Glossen 27
Lilian Faschinger
RAUE NÄCHTE MIT GESANG
„Tis bitter cold,
And I am sick at heart“
(William Shakespeare, Hamlet, I, i, 8-9)
1
Bring out your dead!
Bring out your dead!
Von einer Gruft in die andere
Gekarrt von den schwarzen Engeln
Mit Sack und Pack
Den Tritt der geschmeidigen Stiefeletten
Die noch warme Mündung im Nacken
Aber ich bin nicht tot!
In die Grube gestoßen
Zu den Leichen von hundert Frauen
Das weiße Fleisch schlägt weich über mir zusammen
Es rieselt der Kalk
O du lieber Augustin
Ich schaue mich um
In meiner neuen Wohnung
Bis zum Hals in Wiener Kadavern
Wer andern keine Falle stellt
Tappt selbst hinein
Eine feine schlaffe Hand mit teuren Ringen
Auf meinem Gesicht
Versperrt mir den Blick
Ich schiebe sie weg
Ganz oben ein graues Stück Himmel
Die klaffenden Zwickel der Herrenrasse
Und leise rieselt der Schnee
2
Still und starr ruht die Frau
In der gusseisernen Wanne
Im Kärntner See
Zerschlagen vom Mann
Schwarz und blau
Der Mord tritt hinter den Wolken hervor
Ich entsteige dem Trog
Dem dampfenden heißen Blut
Schaumgeboren und frierend
Noch einmal Schwein gehabt
In meiner neuen Wohnung gehe ich herum
Und rühre mit dem Zeigefinger
An die blanken Kupferröhren
Die von der Decke hängen
Ein feiner Klang
Sagt der Vater und legt die Hand hinters Ohr
Hörst du die Gänseblümchen im Wind?
Ein feiner Klang
Sagst du und legst das Ohr auf mein Herz
Bevor du es mit dem Messer aus Obsidian
Sorgsam in zwei Teile schneidest
Ein guter Geschmack
Sagt der Vater
Und isst die zwei Hälften
Die ihm die Mutter summend zubereitet hat
Mit Salz und Pfeffer und Wurzelwerk
In meinen neuen Zimmern hinke ich umher
Gehüllt in einen weißen Bademantel
Der nach dir riecht
Und der das Loch nur notdürftig bedeckt
Das sich auftut anstelle des Herzens
Der Weihnachtsmann wiegt sich in den Hüften
Ein unkeuscher Greis
Jingle Bells
Ein feiner Klang
3
Eingekesselt in den rauen Nächten bin ich
Wie die Väter
Wie die Täter
Ein schöner schlanker Tod vor der Tür
Und ein uralter Feind vor dem Fenster
Eingemauert bin ich
In meiner neuen weiß gekalkten Wand
Den Katzen und den Kindern gleich
Um das Böse fernzuhalten
Ich stehe da mit angelegten Armen
Vorsichtig atmend
Und frage mich
Wann mir die Luft ausgehen wird
Die Tiere raunen in den rauen Nächten
Die Hexen kichern in den Ecken
Sie flüstern ihre Flüche
Und fressen mir das rohe Fleisch vom Teller
Ich trete aus der Wand
Mit meinem wunden linken Fuß
Und stehe vor den Amuletten
Geschenken meiner schönen Schwestern
Der Stein mit dem Auge
Der kleine Tiger aus Holz
Der mattschwarze Vogel
Ich traue ihnen nicht
Den Talismanen
Den Verräterinnen
Sie geben mir Vogel, Tiger und Stein mit einer Hand
Und nehmen mir alles mit der anderen
Von Wien gefesselt bin ich
In die Krippe leg ich
Das einbeinige Kind
4
Ich liege im Bett und im Sterben
Gewärmt von meinem Hass
Die Mutter drückt die Tür auf
Sie trägt einen schweren Koffer
Es wachsen ihr Schlangen im Haar
Lieb Mütterlein
Lieb Mütterlein
Wie soll ich die Schlangen töten?
Die Mutter singt leise
Maria durch ein´ Dornwald ging
Sie legt mir den Koffer auf den Bauch
Und klappt ihn auf
Dann drückt sie mir lächelnd den Kamm ins Haar
Und bindet mich flink mit dem Gürtel
Ich öffne den Mund zu einem Schrei
Sie verschließt ihn mir mit dem Golden Delicious
Die schönen Schwestern kommen grinsend aus den Ecken
Die eine mit der abgehackten Zehe
Die andere mit der blutigen Ferse
Und stellen mir die Füße aufs Grab
Sie haben gebacken
Sie haben gebraten
Sie haben mir das Kind genommen
Das einbeinige Kind
Die Mutter tritt zum alten Spiegel
Der nicht zerbrochen ist
Spieglein! Spieglein!
Sie zupft die Schlangen zurecht
Und lacht hinein
5
Ich träume mich hinaus
Und übers Meer
Auf den Feldern des Tukans
Ins feuchte Dickicht der Neuen Welt
Die Mutter
Die Schwestern bleiben zurück
Und ringen die Hände
Wer wird nun unser Opfer sein?
Wessen Garten werden wir plündern?
Wen werden die alten, die neuen Stiefel
An unserer Stelle zu Tode treten?
Wer geht über ihre Leiche?
Der rote Pfefferfresser setzt mich ab
Auf der Spitze der Pyramide
Des Tempels der Masken
Und fliegt davon
Ich bin allein
Und blicke über die grüne Hölle
Da sehe ich dich
Den Azteken mit dem wachen Blick
Inmitten behänder Makaken
Erklimmst du die moosigen Stufen
Lass mir mein Herz!
Will ich rufen
Pleased to meet you!
Kommst du mir zuvor
Überraschend verständlich
Mit dem Messer aus Obsidian
Zwischen den Zähnen
Der Vulkan in der Ferne speit Feuer
Er war nie tot
Die Erde fängt langsam an zu beben
6
(für Manuela Reiter)
Auch du warst in den Regenwäldern
Freundin mit der hellen Stirn
Was hattest du dort zu suchen?
Bist umgekommen darin!
Die Liebe trifft
Die Klugen wie die Dummen
Mit ihrer Krötenzunge
An den Wassern Babylons
An der Küste der Karibik
Kralle ich die Finger in das gelbe Netz der Hängematte
Stoße mich ab vom Sand
Mit meinem fast geheilten linken Fuß
Und lasse meiner Trauer freien Lauf
Der Wind biegt die Palmen
Die Sonne blendet
Die verschlagenen Mayas decken das Dach der Hütte
Mit frischen Blättern
Und füttern mich mit Papayas und Polypen
Drah di ned um!
Sonst erstarrst!
Was hattest du dort zu suchen?
Hat man dich auch vertrieben
Aus deinem angestammten Land?
Hat man dir auch dein Kind genommen
Den Wildbachwellen ausgesetzt
In einem Korb aus Buchenrinde
So dass es dir nicht leuchten konnte
Beim Marsch durchs Unterholz?
Meine Tränen fallen und treffen
Die kleinen weißen Krebse
Die nach allen Seiten laufen
Und nicht gerechnet haben
Mit derlei heißen Geschoßen
Drah di ned um!
Sonst erstickst!
Ich sehe den Mann
Der unsere Hände trennte
Und wirst du nicht wiederkommen?
Und wirst du nicht wiederkommen?
Nein, du bist tot
Begraben unter einem giftigen Gewächs in Österreich
Auf einem zwangsneurotisch ordentlichen Friedhof
Mit deiner ganzen Sippschaft
Die dich auf dem Gewissen hat
Dreh dich nur um
Im Grab!
7
Drei Stockwerke
Und das alte Schweigen
Lasten auf mir
Die neue Wohnung liegt im tiefen Schatten
Im toten Wiener Winkel
Aber mein Keller fließt über
Ich öffne das Fenster und sehe
Wie das Tor zur Welt geschlossen wird
Ich horche in den Hinterhof hinein
Irgendwo weint eine Königin
Und ein blinder König ruft seine Frau
Mit ersterbender Stimme
Ich träume mich durch das Dunkel hinauf
In einen Leuchtturm
Über dem Meer einer anderen Stadt
Um den die Stürme eines letzten Frühlings toben
Ich lasse mein gefärbtes Haar hinunter
Ein verwahrloster Prinz verfängt sich darin
Es war ein König in Thule
Er umzingelt mich mit Tönen
Und duftendem lila Flieder
Wir lecken Salz vom Rand des Bechers
Aus schwerem böhmischen Glas
Eine Schlange aus den dünnen Flechten meiner Mutter löst sich
Und kriecht in unser Bett
Am wolfgrauen Himmel zucken Blitze
Von einem Ende der Stadt zum anderen
Der Regen dringt durch die Ritzen
Und schwemmt uns davon
Wir gehen nicht unter
8
Der König besteigt die Gipfel
Er lacht verzweifelt und stumm
Die Königin hält mich gefangen
Im kranken Ehebett
Sie schließt mich an die Schläuche an
Und liefert mich ans Skalpell
Der Kronprinz sitzt am Pritschenrand
Mit schwarz umflorten Augen
Hat die Arme um sich geschlagen
Und schaukelt hin und her
Dem Zweitgeborenen stürzt das Haus
Über dem Kopf zusammen
Die Kinder tanzen Ringelreihn
Sie tun
Als ob nichts wäre
Und ich bin halb erfroren im Tango
Mein Vater
Mein Vater
Und siehst du nicht
Das ist der Weg zum Hitlergruß!
Lieb Mütterlein
Lieb Mütterlein
Wie kannst du nur so blutrünstig sein?
Mehr kann ich euch nicht sagen
Ich bin halb erfroren im Tango
Und fahr jetzt übers Meer
9
Ein Wiener Walzer zu Silvester
Ein abgebrochener Paartanz
Der Walzer Blutschande
Auf spiegelblankem Eis
Fällt euch nichts auf?
Fällt euch wirklich nichts auf?
Der Kaiser spricht zu schnell
Das macht seine alte Schuld
Er hat ja gar nichts an
Im dichten Schneetreiben!
Alles schweiget
Ich spreche die Taubstummensprache
Der Mund verschließt sich vor Angst
Man geht über meine Leiche
Wir gießen schweres Blei
Du ein Schiff und einen Schwanz
Und ich die verschleierte Braut
Die ihr Spiel geschickt verbirgt
Auf dem alten Sternparkett
Saßen wir und weinten
Qu´il vienne
Qu´il vienne
Le temps dont on s´éprenne
Rimbaud heißt wie mein Vater
Er fuhr nach Afrika
Mit einem braunen Koffer
Zu den lachenden schwarzen Müttern
Er ist nicht alt geworden
Mich schickt ihr nicht in die Wüste!
Die ewige Jüdin spiele ich euch nicht mehr!
Ich nehme mir das Leben
Wenn es mir gefällt!
In meinen neuen Zimmern tanze ich
Auf der warmen Fußbodenheizung
Zum Akkordeon meines Onkels
Der linke Fuß ist wieder ganz
Bis auf die lila Narbe
Alles dreht sich im Teufelskreis
Und im Dreivierteltakt
10
Die Kinder mit dem Unschuldsblick
Schlagen mich mit Ruten
Frisch und gesund!
Frisch und gesund!
Sie wünschen mir einen Knaben
Mit hübsch gekraustem Haar
Ich seh, ich seh, was ihr nicht seht
Ich sehe das erste Gesicht
Ich habe das zweite Gesicht
Ich sehe den dritten Mann
Er hat mich angeblickt
Die Liebe trifft
Die Dummen wie die Klugen
Mit ihrer Krötenzunge
Wie heißt du denn
Mein Königssohn
So sag mir deinen Namen!
Sieh nur
Mein linker Fuß ist unversehrt
Bis auf die blasse Narbe
Der Pantoffel passt schon längst
So zieh ihn mir endlich an!
11
Das Türchen geht auf
Die Urgroßmutter tritt heraus
Mit dem alten Buch
Die Wunde Österreich ist abgebunden
Das verlorene Paradies ist wieder gefunden
Ich starre nicht mehr auf den Totenkopf
In meiner neuen Wohnung
Ich traue meinen Augen kaum
Zwischen Weihrauchschwaden
Schlagen die Möbel aus
Sie treiben grüne Trichter
Und wilde Erdbeerblüten
Auf dem Bretterboden im Sommergras
Winde ich einen Kranz
Aus frischem Klee und gelbem Hahnenfuß
Während du geschickt
Mit dem Messer aus Obsidian
Die Austern aus der Badewanne öffnest
Hat aller Spuk denn ein Ende
Am siebenten Januar?
Das Buch wird zugeschlagen
Die Urgroßmutter tritt zurück
Das Türchen geht wieder zu
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