Glossen 27

Hans-Hendrik Grimmling, Die Umerziehung der Vögel, Mitteldeutscher Verlag Halle

Die Umerziehung der Vögel ist ein Erinnerungsbuch und eine poetische Biographie des deutschen Malers Book CoverHans-Hendrik Grimmling, die dieser zusammen mit der einfühlsamen Hilfe der Journalistin Doris Liebermann gestaltet hat. Im Rahmen seines bisherigen künstlerischen Werdens, reflektiert Grimmling, Jahrgang 1947,  über seine Kindheit, Begegnung mit Freunden, Kollegen, Gegnern, Lehrern, sein politisches Engagement und sein eigenes Schaffen, das, ob anfangs realistisch oder abstrakt in seinen späteren Werken, immer auch selbstsuchend, immer auch erzählend ist. Kein Wunder, daß er sich auch in literarischen Formen, in Essays und in der Lyrik, zu Worte meldete.

Doch am Anfang waren es wohl Farben und die verschiedenen interpretatorischen Möglichkeiten der Farben, die ihn anzogen:

Vielleicht war das Schwarz aller Anfang. Das unendliche, nie ganz fassbare Dunkle, für das das Auge sehend werden sollte, um in seine Tiefe vorzudringen, um in ihm zu schauen und zu erkennen, von wo aus der Blick beginnt. Oder um in ihm Angst zu fühlen, damit man sie als notwendig erlebt und sie so erst wieder loswerden kann.

Das Schwarz hat jedoch nicht nur mit einer allgemeinen existentiellen Angst zu tun, sondern es ist auch das Zuhause, wie es an einer anderen Stelle im Buch heißt.  Und es steht so für die konkreten Erfahrung des Braunenkohlebergbaus, der sich in die Wälder seiner Heimat fraß und für die chemieschmutzige Brühe der Weißen Elster, dem Fluß seiner Kindheit. Was für ein Zuhause.

Das Konkrete, die Farbe, steht bei Grimmling nie als etwas Einzelnes sondern verweist auf Allgemeines. Und umgekehrt, Abstraktes, Allgemeines verweist auch immer auf Konkretes. Ähnlich den Metaphern und Symbolen in seinem Werk, die die konkreten Erfahrungen seines Lebens zu allgemein menschlichen verdichteten.  Vogel, Kreuz, Knoten und Segel etwa, die von den Verstrickungen und Unbilden des menschlichen Lebens erzählen. „Die Umerziehung der Vögel“ zum Beispiel. Bevor die Metapher zum Titel seines Buches wurde, war sie ursprünglich der Titel eines Tryptichons aus dem Jahre 1978, auf dem einem schwarzen Vogel die Flügel gestutzt werden, worauf Vogel und Widersacher in eine nicht auszumachende Tiefe stürzen. Es ist ein beziehungsreiches Schlüsselwerk seiner frühen Schaffensperiode. 

Die Motive dieses Werkes mögen ihren Ursprung in der Biographie Grimmlings haben, z. B. in seiner Auseinandersetzung mit den Kunstvorstellungen des Staates DDR oder seiner Lehrer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig -- Grimmling war einer der ungehörigen Schüler der ersten Generation der so genannten Leipziger Malerschule, an der Werner Tübke, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer unterrichteten.  Sie verweisen aber auch auf die allgemeine Tragik von Menschen, Argonauten, wie Grimmling sie vielleicht nennen würde, denen es in allen Zeiten um Wahrheit und Authentizität ging.

Grimmlings äußere Biographie ist anfangs durchaus DDR-typisch: Abitur, NVA, Transportarbeiter, Bühnenarbeiter, Bühnenbildassistenz.  Nach der „Bewährung in der Produktion“ studierte ab 1969 an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden, wechselte jedoch nach einem Jahr in die andere sächsische Großstadt, Leipzig, in deren Nähe er 1947 geboren wurde.  Dort, an der Hochschule für Grafik und Buchkunst bekam er 1974 sein Diplom von Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer, der ihm noch 1999 bescheinigte, daß die Fast-Nische der Hochschule für Grafik und Buchkunst für ihn zu klein war. „Er ist zu wild, er zerschlägt immer alles“, ließ er 1999 im Rückblick verlauten.  Wahrscheinlich hatte er recht, denn die Verhältnisse, in die sich die Genossen Professoren und Künstler in Leipzig mal schlecht mal recht eingepaßt hatten, waren nun mal etwas eng. 

Von 1974 bis 1977 ging Grimmling als Meisterschüler von Gerhard Kettner zurück nach Dresden.  Ab 1977 arbeitete er freischaffend, z. T. im Künstlerkreis Tangente. Jedoch wurde Grimmling offenbar auch den Genossen von der Staatssicherheit zu „wild“, die in seinem von ihm mit ins Leben gerufenen 1. Herbstsalon, einer inoffiziellen, halb geduldeten Ausstellung im Messehaus am Leipziger Markt im Jahre 1984, eine konterrevolutionäre Initiative sahen. „Er gehört zu einem Künstlerkreis, der seit ca. 10 Jahren versucht, die Kulturpolitik der DDR kontinuierlich zu unterlaufen“ wurde ihm in einem “Vorschlag zur Übersiedlung aus politisch-operativen Gründen nach der BRD” von der Stasi bescheinigt, ein Vorschag, der ihm im Jahre 1986 die Ausreise nach Westberlin ermöglichte und in der Aberkennung der DDR-Staatsbürgerschaft resultierte.

Die Umerziehung der Vögel ist die erste große, facettenreiche Darstellung von Grimmlings Leben und Werk. Es ist gleichzeitig eine sensible, kenntnisreiche und spannende Darstellung der unangepaßten Künstlerszenen in der DDR und daher nicht nur für den Kunstinteressenten unabdingbare Lektüre sondern auch für Fachwissenschaftler.  Möge das Buch einen weiten Leserkreis finden.

Wolfgang Müller
Dickinson College