Glossen 29

Utz Rachowski

Heimkehr zu den Steinen

Ich sah, als ich zurückkam aus der Fremde nach zehn Jahren, meine Generation wieder. Was sah ich? Ich sah Fremde. Auf ihren Tischen lagen Steinchen, die sie über diese Jahre, ihre und meine, gesammelt hatten, sie lagen auf weißen Deckchen.

Die Unzufriedenen von damals, aus meiner Jugend, hingen an jetzt dem Gegenteil, hatten getauscht die eine Ideologie, unter der wir geboren waren, in eine andere, waren anthroposophische Jünger von Rudolf Steiner, nannten sich Lebensberater, hatten Lehrgänge und Schulen besucht, in denen der alte neue Gott gelehrt wurde, dem unterwarfen sie sich. Sie waren nie ins Freie gekommen. Sie hatten nur die Götter getauscht, denen sie opferten. Zuerst ihre Jugend, wie wir auch, wir kamen ins Gefängnis, wurden ausgebürgert und verkauft, aber sie blieben Gefangene. Sie wollten irgendwie doch anständig bleiben und fingen an damit, in dem sie in abgesteckten Zirkeln lebten, wo jeder jedem das Gleiche sagt, sie folgten den Ritualen derjenigen Nischen-Ideologie, die sie gewählt hatten, ohne je die wirkliche Wahl gehabt zu haben, eine in persönlicher Freiheit und in Kenntnis aller äußeren Umstände und aller Möglichkeiten, die eine ganze Welt für einen einzelnen Menschen bereithalten kann. Nischengesellschaft würde man später dazu sagen, über diese Leute meiner Generation, aber wieviel Platz, wie viele Nischen hatte ihre wirkliche Welt?

Jemand, der in den siebziger Jahren, so schnell vergeht die Jugend, gerade noch an einer marxistischen Ästhetik gearbeitet hatte, brach in den Neunzigern nun auf, in den Urlaub nach Ägypten ans Rote Meer und nahm ein Buch mit, Aufzeichnungen einer Frau, die fünf Inkarnationen erlebt zu haben glaubte. Wandervögel, Rudolf Steiner bis der frühe Adolf Hitler kam, die privaten, politischen, halbprivaten und vermeintlich unpolitischen allheitlichen Such-Bewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, speziell bis in die zwanziger Jahre. Ihre heutige Legitimation: von den Nazis verboten gewesen zu sein.

Die, die meine Generation ist, die, die einst meine Leute waren und mit mir, die ehemals besten Leute dieser Generation, hatten sich still und unmerklich unterworfen. Damit bezahlten sie, das war der Preis. Der Druck eines, unseres, gemeinsamen Schicksals, unter dem Stern der kommunistischen Diktatur geboren zu sein, war für sie zu stark gewesen: sie suchten die scheinbare Gegenbewegung dazu und gaben sich ihr hin. Begleitet von Malstunden übten sie sich ernsthaft bei einem Halleschen Therapeuten daran, ihre Mutter zu erschlagen. Und folgten hörig bald anderen Kometen. Ich sagte ihnen: ihr seid jetzt die weißen Faschisten. Aber sie sagten: wir können noch mehr. Sie seien jetzt mit allen Wassern, sagten sie, und hätten erlernt, als ich fern von ihnen war, sogar das Gegenteil der Steine, Eurhythmie, und könnten nun ihren eigenen Namen tanzen.

Sie fragten mich: Wo aber bleibt eigentlich das Schöne bei Dir? Ich bin es selbst, sagte ich, weil ich nicht mit euch war.

15. – 23.3.2006 14.10.06