten hinein versetzt; der Heizer -- Protagonist der Erzählung "Einmal sieh hinaus" -- wird zum Zeugen des Massenmordes, seine Arbeit wird sinnlos angesichts der »Leichenberge von Auschwitz«.108 Polen ist -- so zeigt die Zeugenschaft der Literatur -- ein anderes ›Land der Poesie‹, seit es auch Ort der unvergleichbaren deutschen Verbrechen wurde;109 und das ist auch für den nachgeborenen Zeugen entscheidend: »Keiner wird dir glauben, was du wirklich gesehen hast«.110 Auf Paul Celan, den Überlebenden der Shoah, verweist das Motto: »Lange vor Abend / kehrt bei dir ein, der den Gruß getauscht mit dem Dunkel.«111 -- Der Gefangene Rachowski, auch er einer der Verfolgten, las Dostojewskis Aufzeichnungen aus einem Totenhaus; 112 und diese Erfahrungsgemeinschaft des Ostens reicht weiter bis zur Zeugenschaft eines Václav Havel und Imre Kertész; er teilt mit ihnen die Berufung auf eine Literatur der Existenz, für die immer wieder Albert Camus als Zeuge einsteht. Über Jirí Grusa hat Rachowski geschrieben und auf dessen Edition Hinter Schloss und Riegel verwiesen.113 Er beruft sich auf Manès Sperber,114 und er zitiert geradezu bekennerisch die Stilgeste des aus der DDR exilierten Uwe Johnson,115 ebenso aber die ›arme Literatur‹ nach der ›Apokalypse‹ 1945, wiederum einen in der Wohlstandsrepublik BRD recht fremd anmutenden Traditionsraum.116 ›Gefangenschaft‹ und »Eigensinn« schließlich fand Rachowski wiederum bei dem Exilanten Elias Canetti verbunden, in einer Notiz aus Die Provinz des Menschen - mit dem Appell zum Ausbruch, wie in den »unaufhörliche[n] Gänge[n] des Tigers an den Gitterstäben entlang, um den einzigen winzigen Augenblick zur Rettung nicht zu versäumen.«117

Solche Dialoggemeinschaft, in Texten bezeugt, und der Freundeskreis des Autors überlagern sich. Im Exil gibt noch einmal die Freundschaft Halt. Es entsteht eine Gemeinschaft der Schreibenden im Exil. Reiner Kunze hatte jenen Fahnenappell, der zu Rachowskis Relegation führte, in Die wunderbaren Jahre beschrieben und so zumindest im ›Westen‹ öffentlich gemacht; er bleibt -- neben Wolf Biermann -- gleichsam ein öffentlicher Bürge für die Erfahrung dieses Kreises der aus der DDR exilierten, in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit nicht angekommenen. Jürgen Fuchs widmet Rachowski einen der wenigen eindringlichen Betrachtungen; Wolf Biermann hält 1991 anläßlich der Verleihung des Förderpreises zum Eduard-Mörike-Preis an Rachowski „eine kleine Rede" und steuert sie als Nachwort für dessen Band Namenlose bei. Siegfried Heinrichs gibt zuerst in seinem Oberbaumverlag Rachowski und anderen Autoren dieses Kreises ein Domizil, stellt zugleich programmatisch eine Gemeinschaft der Verfolgten der kommunistischen Regime -- von Marina Zwetajewa über Imre Kertèsz und Sándor Márai -- einer desinteressierten Öffentlichkeit im Westen vor. Rachowski schreibt über ihn.118 Die Texte -- von Utz Rachowski, von Axel Reitel,119 Siegmar Faust, Jürgen Fuchs, Siegfried Heinrich oder Ulrich Schacht -- beziehen sich aufeinander; und: »Die toten Freunde [...], die Kollegen: Rudolph Bahro, Jurek Becker, Gerulf Pannach, Jürgen Fuchs, Klaus Schlesinger«.120 Nicht nur die Diktaturen beerben einander in Deutschland; den Verfolgten dieser Diktaturen bleibt als ihr Erbteil die Solidarität. Ihre Gemeinschaft reicht über die Zeitgrenzen hinaus, auch über die Zeitbrüche des Jahrhunderts. Das »Vorwort« zu Rachowskis schmalem, 1987 im Berliner Oberbaum Verlag erschienenen Prosaband Der letzte Tag der Kindheit hatte Hans Sahl schreiben wollen, als ihm -- in New York -- eine der Erzählungen des Jüngeren zu Gesicht kam.121

6. Die Trägheit der Herzen und der Verhältnisse / Apokalypse

Nicht zur zwischen den Staaten ist der Ort des Schreibens, sondern auch »zwischen richtiger und falscher Zeit«.122 Die staatlichen Zwänge und die anpasserische Trägheit der Menschen verkehren die Ordnung der Zeit; auch wenn weiterhin Zeit vergeht, so entsteht doch keine menschenwürdige Geschichte und jedes Ziel, das Sinn verleiht, kommt abhanden. Von Kind an war dem Erzähler (ihm) wohl bewußt, daß am Ende der Zeiten die Apokalypse steht -- Schrecken und Verheißung von Untergang und Gericht: »Die apokalyptischen Reiter, sprich sie nicht an, dann reiten sie weiter.«123 Noch gewährt die Welt der Großmutter Geborgenheit. Im väterlichen Bücherschrank, jenem Bollwerk gegen jede Schuldannahme, findet sich die Figur eines kleinen Engels, den der Erzähler »auf seiner goldenen Trompete nie zum Jüngsten Gericht blasen« hören konnte.124 In einem nicht-autobiographischen, aber in Wir-Form erzählten Text hat Rachowskis dann diese Erfahrungen ins Parabolische übersetzt: Eine nicht näher identifizierte Gruppe betritt in einer offenbar militärisch geplanten Aktion ein Objekt, macht ihre Beobachtungen, nimmt erste Kommunikation auf in einer merkwürdigen, an der Bibel orientierten Sprache, führt Verhöre durch und bildet sogar »eine bewegliche Einsatzgruppe [...], die in Annäherung an die Sprache der Insassen des Objektes ›Propagandaabteilung‹ genannt wurde.«125 Doch die Situation gerät außer Kontrolle, die Besetzer werden zurückgetrieben. Es scheint, als ob die Bewohner des Objekts ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen wollten. Angesichts der Schlußpointe der Erzählung eine durchaus irrige Annahme: »Allen Anschein nach hielten sie uns zu diesem Zeitpunkt noch immer für Menschen. Und wir waren das Jüngste Gericht.«126 Es ist eine Parabel, die auch die Rolle des Schriftstellers in einer desinteressierten Gesellschaft beschreibt.

Vom Versäumnis des Endes handeln nicht wenige Texte Rachowskis,127 so auch "Die Gerechtigkeit", ein Text, der mit dem »Fest« der Gerechtigkeit und gemeinsamem Tun »unter dem Stern der Gerechtigkeit und des Friedens« nicht endet, sondern das angesprochene Du aus dieser Phase wieder entlässt in die Desorientierung, »als hätte dich« - wie es in einem Zitat aus Kafkas Erzählung "Die kaiserliche Botschaft" heißt -- »eine Nachricht, die nur für dich bestimmt sein würde, noch nicht erreicht.«128 Es bleibt die vage Hoffnung auf eine fortgesetzte Reise, deren Ziel unklar ist. Und so wird der Aufbruch, den schon der Titel in einer der Texte Rachowskis verheißt, in eine polnische Szenerie versetzt. Eine Begegnung des Erzählers mit Jan und Colombina, eine Szene der Kunst -- des Tanzes --  der Befreiung: »Komm mit, wir brechen auf hinter die Spiegel, von wo unser Blick sie alle durchschauen wird, denn wir kennen nur einen Spiegel für das Leben: Glück«.129 Dagegen steht die pervertierte Fahrt der Angepassten »auf der Autobahn«,130 entsteht ein Zwang des Überholens, eine Perversion des Fortschrittsversprechens: »[D]ann sehn wir uns kurz an, ich hinter den Spiegeln und er mit verzweifeltem Blick und nur einer einzigen Frage, die heißt: Wo ist mein Leben!«

Daß Zeit jedes Menschen und die der Menschheit ein Ziel habe und dass dieses Ziel unter dem Zeichen der Gerechtigkeit stehe, ist die Formel der Heilsgeschichte, wie sie die Poesie von der christlichen Religion übernommen hat. Deren Symbole von Heil und Erlösung ordnen die Wirklichkeit der erzählten Welt -- in der Wahrnehmung der Figuren oder im Kommentar des Erzählers. Dieser weiß, dass es nicht nur das ›Brot des Bösen‹ und der Lüge gibt, sondern auch das ›Brot‹, das die Wahrheit und die Kommunion im Zeichen dessen bedeutet, was den Menschen zum Göttlichen erhebt -- im Zeichen der Liebe: »daß die Liebenden ihr Brot brächen, ausschließlich unter sich, hatte ich früh vernommen und war seither den mühevollen Wegen dieses Glaubens gefolgt.«131 Früh erfährt der Erzähler, daß bei seinen Mitmenschen jede ›frohe Botschaft‹ der Erlösung ungehört verhallt: »[I]ch rief immerzu: Habt keine Angst mehr, ich habe den Rubin, [...], ich habe gerettet das letzte Licht aus den Gärten, es brennt in meinen Händen, der böse Nebelgeist fängt uns nie! [...] Aber sie kamen nicht, sie hörten nicht. Und sahen auch nicht. [...] Und so ist es immer geblieben.«132 Und schließlich wird der Erzähler im Exil, der um die ›Passion« der Liebe gebracht ist, zum Nachfolger Christi auch in der Passion des Leids, erblickt sich auf einer »Zeichnung« die ihn »hinter Gittern zeigte, auf meine Stirn das Schweißtuch der heiligen Veronica.«133

7. Heimkehr?

Vielleicht, so hat Jürgen Fuchs gemutmaßt, ist es so: »Im Westen kann man es schreiben, falls Depressionen besiegt werden, verkaufen kaum. Freunde sind wichtig, gute Kollegen, aus West, Ost, Nord und Süd, es werden immer wenige sein. In den Osten muß es dann gelangen, dort wird es von vielen verstanden. Und irgendwann auch verlegt, Zensur und Diktatur müssen nicht ewig dauern.« 134 Das Ende des Exils wäre der Anfang der Geschichte, die Erfüllung der Zeit, die Rechtfertigung des Erzählens: »Wenn Freiheit wahr wird [...] und Terror zerbricht, ›wird es sein, als wenn wir träumen‹. Dann werden wir lachen und einen Tanz anfangen. Unsere Geschichte werden wir allen erzählen. Auch die Skeptiker werden dann staunen und zugeben müssen: sie sind frei.«135

Mit der Revolution von 1989 schien dieser Augenblick gekommen; doch eine Leidensgeschichte kann -- wie sich erweist -- unter dem Gesetz irdischer Zeit nicht aufgehoben werden: »Die Grenzen sind offen. Mehr noch: Ich habe meine Mutter besucht, und Deutschland ist wieder eins. Die Toten sind immer noch tot.«136 Die Erfahrung des Exils ist variabel und irreversibel.»Das Herausbrechen aus der eigenen Generation durch das Exil ist eine wahnsinnige Erfahrung.«137 Sie wird besiegelt beim Versuch der Heimkehr. Es paßte nicht mehr so recht, »das Heimweh von Eichendorff«: »Ach, die Heimat hinter den Gipfeln, / wie liegt sie von hier so weit!«138 Nach 1989 kehrt Rachowski - als einziger »[v]on den ausgebürgerten Freunden«139 - in seine Heimat, die keine ist, nach Reichenbach ins Vogtland zurück. 1999, so erinnert er sich, war es schon soweit, daß »in seiner Heimat kein Hund mehr einen gedanklichen Bissen von einem Dissidenten nehmen würde.«140 Offenbar war eine »Rückkehr [...] nur an der Oberfläche, [...] nur physisch möglich«.141 Ansonsten hatte der Heimkehrer reichlich Gelegenheit, die »Verdrängung und Nicht-Thematisierung einer eben verschwundenen Diktatur in den 90er Jahren«142 zu erfahren, die Verwechslung von »trauernden Hinterbliebenen des toten Regimes« 143 mit der vertriebenen Opposition. Die »Wunden der deutschen Sprache«, unsere »Wunden im Leben«144 waren keineswegs verheilt. »Dem Wunder von 1989 ist der Alltag übergestülpt und macht es unkenntlich, in Ost und in West.«145 Die Lüge wirke fort. Nicht im Verfall der Städte, der sich in Investitionsprogrammen beheben läßt, dokumentiere sich die Verwüstung: »Architektonische Antiquitätenfälschung« hat längst „die Vergangenheit geschönt".146 Aber was weitergeführt wird, ist die innere Verheerung: Eine »scheinbar hoffnungslose Grundstimmung, das Abwertende und Verächtliche gegenüber dem Erreichten sind, denke ich, die Kennzeichen des immer noch nachwirkenden Krieges, des Tatsächlichen, der 1945 endete, wie der des anschließenden Systems gegen die freien Lebensäußerungen der Menschen.«147

Viele sind »Opfer und Täter zugleich«,148 und Rachowski ist nicht derjenige, der die rückblickende poetische Verklärung der Diktatur, die in den Inszenierungen des Alltags ja durchaus ihren Platz findet, nun auch in dem strengen Raum der Literatur, unter dem Kunstgesetzt des Schreibens zuläßt: »Ich verzeihe ihnen nicht, denn -- es sind noch dieselben und immer die gleichen.«149

Nach dem Zusammenbruch der DDR, nachdem die Akten offen gelegt wurden, ist deshalb die Rekonstruktion der Prosa der Akten und ihre Verwandlung in literarische Texte auch ein Akt der Freiheit für die Verfolgten. Reiner Kunze wiederum hat mit seinem Buch Deckname Lyrik hier den Weg gewiesen. Rachowski aber schreibt - »folgend der Arbeitsmethode Heinrich von Kleists« und »auf Grundlage dreier Presseberichte«,150 also Kunst und Erfahrung gattungsgerecht bündelnd -- die Anekdote "Altherrenherbst". Es geht um die juristische Suche nach Gerechtigkeit und um die Sprache der Wahrheit. Zwei Fachleute des Staates DDR, der eine Psychiater, der andere jetzt Rechtsanwalt, ehemals Vernehmer der Staatssicherheit, sind mit Vorwürfen früherer Dissidenten konfrontiert. Man habe sie »mit Tabletten und Spritzen zwangsbehandelt«.151 Das Rechtssystem wird zum Gefangenen seiner eigenen Sprachregelungen. In dieser Kontinuität der Rede von Staatsmacht kommen die Opfer wieder nicht zu Wort. »Der Prozeß endet mit Freispruch ›mangels Beweisen‹.« Die freigesprochenen Täter jubilieren in der Presse, die Opfer sollen »auf den Fluren des Gerichts noch lange umhergeirrt sein und unhaltbare Dinge gerufen haben.«152

Die Nutznießer der Diktatur bleiben oben; sie wissen auch die ›Wende‹ zu nutzen. Selbst alte Sehnsuchtsorte deutscher Kultur werden von ihnen okkupiert -- so in der Erzählung "Lektüre bei seitlichem Meerblick", die, auf Capri spielend, zuerst in zwei kurzen Abschnitten Legenden korrigiert, wie sie über die Tyrannei des Erotomanen und ›des unanständigsten Kaisers‹ Tiberius kursierten; als Projektion sagen sie mehr über diejenigen aus, die sie überliefern, als daß sie etwas mit historischer Wirklichkeit gemeinsam hätte. Und nun im dritten Abschnitt verkehrt sich die Richtung der Projektionen; in der sich so aufklärerisch gebenden Gegenwart florieren neue Legenden. In die Postkartenschönheit einer Kulturlandschaft dringt ein störender Ton, ein deutsches Lanzerlied. Der Balkonnachbar pfeift es: »Er hat das Gesicht eines Mörders [...], er spricht sächsisch.« Was er pfeift, ist nicht ein Lied aus den großen Kriegen sondern aus jenem alltäglichen Krieg, den die DDR gegen Teile ihrer Bevölkerung führte. Ebenso fragt sich der Tourist: »Wohin eigentlich sind die Bewaffneten Organe auseinander gelaufen? Mit ihren Liedern. Und ihren Familien.«153 Die Vergangenheit ist nicht vergangen. Die Kontinuität derartiger ›Geschichte‹ entwirft die große Erzählung "Red' mir nicht von Minnigerode", die der jüngsten Veröffentlichung von Utz Rachowski auch den Titel gab. Sie hebt mit der schlichten Beteuerung der Existenz an: »Diese, verfolgte Freunde, sagen wir Minnigerode, für Eingeweihte, Menschenrecht, sagen wir Gesellschaft für Menschenrechte, Pfarrer (Weidlich)Weidig erschlagen in seiner Zelle. Diese gibt es / Neues Forum, Widerstand gewaltlos, sagen wir Bürger-Recht, Matthias Domaschk, erhängt in seiner Zelle, Gefängnis Gera, Thüringen, Amthordurchgang. Endstation. Tod. Diese gibt es.«154 Die Kontinuität der Verfolgung bei wechselnden, subtiler werdenden Methoden -- sie gibt es. Es bleibt die Kontinuität der Orte, es bleibt die Pflicht zur Erinnerung, denn die neuen Methoden zielen auf Vergessen.

Komplementär entsteht im Jahr 1994 die Erzählung "Bauer geschlagen vom Feld". Neben denen, die sich wieder -- wenn auch vielleicht etwas heimlicher -- als Sieger der Geschichte brüsten, stehen wieder einmal die Verlierer: Frieder Schimpfermann, der einfache Bauer mit dem sprechenden Namen -- einer, der für Frieden steht, dem aber, wie der gesellschaftlich verliehene Nachnamen verrät, Schimpf angetan wird. Der Bauer Frieder Schimpfermann ist aus dem schönen neuen Deutschland verschwunden, wie so vieles andere: »Plauener Spitze, Teppiche aus Ölsnitz, die mit dem Halbmond, vogtländische Webstoffe, Reichenbacher Kammgarn: die Fabriken in den Städten leer, mit blinden Fenstern, Mehl vom Korn des Bauern Schimpfermann gibt es nicht mehr.« Der Erzähler kannte ihn seit seiner Schulzeit, sie hatten gemeinsam die Grundrechenarten geübt und die einfache Regel gelernt, daß Minus mal Minus ein Plus ergäbe; doch für den Bauern Schimpfermann geht diese Gleichung, die aus der Diktatur, die ihm seinen bäuerlichen Besitz nahm, und der Marktwirtschaft, die ihm die Bewirtschaftung dieses wiedergewonnenen Besitzes ruiniert, noch ein Positives zu bilanzieren vermöchte, nicht mehr auf; es bleibt endgültig das Minus: »Ich will nicht das eine verwechseln mit dem anderen, den Aufschwung eines Landes nicht mit dem Schwung des Seiles, das Frieder Schimpfermann über den Balken seiner leeren Scheune geworfen hat.«155 Der Erzähler bleibt ratlos und gleichsam auch ortlos zwischen den Systemen und Zeiten, angesichts dieser absurden Geschichte und der fortgeschriebenen bösartigen Doppelsinnigkeit der Worte, die noch immer das ›einfach‹ Schöne und Gute nicht zulassen: »Und warum bin ich traurig in den neuen Ländern, ich Glücklicher nach 10 Jahren Exil, und wollte gern ich hätte Schimpfermanns Frieder einst versprochen, daß Gott ihm jetzt Pate stünde, hier, wohin ich zurückgekehrt bin, in die Landschaft unserer Kindheit, jetzt, wo Frieder vielleicht auch meines nachhelfenden Beistandes wieder bedarf: minus mal minus, haben wir erfahren, ist am Ende, wie Liebe und Tod, nicht erklärt.«156

Den Osten verlassen hieß eben nicht im Westen ankommen. Die ehemalige DDR wird zum Reich zwischen den Zeiten. Die Vergangenheit will nicht so recht vergehen, eine bessere Zukunft will sich nicht einstellen und dennoch schreibt Rachowski solche Texte, die im florierenden Literaturbetrieb nur wenig Anklang und Beachtung finden. Er schreibt über eine deutsche Gegenwart, die den Menschen in diesem Land ein gutes Leben erlaubt: »Schönes Deutschland. Alles ganz normal. Und beneidenswert.«157 So im Jahr 2002, im neuen Jahrtausend. 

 

Endnoten

1 Hans Sahl: Vorwort. In: Utz Rachowski: Der letzte Tag der Kindheit. Berlin: Oberbaum Verlag 1987, S. 9 f., hier S. 9.
2 Utz Rachowski: Das Eichsfeld oder Die endlose Fahrt. In: Ders.: Namenlose. Berlin: BasisDruck 1993, S. 140-155, hier S. 146.
3 Vgl. Wolf Biermann: Eine kleine Rede über Utz Rachowski am 13.11.91 in Fellbach. In: Rachowski, Namenlose (wie Anm. 2), S. 185-190, hier S. 189.
4 Ebd., S. 190.
5 Utz Rachowski: Die Namenlosen. In: Ders., Namenlose (wie Anm. 2), S. 132-139, hier S. 139. - Und nochmals ebd.: »Namen, die zu viele sind für Papier, Namenlose, deren Namen ich kenne, tot in einem Krieg, der keinen Namen hat, und der seine Toten nicht zählt.«
6 Er gibt der jüngst erschienen Sammlung den Titel: Red' mir nicht von Minnigerode. Dresden: Thelem 2006.
7 Utz Rachowski: "Red' mir nicht von Minnigerode". In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 64 ff., hier S. 64.
8 Ebd.
9 Die Formulierung vom ›Markenzeichen‹ gebraucht Max Frisch, dieser Identifizierung überdrüssig.
10 Utz Rachowski: "Der letzte Tag der Kindheit." In: Ders., Der letzte Tag (wie Anm. 1), S. 9-21, hier S. 21.
11 Ders.: "Nachricht aus der Fremde." In: Ders.: Mein Museum. Gedichte aus 19 Jahren. Dresden: Hellerau Verlag 1995, S. 39.
12 Vgl. Johannes R. Bechers Gedicht "Turm von Babel" in Johannes R. Becher: Gesammelte Werke. Bd. 6: Gedichte 1949-1958. Berlin: Aufbau 1973, S. 40; noch Hans Mayer, der -- nach einer hoffnungsvollen Neuanfang nach dem von Nazideutschland erzwungenen Exil in Leipzig -- dann 1963 die DDR verließ, stellt seine Erinnerungen unter dieses Zeichen: Der Turm von Babel. Erinnerungen an eine Deutsche Demokratische Republik. Frankfurt a. Main: Suhrkamp 1991.
13 Utz Rachowski: "Die Farben des frühen Fuchs." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 106-118, hier S.108.
14 Nicht im Vorwort von Sahl.
15 Vgl. Walter Schmitz: "Erinnerte Shoah? Literaturwissenschaftliche Anmerkungen zur Literatur der Überlebenden." In: Erinnerte Shoah. Die Literatur der Überlebenden. The Shoah Remembered. Literature of the Survivors. Hg. v. Walter Schmitz. Dresden: Thelem 2003, S. 497-521.
16 Utz Rachowski: "My Huckleberry Friend II." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 124-133, hier S. 131.
17 Jürgen Fuchs: "Literatur, die im Knast entsteht." In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 19.4.1987.
18 Vgl. Utz Rachowski: "Mein Gefängnis." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 154-184.
19 Utz Rachowski: "Brotnacht." In: Ebd., S. 46-49, hier S. 49.
20 Ders.: »Die Wenigen und die Vielen« - Ist alter Mut übertragbar? (Eine Rede vor ehemaligen Bautzen-Häftlingen). In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 248-256, hier S. 251.
21 Vgl. Utz Rochowski: "Das Wiederfinden der Erdbeben." In: Ebd., S. 208-211.
22 Jörg Bernig: "Leise Schreie aus Leben. Nachwort." In: Rachowski, Minnigerode (wie Anm. 6), S. 257-262, hier S. 257.
23 Vgl. auch zur deutsch-deutschen Differenz meine Studie: "Zwischen Ursprung und Utopie. Heimatsuche in der deutschen Literatur und im deutschen Film der 70er Jahre." In: Regionaler Fundamentalismus? Geschichte der Heimatbewegung in Stadt und Land Oldenburg. Hg. v. Museumsdorf Cloppenburg, Kulturamt der Stadt Oldenburg u. Stadtmuseum Oldenburg. Oldenburg: Isensee Verlag 1999, S.230-251, hier S. 234. Zu ›identitätswahrenden‹ Funktion von erlebter ›Heimat‹ in der DDR vgl. als erste Übersicht Frank Hafner: ›Heimat‹ in der sozialistischen Gesellschaft. Der Wandel des DDR-Bildes im Werk Günter de Bruyns. Frankfurt a. Main u.a.: Peter Lang 1992, S. 35-54.
24 Vgl. Rachowski, Der letzte Tag der Kindheit (wie Anm. 10).
25 Biermann, "Kleine Rede" (wie Anm. 3), S.186.
26 Rachowski, "Brotnacht" (wie Anm. 19), S. 46.
27 Utz Rachowski: "Die einzige Fahne." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 13 f., hier S. 13.
28 Ebd.
29 Rachowski, "Brotnacht" (wie Anm. 19), S. 48.
30 Ebd.
31 Utz Rachowski: "Über das slawische Herz." In: Ders.: Mein Museum (wie Anm. 11), S. 29 f., hier S. 30.
32 Biermann, "Kleine Rede" (wie Anm. 3), S. 187.
33 Utz Rachowski: "Wer ich bin, woher ich komme und wie ich Friseur wurde." (Autobiographische Notiz). In: Ders., Namenlose (wie Anm. 2), S. 156-167. Vgl. die genealogische Beglaubigung durch die »Großmutter, aus dem Land der Poesie kommend, die den Schirm ihrer Güte über unsere vielfach bedrohte Kindheit aufspannte.« (Ebd., S. 158).
34 Ders.: "In abgelegener Provinz." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 100-105, hier S. 103.
35 Ders., "Huckleberry Friend II" (wie Anm. 16), S. 128 (Hervorhebung W.S.).
36 Ders.: "Ich will Roger Loewig nicht vergessen." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 134-136, hier S. 134.
37 Jörg Bernig/Utz Rachowski: »Kehre nie zu einem Ort deiner Vergangenheit zurück!« Ein Gespräch. In: Rachowski, Minnigerode (wie Anm. 6), S. 215-238, hier S. 222. Vgl. die gekürzte Fassung dieses Gesprächs in: Literaturlandschaft im Wandel. Gespräche zur literarischen Kultur in Sachsen und Ostdeutschland 1990-2005. Hg. v. Jörg Bernig u. Walter Schmitz. Dresden: Thelem 2006, S. 165-177.
38 Utz Rachowski: "Der Vater." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 71-95, hier S. 76; folgende Zitate: Ebd., S. 84; S. 89.
39 Ebd., S. 92; folgendes Zitat, ebd.
40 Ebd., S. 93; folgendes Zitat, ebd.
41 Utz Rachowski: "Auf Verlangen vorzeigen!" In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 20-22, hier S. 22.
42 Ders., "Wer ich bin" (wie Anm. 33), S. 163.
43 Ders.: "Die alte Stadt. Eine literarische Collage." In: Ders., Namenlose (wie Anm. 2), S. 168-183, hier S. 168.
44 Ebd.
45 Utz Rachowski: "Die Tauben von Weimar." In: Ders., Mein Museum (wie Anm. 11), S. 13 f. (Hervorhebungen W.S.).
46 Utz Rachowski: "Chinesischer Türhütergott." In: Ders., Mein Museum (wie Anm. 11), S. 15.
47 Vgl. Ders., "Das Wiederfinden der Erdbeben" (wie Anm. 21), S. 210.
48 Rachowski, "Wer ich bin" (wie Anm. 33), S. 167.
49 Ders., "Das Wort Revolution." In: Ders., Mein Museum (wie Anm. 11), S. 31.
50 Reiner Kunze nennt - exemplarisch - diese Namen in: Für die einen war ich sofort ein Feind. Gespräch mit Reiner Kunze am 11. Januar 2002 in Berlin. In: Stille Post. Inoffizielle Schriftstellerkontakte zwischen West und Ost. Von Christa Wolf über Günter Grass bis Wolf Biermann. Hg. v. Roland Berbig. Berlin: Ch. Links 2005, S. 89-99, hier S. 95.
51 Rachowski, "Die Farben des frühen Fuchs" (wie Anm. 13), S. 111.
52 Ders.: "Die Akten des Menschengesangs oder Wie ein Staatsfeind entsteht." In: Ders.: Erinnerungen an eine Jugend. Chemnitz: Chemnitzer Verlag 1995, S. 20-54, hier S. 22. Dort auch das vorhergehende Zitat. - Die Wirkung des Existenzialismus in den kommunistischen Diktaturen, in der frühen DDR übrigens noch durch Johannes R. Becher vermittelt, späterhin im Samisdat kursierend, verdiente eine gründliche, vergleichende Untersuchung; stets bewähren sich diese Schriften, vor allem die Werke von Albert Camus, bei den Verfolgten, Dissidenten, Inhaftierten - sei es Václav Havel, sei es Imre Kertèsz - als eine Philosophie des Mutes; Rachowski beruft sich gelegentlich auf Camus' Feststellung, jede Diktatur sei »zu allererst bestrebt, gleichzeitig die Arbeit und die Kultur zu versklaven«. Utz Rachowski: "Die zwölf Stühle des Siegfried Heinrichs." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 154-184, hier, S. 170.
53 Vgl. Utz Rachowski: "Was ich von Greiz weiß." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 96-99.
54 Ebd., S. 97.
55 Ebd.
56 Jürgen Fuchs: Das Ende einer Feigheit. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1988, S. 38.
57 Rachowski, "Die Akten des Menschengesangs" (wie Anm. 52), S. 52.
58 Ders.: "Biografie oder Was die reden." In: Ders., Mein Museum (wie Anm. 11), S. 37.
59 Ders., "Die Farben des frühen Fuchs" (wie Anm. 13), S. 118.
60 Ders.: "Kommilitonen." In: Ders., Namenlose (wie Anm. 2), S. 127-131, hier S. 128.
61 Ebd., S. 131.
62 Vgl. Viktor Klemperer: LTI: Notizbuch eines Philologen. Berlin: Aufbau 1947. Rachoswki zitiert diesen Aufsatz in seinem Essay über Jürgen Fuchs in: "Die Farben des frühen Fuchs" (wie Anm. 13), S. 113.
63 Aus der Rede Zur Auseinandersetzung mit den beiden Diktaturen in Deutschland in Vergangenheit und Gegenwart, zitiert in: Rachowski, "Die zwölf Stühle des Siegfried Heinrichs" (wie Anm. 52), S. 151.
64 Hans-Joachim Schädlich: Versuchte Nähe. Zitiert bei: Rachoswki, "In abgelegener Provinz" (wie Anm. 34), S. 100.
65 Vgl. etwa Rachowskis Prosastücke: "Der Menzer." In: Der letzte Tag (wie Anm. 1), S. 32-47, sowie den Abschnitt »Die Diktatur der Pädagogen« in: Rachowski, Die alte Stadt (wie Anm. 43), S. 172-182.
66 Vgl. Rachowski, "Mein Gefängnis" (wie Anm. 18), dort die folgenden Zitate.
67 Ders., "Huckleberry Friend II" (wie Anm. 16), S. 124.
68 Ders., "Die zwölf Stühle" (wie Anm. 52), S. 154.
69 Ders., »Die Wenigen und die Vielen« (wie Anm. 20), S. 249. Vgl. zu den Gefängnis-Texten Bernig, Leise Schreie aus Leben (wie Anm. 22), S. 259.
70 Ebd., S. 258.
71 Rachowski, "Mein Gefängnis" (wie Anm. 18), S. 155 ff.
72 Ders., »Die Wenigen und die Vielen« (wie Anm. 20), S. 249.
73 Ders., "Mein Gefängnis" (wie Anm. 18), S. 184.
74 Ders., "Wer ich bin" (wie Anm. 33), S. 158.
75 Ders.: "My Huckleberry Friend I." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 119-124, hier S. 120.
76 Vgl. dazu den Beitrag von Julia Kormann in diesem Band, die auf die intertextuellen Bezüge auch zu Heiner Müllers Mauser aufmerksam macht; zudem ist aus der ›westlichen‹ Literatur an Peter Handkes Kaspar zu erinnern -- mit seiner Verschränkung von Sprachrollen und Identitätsprojektion, in denen sich das ›Ich‹ verliert.
77 Rachowski, "Huckleberry Friend I" (wie Anm. 75), S. 120.
78 Ebd., S. 119.
79 Ebd., S. 122; das folgende Zitat ebd., S. 132.
80 Vgl. Rachowski, "Mein Gefängnis" (wie Anm. 18), S. 167.
81 Ders., "Die zwölf Stühle" (wie Anm. 52), S. 162. - Vgl. auch die topische Konstellation von (von) Weimar und dem Ettersberg, in: "Eduard Mörike, der Ettersberg, ich und blaue Flügelkartuschen." In: Rachowski, Minnigerode (wie Anm. 6), S. 212 ff.
82 Utz Rachowski: "Nach Fellbach reisen." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 185-193, hier S. 191.
83 Zit. n. Rachowski, Minnigerode (wie Anm. 6), S. 51.
84 Rachowski, "Nach Fellbach reisen" (wie Anm. 83), S. 186.
85 Bernig, Leise Schreie aus Leben (wie Anm. 22), S. 26.
86 Vgl. die Formulierung vom Exil »als eine nicht heilende Wunde«; Bernig/Rachowski, "Ort deiner Vergangenheit" (wie Anm. 37),S. 232.
87 Ebd., S. 219.
88 Rachowski, "Die alte Stadt" (wie Anm. 43), S. 172.
89 Ders., Die Namenlosen (wie Anm. 5), S. 138. - Vgl. zur Wahl des Wohnortes Berlin die Einleitung zu diesem Band.
90 Fuchs, "Literatur" (wie Anm. 17).
91 Ebd., dort die folgenden Zitate.
92 Jürgen Fuchs spricht in ähnlichem Sinn und in sofern terminologisch vielleicht für mich nicht ganz folgend von ›Erlebnisliteratur‹. Zumindest in der Fachsprache der Literaturwissenschaft ist der Begriff ›Erlebnis‹ hier zu harmlos konnotiert. Doch das, worum es Fuchs geht, deckt sich mit dem, was ich hier als Rachowskis Erfahrungen zu beschreiben versuche.
93 Fuchs, "Literatur" (wie Anm. 17), dort auch das folgende Zitat.
94 Rachowski, "Wer ich bin" (wie Anm. 33), S. 156.
95 Ders.,  Erinnerungen (wie Anm. 52), S. 78.
96 Ders.,  Die Namenlosen (wie Anm. 5), S. 137.
97 Ders.,  Namenlose (wie Anm. 2), S. 121; vgl. den Text: "Das Eichsfeld oder die endlose Fahrt" (wie Anm. 2).
98 Ders.,  "Das Eichsfeld" (wie Anm. 2), S. 154.
99 Ders., "Wer ich bin" (wie Anm. 33), S. 166.
100 Ders.: "Erster Abend, letzter Morgen." In: Ders., Namenlose (wie Anm. 2), S. 123-126.
101 Ebd., S. 124.
102 Ebd., S. 126.
103 Ebd.
104 Rachowski, "Die alte Stadt" (wie Anm. 43), S. 171.
105 Ders.: "Der wilde Jäger." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 29-42, hier S. 29.
106 Ders., "Das Wiederfinden der Erdbeben" (wie Anm. 21), S. 208.
107 Fuchs, "Literatur" (wie Anm. 17).
108 Utz Rachowski: "Einmal sieh hinaus." In: Ders., Namenlose (wie Anm. 2), S. 89 f., hier S. 89.
109 Vgl. Ders.: "Eine Lebende in Warschau oder Neun Kapitel eines Grenzübertritts". In: Namenlose (wie Anm. 2), S. 98-103.
110 Ders.,  "Einmal sieh hinaus" (wie Anm. 109), S. 89.
111 Ders.: "Der Gast." In: Ders., Namenlose (wie Anm. 2), S. 117 ff., hier S. 117.
112 Ders., "Die zwölf Stühle" (wie Anm. 52), S. 179.
113 Vgl. Utz Rachowski: »ich bin der herrscher des tagsterns.« Einführung in die Dresdner Poetik-Dozentur Jirí Grusas. In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 199-207, hier S. 205. -- Das Motto der Abteilung hat er von Jiri Grusa übernommen. Keineswegs sei die Demokratie bereits in dem Territorium der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik angekommen. Die Verweigerung geschehe schweigend; vgl. ebd., S. 201.
114 Rachowski, "Die Farben des frühen Fuchs" (wie Anm. 13), S. 109.
115 Vgl. den zentralen Satz der Beglaubigung in Rachowski, Red' mir nicht von Minnigerode (wie Anm. 7): »Diese gibt es.«
116 Vgl. den Verweis auf Borchert in: Rachowski, "Wer ich bin" (wie Anm. 33), S. 159.
117 Motto zur Abteilung »ich bin der herrscher des tagsterns« in: Rachowski, Minnigerode (wie Anm. 6), S. 197. - Vgl. auch das Canetti entnommene Motto über Rachowski, "Die Farben des frühen Fuchs" (wie Anm. 13), S. 106.
118 Vgl. Rachowski, "Die zwölf Stühle des Siegfried Heinrichs" (wie Anm. 52).
119 Vgl. den von Rachowski und Reitel gemeinsam veröffentlichten Band: Gethsemane. Zwei Gedichte. Plauen: Neupert Verlag 1992.
120 Rachowski, "Nach Fellbach reisen" (wie Anm. 83), S. 187.
121 Ders., »Die Wenigen und die Vielen« (wie Anm. 20), S. 250.
122 Ders., "Huckleberry Friend I" (wie Anm. 75), S. 121.
123 Ders., "Der wilde Jäger" (wie Anm. 106), S. 34.
124 Ders., "Der Vater" (wie Anm. 38), S. 73.
125 Ders.: "Die Eroberung des Objekts." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 53-57, hier S. 55.
126 Ebd. S. 57.
127 Vgl. Rachowski, "Der dritte Satz für ein Deutschlandbuch." In: Ders., Namenlose (wie Anm. 2), S. 104 zur Dialektik von Ende und Anfang.
128 Ders.: "Die Gerechtigkeit." In: Ders., Namenlose (wie Anm. 2), 110 f, hier S. 111.
129 Ders.: "Aufbruch hinter die Spiegel." In: Ders., Namenlose (wie Anm. 2), 112 ff., hier S. 114.
130 Ebd., dort auch das folgende Zitat.
131 Utz Rachowski, "Der Gast" (wie Anm. 112), S. 119.
132 Ders.: "Das Licht aus den Gärten." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 15 f., hier S. 16. Zur Zeit der ›Romantik‹ belegten Symbolik vgl. Theodore Ziolkowski: "Der Karfunkelstein." In: Euphorion 55 (1961), S. 306.
133 Ders., "Das Eichsfeld" (wie Anm. 2), S. 153.
134 Fuchs, "Literatur" (wie Anm. 17).
135 »Die Freiheit ist das Recht, nicht zu lügen.« Dies zitiert Utz Rachowski in seiner literarischen Predigt zum Reformationstag 2002 aus den Psalmen (126). In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 239-247, hier S. 239.
136 Rachowski, "Die alte Stadt" (wie Anm. 43), S. 176.
137 Bernig/Rachowski, "Ort deiner Vergangenheit" (wie Anm. 37), S. 234.
138 Rachowski, "Die Farben des frühen Fuchs" (wie Anm. 13), S. 106.
139 Ders.,  "In abgelegener Provinz" (wie Anm. 34), S. 105.
140 Rachowski, »ich bin der herrscher des tagsterns.« (wie Anm. 114), S. 207.
141 Vgl. Bernig, "Leise Schreie aus Leben" (wie Anm. 22), S. 261.
142 Rachowski, "Die zwölf Stühle des Siegfried Heinrichs" (wie Anm. 52), S. 150.
143 Biermann, "Kleine Rede" (wie Anm. 3), S. 189.
144 Rachowski, "Die zwölf Stühle des Siegfried Heinrichs" (wie Anm. 52), S. 150.
145 Ders., »Die Freiheit ist das Recht, nicht zu lügen.« (wie Anm. 136), S. 244.
146 Ders., »ich bin der herrscher des tagsterns.« (wie Anm. 114), S. 202.
147 Ders.,  "Nach Fellbach reisen" (wie Anm. 83), S. 192.
148 Ders.,  "Huckleberry Friend II" (wie Anm. 16), S. 130.
149 Ebd, S. 129. Zu reden ist auch von »den literarischen Ergießungen belletristischen Schunds meiner Täter-Kinder-Generation, sagen wir zum Beispiel in Sachsen, wo jeder mit jedem im KZ gewesen sein will oder in der DDR verfolgt, die sich aber gerade als typische Diktatur-Menschen-Generation durch völlige Mitleidlosigkeit, auch gegen sich selbst, auszeichnet und letztendlich nur überspielen will, daß sie mitgespielt haben«. (Rachowski, "Ich will Roger Loewig nicht vergessen" [wie Anm. 36], S. 135).
150 Utz Rachowski: "Altherrenherbst." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 62 f., hier S. 62.
151 Ebd.
152 Ebd., S. 63. Dort auch das vorhergehende Zitat.
153 Utz Rachowski: "Lektüre bei seitlichem Meerblick." In: Ders., Minnigerode (wie Anm. 6), S. 58-61, hier S. 61. Dort auch das vorhergehende Zitat.
154 Ders.: Red' mir nicht von Minnigerode (wie Anm. 7), S. 64.
155 Ders.: "Bauer geschlagen vom Feld." In: Ders., Minigerode (wie Anm. 6), S. 11 f., hier S. 12.
156 Ebd.
157 Rachowski, "Nach Fellbach reisen" (wie Anm. 83), S. 193.