Glossen 27

Paradiesvogelschiß

Einige Anmerkungen zu Peter Rühmkorfs neuem Gedichtband (Rowohlt, 2008)
Michael Augustin

 

I.

Mit Peter Rühmkorf geht es mir, wie mit einigen ganz wenigen anderen Dichtern, die auch noch merkwürdigerweise alle seiner Generation angehören: Kein Gedicht, keine Strophe, ja nicht einmal eine Zeile, die seinem Füllfederhalter entschlüpft ist, die er mit der Schreibmaschine aufs Papier gehämmert oder mit dem Bleistift aufs Blatt gehaucht hat, kann ich lesen, ohne dabei das Gefühl zu haben, seine Stimme zu hören, seinen selbstironiegewürzten Balladengesang, das waterkantische Sprachtimbre, diesen unverwechselbaren Doppelton aus grubentiefer Melancholie und dreistester Komik. Wenn meine Augen seine Schrift berühren, dann tönen im Kopfe die Glocken!

 

II.

Unlängst, auf dem Weg nach Rotterdam, im ICE erging mir’s so: Die F.A.Z. hatte ich aufgeschlagen, war sogleich in ein Rühmkorf’sches Gedicht hineingeraten und stante pede glaubte ich, vom Blatt her seine Stimme zu vernehmen. Ein Vorabdruck aus seinem neuen Gedichtband, den ich jetzt in der Hand halte: Paradiesvogelschiß. Ein wundervoller Titel, dem weltumflatternden Paradiesvogel Peter Rühmkorf aufs altbunte Federkleid geschneidert. Was der Titel-Vogel da einst abgeworfen hat als Klacks in den Garten des Dichters, das enthielt den Samenkern für den Stoff aus dem die Gedichte sind, den Stoff, aus dem das Buch geworden ist, die geschenkten Blätter am Baum: Einigen der Texte in diesem Band bin ich schon im Originalton begegnet Anno 2006, auf einer CD, für die Rühmkorf sie gemeinsam mit einigen Musikern inszeniert hatte. Jetzt nachzulesen Schwarz auf Weiß: Das große Gedicht mit dem Titel Rückblickend mein eigenes Leben. Das auch den Titel abgibt für den dritten und letzten Teil des Buches, der sechsunddreißig Gedichte enthält: Gedichte über das Dichten, die Liebe und den Tod.

 

III.

Das siebenunddreißigste Gedicht steht ganz am Anfang des Buches und ist, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Kapitel für sich…das erste nämlich, ein kurzes, gerade mal zwei Seiten umfassendes: Die Ballade von den geschenkten Blättern, die vom Baum erzählt, der – dem Vogelschiße entsprossen – in des Dichters Garten gen Himmel wächst und – oh Wunder – Blatt für Blatt die Früchte vieler Jahre trägt: Weil auf jedem Blatt steht ein goldener Spruch…

 

IV.

Ja, und was für Blätter und was für Sprüche! Auf gut 80 Seiten verteilt hat Peter Rühmkorf hier eine Art Walpurgissack ausgeschüttet: das dem Baum der Erkenntnis abgeschüttelte Laub. Notate, Sentenzen, Ent- und Verwürfe, Skizzen, Reimchen, Worte und Wörtchen, Witze und Wahrheiten. Ein Mikrokosmos, in dem es zischt, blubbert, urknallt und blitzt, daß es eine helle Freude ist. Wenn es noch irgendeines philologischen Beweises bedurft hätte, daß Georg Christoph Lichtenberg auch bald 210 Jahre nach seinem Tod putzmunter weiterwirkt und von gewissen Stellvertretern seine Sudelbücher fortführen läßt – hier ist es zu Buche geschlagen: Peter Rühmkorf und der gewitzte Aufklärer aus Göttingen, zwei Kumpanen im Blätterwald, zwei kichernde Sammler, die sich angesichts eines Wortfragmentchens, einer gelungenen, weil pointierten Sentenz scheckig lachen können. Beispiele? Bitte: Vereinsamte Jungfernhäutchen, Es braucht viel Artistik, eine einigermaßen nette Ehe zu führen, Ein blutunterlaufener Landstrich, Und es weinte aus seinem kleinen häßlichen Gesicht, weil kein Mensch es ansehen mochte, Deines Alters oft gar nicht mehr eingedenk, aber unermüdlich daran erinnert, Nun, da ich aufgehört habe zu hoffen und lieber mal 2 Stunden länger schlafe.

 

V.

Im Mai letzten Jahres, am Eröffnungsabend des internationalen Bremer Literaturfestivals Poetry on the Road, sollte endlich, endlich Peter Rühmkorf lesen. Seit Jahren hatten wir es versucht, ihn nach Bremen einzuladen, doch immer steckte er in einem Buchprojekt,  an den Schreibtisch gefesselt von dringlichen Abgabeterminen, gefangen in unaufschiebbaren Lektorengesprächen. 2007 also endlich hatte er zugesagt! Und mußte dann, in Folge einer von mehreren Operationen doch absagen. Ich hatte die undankbare Aufgabe, es dem Publikum zu verklickern am Eröffnungsabend, im erwartungsfroh gefüllten Saal des Bremer Schauspielhauses, die Enttäuschung war mit Händen zu greifen. Die Vertröstung auf das kommende, also dieses Jahr, ein schwacher Trost.

 

VI.

Peter Rühmkorf wird auch in diesem Jahr nicht kommen können, wenn Mitte Mai das Festival beginnt. Es ist kein Geheimnis: Sein Gesundheitszustand ist ernst, sehr ernst.  Seinen neuen Gedichtband, von dem ich hier erzähle, den hat er sich abgerungen. Unter Schmerzen, da bin ich sicher. Und wohl auch unter Angst. Aber diese Schmerzen und diese Angst, die lassen sich nur ahnen, denn was dort zu lesen ist auf den Seiten des Buches, das hat eine fast schwebende Leichtigkeit, und auch dort, wo es um letzte Dinge geht, um Themen wie Abschied und Tod, die Peter Rühmkorf ja immer berührt hat in seinen Büchern, in seinen Gedichten – ja, die er angepackt hat mit Wucht und Verve sogar – da zaubert er eine Atmosphäre von verblüffend gelassener Heiterkeit, die ansteckend ist, die auch den wissenden Leser lächeln macht. Zwischen Freund Hain und Heine, da hat Rühmkorf tatsächlich seinen Platz behauptet. Auch zum nüchternen Big Benn hält er Tuchfühlung, zu Ringelnatz und zum schon erwähnten Professor aus Göttingen.

 

VII.

Kurz
Kürzer
Am kürzesten:
Es wird immer mehrer.

Leicht
Leichter
Am leichtesten:
Es wird immer schwerer.

 

Peter Rühmkorf im O-Ton:

CD Früher, als wir die großen Ströme noch…
Peter Rühmkorf mit Dietmar Bonnen u. Andreas Schilling
Random House Audio 2006
GEMA 978-3-86604-458-6
Take 11 / Lg.0:39