Glossen 28

Uwe Kolbe

Sailor’s All
Und wieder ein Liebesgedicht
vom Rande der Katastrophen
(war’s terroristischer Mord?
war’s Flut und war’s Hunger
oder schlicht
Shareholder’s Value?).
Wir hatten anderes gelernt
und anderes versprochen
in einem der vorigen Leben,
unter dem Segel Hoffnung
im Industriezeitalter,
im Atomzeitalter,
im Ismus im Ismus im Ismus.
Was bleibt aber,
ist ein Liebesgedicht,
kleines, beharrliches Lied,
fast nichts.

Sailor’s Feeling Old
Weißt du mein Freund, was das ist,
unendliche Traurigkeit?
Unter neuen Freunden zu sitzen,
die alten vermissen?
Lange Gespräche, ja, zu genießen,
die so verlaufen könnten oder auch anders?
Mit einer Vermutung kommen,
sie schweigend wieder mitzunehmen?
Eine alte Geschichte erzählen,
auf die es nur höfliche Nachfrage gibt?
Ein Lachen zu ernten,
das ein wenig dem Lachen gleicht,
das einmal gelacht wurde?
Unter Gleichgesinnten zu sitzen,
die deine Erfahrung nicht teilen,
nur gleichen Sinnes sind, behaupten sie,
und du willst es gerne glauben?
Weißt du, mein Freund, was das ist?

Sailor’s Missing
Ich habe ihn Jahre gesucht.
Ich wusste, er wohnt in der Flasche,
das war leicht festzustellen,
doch wo beginnen zu suchen?
Die Welt eine Flasche, die Flasche die Welt,
bauchig, schön, und innen drinnen,
da hat sie sich gewaschen.
Lübecker Rotspon
oder schwerer Argentinier?
Sherry vom Schwarzen Mann
oder Chardonnay vom Tafelberg?
Ich wusste etwas über sein Aussehen,
den Bauch.
Ich wusste um seine Meinung:
Prost auf die Welt!
Und ich wusste, ich halte zu ihm.
In Casablanca verlor sich die Spur,
dann auf dem blauen Nil,
in Schanghai,
in den Tränen des Mädchens,
dem er die Raddampferfahrt
von Dresden nach Pirna versprochen hatte,
der Luftikus, der gottverdammte
Luftikus,
da tauchte er wieder auf,
sein Buddelschiff Made in China.

Sailor’s Ecce homo
Aus einem tiefen Grund heraus zu schreien,
gilt nicht als fein, es kommt nicht in die Tüte
in unserm großen Einkaufsparadies,
auf unserm Kontinent der wahren Werte.
Es gilt als unfein, kommt nicht in die Tüte,
was aus dir bricht im ungebremsten Fall,
obwohl du diesen Fall zugleich gestaltest,
den Schrei so wie gewohnt recht modulierst.
In unserm großen Einkaufsparadies,
da küsst die Freiheit in den bunten Läden
den Zwang, und beide halten sich die Waage,
die schließlich einen fairen Preis anzeigt.
Auf unserm Kontinent der wahren Werte
prangt doch auf jedem Schrei sein Preis, erst recht,
wenn er aus einem tiefen Grund herkommt.
Der Kenner schätzt das Echte als das Schöne.

Mit freundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlags aus: Uwe Kolbe, Heimliche Feste.