Glossen 27

„Jedes Buch ist ein eigenes Projekt, das eine eigene Form findet.“ Anke Biendarra im Gespräch mit Gregor Hens

Gregor Hens zählt zu den weithin beachteten deutschen Autoren der jüngeren Generation. 1965 in Köln geboren, begann Hens nach dem Abitur ein Studium der Anglistik und Germanistik in Bonn, das er an der University of Missouri, Columbia fortsetzte. Von dort führte ihn der Weg nach Berkeley, wo er 1995 in Sprachwissenschaft promovierte, bevor er eine Stelle an der Ohio State University antrat. Dort ist er seit 2001 ordentlicher Professor der Germanistik. Neben seinen Forschungs- und Lehrtätigkeiten und Überset

Gregor Hens
Gregor Hens
(Copyright: Sven Paustian)

zungen ist Hens mit mehreren literarischen Arbeiten hervorgetreten. 2006 erschien sein viertes Buch, der Roman In diesem neuen Licht. Zuvor veröffentlichte er mit großem Erfolg seinen Debüt-Roman Himmelssturz (2002), den Erzählband Transfer Lounge. Deutsch-amerikanische Geschichten (2003), sowie den Roman Matta verlässt seine Kinder (2004). Gregor Hens lebt in Columbus und Berlin, wo am 12. September 2007 auch das folgende Gespräch stattfand.

Meine Reise nach Berlin und verschiedene Autoren-Interviews vor Ort wurden durch ein Stipendium des International Center for Writing and Translation (ICWT) an der University of California, Irvine gefördert.

Anke Biendarra: Wie ist Deine eigene intellektuelle Biografie verlaufen? Wie bist Du zum Schreiben gekommen?

Gregor Hens: Ich habe eigentlich erst 1998/99 ernsthaft mit dem Schreiben angefangen, bin also ein relativer Spätstarter. Das hatte auch mit meiner beruflichen Situation zu tun. Ich hatte gerade eine längere wissenschaftliche Arbeit zu Ende gebracht und wollte etwas ganz anderes machen. Da ich eigentlich Sprachwissenschaftler bin, mich aber in der Literaturwissenschaft getummelt hatte, wollte ich für mich selbst ein paar Dinge ausprobieren. So ist das entstanden. Ich habe mich immer gewundert, dass die Kollegen in der Literaturwissenschaft nicht schreiben.

Ich finde das recht ungewöhnlich. Zumindest kenne ich kaum Kollegen, die Belletristik schreiben.

Ich habe immer gedacht, wenn man mit Literatur, also Sprache als Material arbeitet, dann analysiert man es nicht nur, sondern synthetisiert es auch und versucht, selbst etwas damit zu machen. Für mich ist das ein ganz natürlicher Antrieb gewesen. Am Anfang war diese Beschäftigung ein bisschen experimentell, aber dann hat sich das sehr schnell verselbständigt.

Wenn man sich beständig kritisch mit Literatur auseinandersetzt, fällt es einem dann nicht schwer, überhaupt mal etwas stehen zu lassen? Steht man sich bei der literarischen Arbeit nicht selbst im Weg?

Da ist wahrscheinlich jeder anders. Für mich funktioniert das sehr gut. Ich habe halt diesen akademischen Hintergrund und nutze ihn auch. Ich glaube, wirklich interessant an dieser Situation ist der umgekehrte Effekt, also nicht der Einfluss meiner literaturwissenschaftlichen Arbeit auf mein Schreiben, sondern der Einfluss des Schreibens auf meine kritische Stellung zu anderer Literatur. In den letzten Jahren habe ich gelernt, ganz neu zu lesen. Ich habe im Moment zwar nicht viel Zeit, wissenschaftlich zu veröffentlichen, aber ich unterrichte ja Literatur und Literaturwissenschaft, und meine Vorstellungen von Kritik und mein Umgang mit Texten haben sich geändert. Ich lese ganz anders. Ich versuche, das auch anders zu vermitteln und das ist ein sehr positiver Effekt.

Kannst Du vielleicht ein Beispiel geben? Du unterrichtest ja keine deutschen, sondern amerikanische Studenten. Denen deutsche Literatur zu vermitteln ist etwas ganz anderes, als in Deutschland zu unterrichten...

Auf jeden Fall. Oftmals werden Texte nur gebraucht, um bestimmte Dinge zu illustrieren, zum Beispiel kulturwissenschaftliche, landeskundliche Dinge. Wenn man aber versucht, den Text zu erleben und die Reaktionen des Lesers herauszuarbeiten, ohne den Text sofort aus irgendeiner „Haltung“ heraus zu bewerten, ist das nicht so einfach. Aber genau das macht mir Spaß. Ich versuche, gemeinsam mit den Studenten einen direkten Zugang zum Leseprozess zu finden, ein Gefühl für dichte Texte und für das Material Sprache zu wecken.

Was mich ganz praktisch interessiert: wie läuft das denn mit diesem Job an Ohio State University? Wie viel Zeit verbringst Du hier in Deutschland und wie viel Zeit in den USA?

Das ist jedes Jahr unterschiedlich und wird jeweils neu ausgehandelt. Ich kann mir immer mal wieder ein Trimester freinehmen, und im Sommer bin ich auch meistens in Deutschland.

Dann ist Dein Leben schon zweigeteilt? Oder hat es sich mit einer wachsenden literarischen Publikationsliste mehr nach Deutschland verlagert?

Genau. Ich versuche, mir möglichst viel Zeit zum Schreiben nehmen, ohne meine Verpflichtungen in Ohio zu vernachlässigen. Am besten funktioniert das Schreiben aber in Deutschland oder woanders im Ausland. Im Moment geht e s mir ganz gut mit dieser Pendelei. Demnächst reise ich übrigens für eine längere Zeit nach Peru – auch zum Schreiben.

Also brauchst du beides und möchtest beides machen?

Ja, auf jeden Fall. Manchmal beklage ich mich über die Unruhe in meinem Leben, aber im Grunde ist es die beste Lösung.

Wenn Du in Deutschland bist, ist Dein Lebensmittelpunkt in Berlin. Könnte es auch eine andere Stadt sein?

Ich habe meine Freunde in Berlin und fühle mich hier sehr wohl. Deshalb bin ich hier, aber theoretisch könnte es auch woanders sein.

Gerade in den letzten zehn Jahren ist Berlin wieder zum literarischen Mittelpunkt erklärt worden. Viele Autoren leben hier und die, die das nicht tun, sind scheinbar die Ausnahme. Da fragt man sich natürlich, ob es auch um die Inspiration geht, „im Zentrum“ zu sein.

Nicht für mich. Mich inspiriert die Stadt literarisch nicht. Ich habe auch noch nie über Berlin geschrieben. Aber es ist einfach eine sehr schöne Stadt, in der man sehr gut und relativ preiswert leben kann. Freunde sind in der Nähe. Das ist eigentlich alles.

Wie schätzt Du deine eigene Position im deutschen Literaturbetrieb ein?

Ich spüre natürlich eine gewisse Verwandtschaft mit anderen Autoren und Autorinnen, gerade aus meiner Generation. Aber es sind eher kleine Netzwerke... Es ist nicht so, dass ich mich zu irgendeiner Gruppe gehörig fühlen würde.

Hast Du auch einen Literaturagenten?

Ich habe eine Agentin.

Braucht man so jemanden mittlerweile? Oder kann man das Geschäft auch allein betreiben?

Ja, das geht natürlich auch. Für mich hat das aber sehr viele Vorteile. Meine Agentin übernimmt zum Teil Aufgaben, die zu einer anderen Zeit eher ein Lektor gemacht hätte. Sie lektoriert zwar nicht im eigentlichen Sinn meine Texte, aber sie ist meine erste Leserin und Ansprechpartnerin. Diese Konstanz ist für mich besonders wichtig, da ich ja schon zweimal den Verlag gewechselt habe.

Wenn ich mir Dein Werk ansehe – besonders denke ich dabei an Transfer Lounge – dann würde ich sagen, Du versammelst Charaktere, die unabhängig von nationalen Zugehörigkeiten operieren. Eine Kollegin schrieb über „Himmlische Erde“, man müsse sich diese Geschichte unter dem Aspekt Deutschland – Amerika ansehen, d.h. wie sich Deutsche in Amerika repräsentieren würden. Ich würde dagegen halten, dass ich keinen einzigen Hinweis darauf gefunden habe, welcher Nationalität diese beiden Charaktere eigentlich sind. Ich kann das erschließen, aber der Erzähler gibt mir keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, was ich als Indiz für post-nationale Identitäten sehe. Könntest Du dazu etwas sagen?

Ich sehe das ähnlich. In dieser Geschichte erfährt man relativ wenige biografische Details über die Figuren. Man weiß, dass der Mann in Deutschland ein Erbe antritt , dass er über Paris nach Hause fliegt. Aber ich glaube, was man dieser Geschichte anmerkt ist, dass der Fluchtpunkt, der Orientierungspunkt, nicht in der Geschichte selbst liegt und auch nicht an diesen Orten. Der eigentliche Referenzrahmen liegt irgendwo außerhalb dieser Geschichte und deshalb sind beide Figuren etwas verloren und streben auch wieder auseinander.

Auf der einen Seite sind Deine Figuren sehr leichtfüßig, was das Übersetzen von einer Kultur in die andere angeht und besitzen Attribute, die ich post-national nennen würde. Auf der anderen Seite gibt es aber eine gewisse existentielle Verlorenheit, die sich besonders in zwischenmenschlichen Beziehungen äußert. Der Fluchtpunkt, scheint mir, sind immer Beziehungen. Überdies sind Deine Texte auf der einen Seite sehr stark in der gegenwärtigen Zeit verwurzelt, andererseits sprechen sie aber diese übergeordneten Fragen an, wie Literatur das gemeinhin tut.

In meinem letzten Roman, In diesem neuen Licht, gibt es Passagen, die in die Zukunft weisen, d.h. die Geschichten einzelner Figuren bis in eine ferne Zukunft – über den eigentlichen Erzählzeitpunkt hinaus – zu Ende erzählen. Da ging es mir tatsächlich darum, eine Art biografischer Spekulation zu betreiben: Wie geht es weiter? Was passiert mit den Figuren eigentlich, nachdem wir – Autor und Leser – eigentlich schon mit ihnen fertig sind? Ich wollte sehen, wie weit ich diese Langzeitbeobachtung treiben kann, und habe damit den erzählerischen Rahmen gesprengt. In Transfer Lounge dagegen sind es immer nur Zustände, die sehr kompakt beschrieben werden, in denen ein gewisses Gleichgewicht besteht, wo Dinge noch nicht gekippt sind, wo sich Menschen gerade gerettet haben.

Das werde ich bei meiner Lektüre des neuen Romans im Kopf behalten. Was mir auch aufgefallen ist, ist dass die Figuren nicht wirklich im Bild sind, was Geschichte angeht. Vielleicht sind sie in ihrer persönlichen, individuellen Geschichte, aber Geschichte im Sinne von ‚history’ spielt keine große Rolle.

Ja, da gibt es vielleicht eine Arbeitsteilung unter Schriftstellern. Die einen kümmern sich um das Geschichtliche, andere halten sich da eher raus. Wenn man Dinge aus der deutschen Geschichte anklingen lässt, entstehen wie von selbst gewisse Reflexe. Dann heißt es gleich, man betreibe Vergangenheitsbewältigung oder man stehe so oder so zu den Achtundsechzigern. Bestimmte Vokabeln stören mich beim Lesen, ich will sie in meinen eigenen Texten nicht haben. Peter Handke schreibt irgendwo, Wörter wie ‚Bismarck,’ ‚Hitler’, ‚Mauer’ und so weiter seien in seinen Texten nur Wörter: Bismarck, Hitler, Mauer. Das ist natürlich absurd, weil das überhaupt nicht geht. Aber er spielt und arbeitet damit. Im Moment beschäftigt mich eher die Privatsphäre meiner Figuren, und ich will nicht, dass mir etwas dazwischen funkt. Ich will in den meisten Fällen noch nicht einmal, dass sich Leser Gedanken darüber machen, ob eine Geschichte vor oder nach dem Mauerfall, vor oder nach dem 11. September spielt. Es geht um Menschen, die unabhängig agieren, die sich in eigenen Bahnen bewegen.

Wenn Du sagst, diese genaue historische Verankerung komme einem auf der kreativen Ebene dazwischen, klingt das fast programmatisch.

Nicht so sehr beim Schreiben, aber im Leseprozess. Ich kann durchaus einen Satz über die Montagsdemonstrationen in Leipzig formulieren. Das ist kein Problem. Aber ich glaube, es stört dann bei der Rezeption. Natürlich nicht immer und bei jedem Buch, aber in meinen Büchern. Die Art von Literatur, die ich schreibe, die Beziehungen, die ich beschreibe, die Orte – ich will nicht, dass einem Fernsehbilder im Kopf aufflackern. Das sind eher abstrakte Landschaften, leicht umrissen, eher zeichnerisch.

Wie kann man sich Deine Schreibroutine vorstellen?

Das kommt darauf an, wo ich gerade bin. In Ohio kann ich praktisch nicht schreiben, weil ich andere Verpflichtungen habe. Hier in Berlin schreibe ich sehr viel. Ich weiß, ich habe nur eine begrenzte Zeit, ich muss Anfang des Jahres wieder unterrichten. Ich will bestimmte Sachen schaffen und arbeite deshalb ziemlich intensiv. Dabei wäre es mir eigentlich lieber, die Dinge etwas lockerer angehen zu lassen.

Arbeitest Du dann den ganzen Tag?

Ich bin ein Morgenschreiber. Ich kann nicht acht Stunden am Tag schreiben. Das geht überhaupt nicht. Meistens beginne ich schon gegen sieben, vor dem Frühstück. Ich bin dann am frühen Nachmittag oftmals schon platt. Vor allem bin ich, weil ich meine Texte beim Tippen leise mitspreche, irgendwann heiser.

Gibt es poetologische Texte von Dir?

Es gibt einen Text, ja. Der heißt „Ablichten“ und ist vor ein paar Jahren in der Zeitschrift Edit erschienen. Dann gibt es in dem neuen Roman kleine poetologische Exkurse, vor allem über das Übersetzen -- ein wichtiges Anliegen, weil die Hauptfigur ein Übersetzer ist. Er erklärt, was ihn an dieser Arbeit fasziniert. Übersetzen, nacherzählen, paraphrasieren, aus einem Text einen anderen Text zu machen, das interessiert mich alles brennend. Ich habe letztes Jahr selbst einen Roman von Marlon Brando übersetzt, demnächst erscheint ein weiterer von mir übersetzter Roman im marebuchverlag, Ray Robinsons Lily.

Das wusste ich nicht. Wie heißt Brandos Roman?

Madame Lai – ein wunderschöner, sehr lustiger und ein bisschen trashiger Piratenroman, der in den Zwanzigerjahren im Südchinesischen Meer angesiedelt ist. Das Buch ist in Deutschland sehr wohlwollend aufgenommen worden, was mich gefreut hat, denn ich habe mich irgendwie mit dem Projekt identifiziert

Kulturelle Übersetzung und Intertextualität spielen in Deinen eigenen Texten ebenfalls eine große Rolle. Himmelssturz zum Beispiel ist eine Art Neuschrift, eine Übersetzung der Wahlverwandtschaften.

Ja, ich schreibe gerne um, ich erzähle nach und übersetze. Es geht also nicht nur um Intertextualität, um Verweise, sondern um Bearbeitung, Umsetzung von Texten. Himmelssturz ist da noch anders, weil es sich immer wieder auf die Wahlverwandtschaften bezieht und stark vom Konzept der Intertextualität getragen wird. Andere Texte reagieren eher intuitiv auf Gelesenes. Das hängt damit zusammen, wie ich selbst als Leser funktioniere: Ich lese einen Text und fange sofort an, darüber nachzudenken, wie sich die Geschichte in meinem Kopf entfaltet, wie sie sich darstellt, was sie mit mir macht. Und solche Texte vermischen sich dann gelegentlich mit meiner eigenen Arbeit.

Du sagst, Himmelsturz sei anders... was treibt einen um, wenn man einen Klassiker neu schreibt oder einen klassischen Roman dem eigenen unterlegt?

Himmelssturz beruht auf einer gewissen Hassliebe zu den Wahlverwandtschaften. Goethes Roman ist natürlich sehr gut, aber er wirkt zum Teil, zumindest aus heutiger Sicht, auch richtig lächerlich. Allein die Namen der Hauptfiguren! Es gibt Ottilie und Charlotte, und die Männer heißen eigentlich beide Otto! Oder dieses sehr simple chemische Gleichnis, das dem Ganzen unterliegt... so etwas würde heute kein Schriftsteller wagen! Eine Beschäftigung mit so einem Text funktioniert für mich am besten, wenn ich ihn gegen den Strich bürsten kann; wenn ich den Text einerseits aufnehmen und vereinnahmen, ihn andererseits auch von mir weisen kann. Es muss immer beides drin stecken. Das habe ich in In diesem neuen Licht mit D.H. Lawrence auf ganz extreme Weise gemacht, was mir dann in der Kritik zum Teil vorgeworfen wurde: mein Roman könne nicht funktionieren, weil D.H. Lawrence einen so starken Vitalismus und Eros repräsentiere und meine Figuren so kühl und zurückgezogen seien. Das kann man so sehen, man kann aber auch sagen, dass genau dieser Kontrast interessant ist.

Kritik, das heißt Rezensionen, liest Du also schon?

Schon, ja. Die größeren Sachen lese ich durchaus.

Ist das wichtig? Kann einen das auch positiv oder negativ beeinflussen?

Für die Tageslaune ist es wichtig... auch wenn Dir andere Autoren etwas anderes erzählen. Wenn man morgens einen Verriss in der Mailbox hat, kann einem das die Laune verderben. Die deutsche Literaturkritik ist ja traditionell sehr ruppig. Das beeinflusst manchmal zwar die Tagesform, aber ich kann mir kaum einen Autor vorstellen, der sich beim Schreiben Gedanken darüber macht, wie die Kritik reagiert.

Nein, das wahrscheinlich nicht. Aber es gibt legendäre Auseinandersetzungen, wo Kritik sehr persönlich wird. Vielleicht liegt es auch daran, dass der deutsche Literaturbetrieb recht überschaubar ist. Die Autoren kennen sich untereinander, sie kennen die Kritiker und die Kritiker kennen natürlich die Verleger.

Ja, kann schon sein. Als Himmelssturz erschien, kannte mich kein Mensch, weil ich seit dreizehn Jahren in den USA war. Dann kam das Buch raus, ich kam nach Deutschland und war auf den Literaturbetrieb sehr neugierig. Ich war auch auf die Kritiker neugierig, die über mein Buch geschrieben hatten, weil ich dachte, Mensch, das ist ja toll, da interessieren sich Leute für meine Arbeit und mit denen würde ich gern reden. Vielleicht war das ein Fehler. Ich glaube, einige Leute haben gedacht, ich wollte sie beeinflussen oder für mich gewinnen. Es wäre vielleicht besser gewesen, ich hätte mich gar nicht gezeigt und wäre einfach dieser schrullige Typ in Ohio geblieben, den keiner kennt! Die Leute fanden das sehr exotisch: Ohio, Professor, Amerika, usw.

Es gibt auch kaum eine Rezension, die diese Dinge nicht erwähnt.

Genau. Dann lernen die Leute einen kennen und merken: das ist einfach ein normaler Typ, der gern über Literatur redet.

Könntest Du beschreiben, was der Fluchtpunkt Deines Schreibens ist? Geht es Dir in erster Linie darum, etwas für Dich selbst zu verarbeiten? Oder ist es ein aufklärerisches Interesse?

Nein, überhaupt nicht. Was mir an dieser Arbeit am wichtigsten ist, ist tatsächlich die sprachliche Seite. Wie etwas erzählt wird, wie mit mehreren Geschichten gleichzeitig umgegangen wird, die Möglichkeiten, die man hat, Texte ineinander zu fügen und so weiter. Darüber hinaus ist jedes Buch anders und der Schreibimpuls ist jedes Mal ein anderer. Ich kann überhaupt nicht verallgemeinernd sagen, dass die Bücher alle aus einem bestimmten Grund entstanden sind oder ein Ziel haben. Jedes Buch ist ein eigenes Projekt, das eine eigene Form findet.

Dein erstes Buch war ein Roman. Das ist ungewöhnlich, weil viele Leute mit Kurzgeschichten anfangen. Bei Dir war es vielleicht umgekehrt. Oder lagen die Transfer Lounge-Geschichten schon in der Schublade?

Nein, die lagen noch nicht in der Schublade, aber Himmelssturz hat als Novelle angefangen, die dann quasi explodiert ist. Das hatte mit den Wahlverwandtschaften zu tun, die ja ursprünglich auch als Novelle konzipiert waren. Zwar interessiert mich diese Gattungsgrenze, aber ich will mich gar nicht so festlegen. Der Verlag hat natürlich ‚Roman’ unter den Titel geschrieben, aber für mich hat das Buch immer noch etwas von einer Novelle. Allerdings habe ich bei Matta verlässt seine Kinder lange mit dem Verlag überlegt und geredet. Ich wollte nicht, dass das Wort Roman auf dem Umschlag steht, und habe mich da auch durchgesetzt.

Gibt es einen Kern, um den man herum schreibt? Judith Hermann sagt zum Beispiel, wenn sie anfange, einen Text zu schreiben, habe sie einen Satz, von dem aus es sich entwickelt. Bei anderen Autoren gibt es vielleicht eine zentrale Idee, oder eine zentrale Figur. Kann man das erklären, oder ist es zu schwierig, weil es jeweils anders ist?

Man kann es nicht ganz verallgemeinern, aber ich verstehe, was Judith Hermann meint. Bei Erzählungen ist es bei mir auch eher so, dass ich mit einem Grundton anfange oder mit einem Satz oder Wort. Mit einem kleinen Lichtpunkt.

Mit einem Einfall?

Ein Einfall, ja. Aber nicht unbedingt ein großer literarischer Einfall, sondern etwas kleines. Das kann ein Detail, ein Wort oder ein Satz sein. Das ist bei Transfer Lounge auch so gewesen. Bei den anderen Büchern allerdings nicht. Da geht es eher um Figurenkonstellationen. Das ist wie ein kleines Experiment: Was passiert, wenn ich ein Ehepaar nehme und eine dritte Person kommt hinzu? So gerät eine statische Konstellation auf einmal in Bewegung. Es geht um Katalyse, um mal in Goethes chemischer Metapher zu bleiben.

Noch eine letzte Frage zum Verhältnis USA – Deutschland. Hat sich Deine Einstellung zu den USA in den letzten Jahren geändert, vielleicht auch durch Deine transkontinentale Existenz?

Auf jeden Fall. Ich war eine Zeitlang, das ist schon etwas her, sehr amerikabegeistert. Aber mir ist das Land, in dem ich nun seit beinahe zwanzig Jahren lebe, inzwischen sehr fremd geworden. Natürlich hab ich mich auch verändert und bewegt, aber irgendwie sind wir nicht mehr so chummy, dieses Land und ich, und das liegt nicht nur an mir. Ich interessiere mich natürlich brennend für die Politik. Kulturell fühle ich mich hier in Europa aber gerade wohler.

Vielen Dank für das Gespräch.

Nichts zu danken.