Glossen 29

André Schinkel

Eingedenk

Wo der falbe Korallenwald blüht, und jetzt auch du:
Eingegangen ins Logbuch der herzkalten Völker,

Die Fossile der Schmerzen wandern, von den Planken
Federnder Hochsucht, barbarischer Ängste bedroht;

Klein die Gemeinschaft, die dem Fell der Rede noch
Traut, dem Aufbruchgedöns der brüllenden Horden:

Ein quecksilberner Teufel holt schon den Mast ein, wo
Die lederne Fahne der Schlächter lange noch weht; –

Eingedenk: soviel zuviel ist der Welt zu vergeben, daß
Es zur Menschenentlastung längst nicht mehr reicht;

Und in den Gräbern die Murmeln der Kinder: ein
Schweigendes Klacken, solange das Fleisch in den

Öfen noch wispert und rauscht; – und die Amsel ... im
Schwarzfrack behutsam ihr ausgestrichenes C singt.


Der Brocken

Wer dich nicht sah,
Kann es nicht wissen:
Deine Lockung ist
Traurig – sie gleicht
Dem schwankenden
Land, in dem du so
Schweigst. Spät, aus
Den Wipfeln hebst du
Unwirsch dein Haupt,
Zeugst Staunen und

Wehen für den, der
Dich, freudeentbehrend,
Bestieg. Ein glatz-
Köpfiger Riese voller
Wind und Geröll bist
Du nun, im Schatten
Der dich umwankenden
Wälder liegst du
Steinern und feist.
Immer wieder pflanzt

Muhme Natur dir Ane-
Monen und Wollgras
Ins Antlitz – allein du
Gibst dich, ein schweigender
Dämon, für Stürme und
Straußpflücker hin. Durchs
Murmelnde Totholz der
Träume schielt blank dein
Scheitel; über die Block-
Felder, aus den Abgründen

Dringt Dampf zu dir her.
Süchtig das Volk der
Hexen und Menschen,
Wie es dir nachgeht mit
Stock und Gelächter: um
Dir auf der Stirne zu
Wandeln, ratlos und fahl.
Wenige Tage im Jahr
Leuchten die Blicke und –
Und fallen ins Land, als

Könnte es doch noch ein
Schöneres sein; dann aber
Ziehn Nebel und Rauch
Dich wieder ins Treiben der
Wolkenküche hinein. Und
Dies sei das Deutsche an dir:
Dein ehernes Warten und
Schweigen, da die Kräfte
Sich dräuend versammeln –
Ehe es losschlägt in dir.