glossen: feuilleton
Jörg Richard
1
In dieser Stadt unterm Äppelwoi ist sauer aufstoßen ohne Büro.
Sogar das Kindertheater ist eine einzige Bürozentrale,
Schützenstraße 12, wo es Schlangen gibt, aber nur gegenüber
vor dem Arbeitsamt. Die Schlangen haben ein Existenzproblem. Sie haben kein
Büro. Ohne Büro kein Kredit, ohne Kredit kein Büro. Eine
Endloskette. Das Kassengewerbe ist die Seele von Frankfurt, das Büro
ihr Körper. Kreditkarten überall. Auch im Barverkehr im Bahnhofsviertel
um die Kaiserstraße. Das dort ausgeübte Gewerbe wird öffentlich
genannt. Seinen Büroplatz findet es in Hotelzimmern, Absteigen, Automobilen,
Buschanlagen, auch Apartments; seine Verwaltung heißt Hinterzimmmer.
Dorthin kann man bei Bedarf recht schnell von den Ebenen der Hauptwache,
die eine Art von Großraumbüros für Geschäftsanlagen
und Verkehrsformen mannigfaltiger Art sind, hingelangen. In den Banken
heißen die Büros der höheren Ebenen Etagen. Wer sein Einkommen
verhandelt, verhandelt seine Etage. Ab Etage 25 sagt dir jeder Frankfurter
Analytiker, wer du bist. Diese haben natürlich auch Büros, vorwiegend
im Westend, die mit Liegemöbeln wie die Büros des Bahnofsviertels
ausgestattet sind. Nur legen die Analytiker Wert auf Markenartikel, auf diese
mit feinem, schwarzem Naturleder. Außerdem sagen sie zu ihrem Büro
Praxis. Am Großen Hirschgraben wohnte bekanntlich der junge Goethe
mit Vater, Mutter, Schwester und Gesinde über mehrere Etagen, die von
alters her Stockwerke heißen. Zu seines Vaters Zeiten soll es auch
ein Büro gegeben haben, das auf den Namen Kontor hörte. Auf Goethe
folgte in Stadt und im ganzen Land eine Unzahl von Häusern, Einrichtungen,
Forschungsstätten, die vollgebaut wurden mit Büros, die sich für
immer mit Goethe beschäftigen. In den Bibliotheken und den Museen haben
diese manchmal Spezialbüronamen wie Goethe-Magazin, Goethe-Kühlkammer
oder Goethe-Archivraum. Auch in Privatwohnungen haben einige für Goethe
Büros eingerichtet, die führt das Finanzamt als Arbeitszimmer.
Zum Goethehaus gehören bis heute Büros. Sie beginnen, wie es einem
Bürohaus ziemt, das sich dem Museumsdienst widmet, mit dem Kassenraum.
Dieser ist beim Römer verborgener, dafür beginnt aller Eingang
dort bürohausgerecht mit dem Pförtner, der unbefragt niemand vorbei
läßt. Der Römer ist kein italienischer Kanake (von denen
es in Frankfurt unzählige gibt, sogar mit einem eigenen Kanaken-Büro,
was sich Multi-Kulti nennt). Der Römer ist ein Büro namens Rathaus.
Wer in diesem Büro sitzt, der hat die Macht angestrebt und bekommen,
die im Augenblick aber kein Geld haben soll und deshalb auch nichts machen
kann, sagt die Macht von ihrem Dienstzimmer aus, was nichts anderes bedeutet
als Büro. So schlimm, wie die Sorgen heute herbei geredet werden, ist
das nicht. Denn alle Büros sind miteinander vernetzt. Das ist mehr als
tröstlich für alle Bürogänger. Vernetzt ist wie
Vollbeschäftigung. Manche sagen zwar, reale Büros werden jetzt
ab-, virtuelle dafür angeschafft. In diesem Fall wird aus Frankfurt/M.
ein Komplettbüro. Die Stadt hört auf zu existieren, genauer: Sie
wird immer dort sein, wo das Komplettbüro sich befindet. Das kann sein,
wo es will. Auf jeder Wiese, an jedem Strand, in jeder Stadt, in jedem Haus.
Weltweit Frankfurt/M. Aber das ändert nichts im Wesen des Büros.
Dann ist eben der Terminal das Büro. Oder das Handy. Das Notebook. Die
E-Mailbox usf. Das Büro als solches, das schaltet und waltet und die
Büroarbeit erledigt, bleibt erhalten. Ohne Büro gibt es keine
Bürger. Das ist dem Frankfurter genetisch. Frankfurt hatte immerhin
das erste Bürgerparlament. In der Paulskirche. Das war das erste
Großraumbüro, aus dem die Bürger hervorgegangen sind. Sogar
mit einem Bürgergeneral, dem Admiral Brommy, dessen Wohnbüro in
Brake bei Bremen an der Weser heute gegen Eintritt zu besichtigen ist. So
weit liegt machmal, was historisch zusammengehört, auseinander. Also:
Ohne Bürger kein Büro. Und ohne Büro keine Bürger. Wo
sollen sonst die Ausweise, die die Bürger als Bürger ausweisen,
ausgestellt werden? Daher gibt es keinen Stillstand, keine Stagnation, sondern
alles ist immer im Fluß (nein, nicht im Main, sondern im Netz auf der
Datenautobahn, wo alles - frei nach Goethes Freund Schiller - abzischt, wie
wenn Wasser mit Feuer sich mengt). Alle Büros sind immer an jedem beteiligt:
Die Netze jagen auf der Autobahn den Daten hinterher und die Daten den Autobahnen
im Netz - woran der nachgoethisch Gebildete den frühen Karl Marx unschwer
heraushört, weil sich nun erfüllt, was dieser seine Utopie nannte:
Morgens Fischer abends Jäger sein. Vom Reich der Notwendigkeit ins Reich
der Freiheit. Bitteschön. Kein Thema heute, büromäßig
gesehen: Wir nehmen ein Netz und fischen in einem anderen herum . Wir
internetten. Wir onlinen. Die Freiheit ist grenzenlos. Zeitgleich und global.
Multidimensional. Was Marx bereits in jungen Jahren zu Papier gebracht hatte,
das war vollkommen richtig - und zwar virtuell, aber eben nicht ideologisch.
Da liegt sein Irrtum. Jetzt haben wir den Beweis, hier in der soft-ware.
Wäre er nur bei den Fischern und Jägern geblieben. Leider ist er
davon abgeschweift bis nach London in die Bücherei des British Museum,
wo er sein Hauptbüro aufmachte (übrigens auch dort sich die
Hämorrhoiden ansaß, die er für die Nachwelt in einem Brief
überliefert). Was in Folge die Geschichte dermaßen in Schwierigkeiten
gebracht hat, weil seine Büroerben aus seinem ideologischen Büro
ein real existierendes Büro machen wollten, überall, auf Biegen
und Brechen. Wofür die Zeit aber nicht nur nicht reif war, sondern es
ist grundsätzlich auch im Ansatz falsch. Was einem jeder einfache PC
mit CD-Rom heute simulieren kann: Das Sein bestimmt der Computer, der das
Bewußtsein bestimmt. Ja, bei Marx kann man sich aufhalten, obwohl der
gar kein Büro mehr hat wie Goethe. Was gesagt werden sollte und hier
wiederholt wird: Kein Frankfurter Büro geht kaputt, denn alle sind
miteinander vernetzt. Entweder alle oder keines. Alle geht nicht, also keins.
Ein kaputtes Netz fängt keinen Fisch. Das ist schließlich plausibel.
So ist der Wirschaftskreislauf digitalisiert: von Büro zu Büro
zu Büro... . Wenn nichts Außerterrestrisches dazwischen kommt,
dann soll das Geschwätze über die Sorgen endlich schweigen. Wer
so redet, der ist sowieso kein Frankfurter, hat also kein Büro. Was
längst abgeht: Netz für Netz. Daten zu Daten. Autobahn um Autobahn.
Und alles die Kreuz, die Quer: Das Arbeitsamt - (und zwar ohne Schlange,
die ist zwar vom Arbeitsamt paralysiert, aber nicht ins Netz eingespeist,
fällt also als nicht-existent heraus) - also: das Arbeitsamt zum
Kindertheater, das Kindertheater zur Absteige, die Absteige zur Banketage,
über den Großen Hirschgraben hinweg weiter ins
Römer-Dienstzimmer, das mit dem Kaiserstraßen-Hinterzimmern fischen
geht - und vorwärts, seitwärts und zurück, alles von vorne
und wieder. Das ist schön. Schön ist es heute, das Frankfurter
Büro. Tabuloses Netzen. Halali! Wer jetzt nach Frankfurt/Main will,
kommt auch ohne Fliescher an.
2
Aus einem Wiesengrund steigt ins Steinerne ein Greis mit grauer Glatze und
sucht störrisch ein altes gelbes - So eins von vordem -
Anzeigenschild im Westend von Bürotür zu Bürotür
- Ästhetik & Kommunikation - da stands, Ä& K,
oder da - Ethik und Kommunion - hihi ,
lacht der Greis, die Dialektik der Umkehrung - Haben Sie sie gesehen?
- Im übrigen, im Mythos nistet der Schein: Penelope hat keine müde
Stunde auf Odysseus gewartet - Haben Sie das gesehen? -
"Mache Sie fort! Wir gebbe nix! Wo lebbe Sie dann?"
3
-Wann?-
Neulich. Sie haben wirklich einen super Aufschlag, superb.-
Na ja, man muß, Sie wissen es ja am besten, bei Kondition
bleiben.
Im Kettenhofweg schlagen sich, wenn sie bei Laune, die Banker und die Analytiker,
die Anwälte und die Professoren zur Mittagspause den Häuserkampf
- das waren noch Zeiten - um die Ohren aus denen Haare wachsen. Ihre
Dividende vom Immobilienfond speisen sie abends in eleganter junger Begleitung
unter lauter Airport-Weltläufigkeiten beim Italiener. In die Frankfurter
Schule sind sie alle gegangen, sagen sie.
Can you tell me, where I can find the Frankfort School?
" Wo soll die denn sein? - Gell, dahinne."
4
Innerer Monolog auf der 66. Etage:
Es schwimmt nicht eine Leich auf dem Main. Gewaschene Anlagen sind sauer-sauer
verdientes Biotop. Das sind nur die stillen Leistungen um eine saubere Stadt,
die wir dem lauten Börsengefecht mit harten Bandagen abtrotzen. Wir
sind gegen die Schlangen in der Schützenstraße und für das
Bürowesen. Mit Freuden bemerken wir dort das Kindertheater und beobachten
den Einsatz im Bahnhofsviertel zu unseren Füßen. Wir singen nicht
gerne öffentlich, aber wenn nötig, mit dem Römer "Kein
schöner Land in dieser Zeit...". Doch kein Gott (schreibt der sich immer
noch so?), nennt einen Mühenden einen Gerechten. Wir haben die Stadtkronen
mit Kunst gepflastert, Bild um Bild, aus den Top-Spitzengalerien. Nicht zu
knapp haben wir die Kunst vor allem in unseren Tresoren gebunkert. Dort
schützen wir das Kulturerbe. Wir haben gesponsert. Sogar manche Narretei
war dabei. Zum Exempel diese: Unsere Vorgänger haben übermütig
sogar denjenigen monitär zugewendet, die - wie hieß dieses Wort
- ach, die 'vergesellschaften' wollten. Ä & Kompagnon. Nein:
Ästhetik und Kommunikation - War das nicht eine Art Theorie-Organ, ihr
Organon für den Kettenhofweg, für die Praxisprojekte, Kunst und
Revolution undsoweiter? Vergangen, aber nicht ganz vergessen. Im Ende zahlt
sich alles aus. Nun spielen sie Cello vor unseren sachverständigen Ohren
bei unseren Empfängen. Und wir lieben sie. Wir subsidieren ihre
kostspieligen kritischen Ausgaben von... Sowienoch. Sie lachen mit uns und
reißen Witze über ihre Liegenschaften. Lieben sie aber auch uns?
Wir sponsern immer noch und vor allem viel mehr. Das Ufer rauf und runter
haben wir, haben wir ein offenes Herz für die Künste. Edel sein,
teuer und gut. Wir wissen, daß sie dies mögen. Aber mögen
sie auch uns? Wir sind Zeitgenossen der Künste und fühlen als ihre,
ihre Schwäger. Noch hat allerdings keiner die Preisfrage unserer
Stiftungs-Akademie zu unserer Zufriedenheit beantwortet. Was ist sinnlicher:
Geld oder Kunst? Aber wir sind geduldig. Und fördern. Und bunkern.
Und stellen die Frage jedes Jahr neu und erhöhen das Preisgeld. Wir
lieben die Künste - und setzen sie durch. Wir öffnen ihnen
Märkte. Wir riskieren unsere persönliche Dividende weltweit auf
den Kunstauktionen. Ohne unsere Märkte online im Internet wäre
die ganze Kreativität nur Datenmüll. Wer nicht unser Schwager ist,
ist sowieso nur Müll - pardon-me - bestenfalls Material, Menschenmaterial.
Wir haben unsere Büros gepanzert und lassen uns rund um die Uhr bewachen.
Wir schützen die Kunst wie uns selbst in den Tresoren. Aber sie kommen
und nehmen und schmeicheln uns, gehen hin und prassen in unserem Namen. Sollen
wir uns wirklich - weiter mühen? Was tun?
Hausse halten, Aktien.
Wer sich nicht selbst verdient, gehört nicht zu uns. Ja. Dafür
ist jetzt hohe Zeit.
5
Was verlegen Sie?
Den Markt.
Und für wen?
Für den Markt.
Wer sind Ihre Autoren?
Wir haben keine.
Ein Verlag ohne Autoren?
Ja.
Ohne Bücher?
Nein.
Und wer schreibt diese?
Der Markt.
Und wer ist der Markt?
Der die Auflage der Bücher bestimmt.
Und wer ist das?
Etwas kompliziertes. Werbe-Marketing-Meinungsumfragestrategien usw.
Dazu gehören natürlich auch Sie, lieber Frager. Oder auch Leser?
In der Praxis des Büchermachens wird das bei uns dann ein
Büro.
Ein Büro?
Ja. Ein elektronisches Schreibbüro. Das dann im Ende den Autorennamen
für Sie vergibt.
Zu Ihrer Marktorientierung.
Ich danke Ihnen für Ihre Auskunft.
Ist dieses Buch mit der interessanten Ankündigung...."Ohne, ohne...?"
schon ausgeliefert worden?
"Ohne Bedeutung", meinen Sie. Nein.
Aber es ist doch hier im Frühjahrsprogramm schon vor vier Monaten
angekündigt?
Das schon. Jedoch das Fernsehen hat es bisher nicht besprochen. Aber
zugesagt.
Deshalb halten wir es noch zurück.
Ach so.
Wann kann ich das Buch lesen, Verzeihung, sehen?
Am Donnerstag. Im Bücherreport, vielleicht aber auch...nächste
Woche....
sogar im Literarischen Quartett. Wir arbeiten daran.
Ach ja wirklich?
Ja.
Dann sehe ich das Buch in jedem Fall?
Ja.
Welche Freude. Ich werde Ihr Buch sehen.
Darum verlegen wir es.
Wie heißt der Autor?
Wir haben keine Autoren. Wir sind ein moderner Verlag. Wir haben ein
elektronisches Schreibbüro. Ich sagte es bereits.
Entschuldigung. Es ist nur die alte Gewohnheit.
Keine Ursache.
Aber muß der Deckel nicht einen Topf....? Das Kind... Also der Titel
einen....Namen haben?
Selbstverständlich.
Ja, und?
Lassen Sie sich überraschen, im Fernsehen. Zur Buchpremiere. Da erfahren
Sie unseren Autorennamen, den unser elektronisches Schreibbüro in Bild
und Schrift
entworfen hat. Extra für Sie.
Für mich?
Jawohl. Ein Fake. Für Sie. Eine Art Standbildeinblendung einer
marktdienlich gut geklonten Figur vor zum Beispiel aufgehender Sonne mit
Wellenrauschen - oder: Sie kriegen Ihren Autor sogar live im Studio durch
Stuntman.
Ach.
Und Sie können sagen: "Ich bin dabei gewesen!"
Wie schön. Danke!
Wobei, entscheidet natürlich im Ende der Sender.
Ach so. Aber ich sehe also alles, das ganze Buch?
Auch den Autor, gewissermaßen. Am Donnerstag.
Auf welchem Kanal?
Unsere Leser- und Leserinnenabteilung wird Sie rechtzeitig und
im einzelnen informieren. Lassen Sie nur Ihre E-Mail-Nummer hier.
Wenn ich es gesehen habe, sollte ich es auch noch lesen?
Nicht, wenn Sie es kaufen. Nein.
6
Heimat, ach Heimat...
In Bergen-Enkheim, in Bergen-Enkheim,
Der Stadt abseits vom Main,
Der kleine Abel-Label von Babylon-Kain,
Dort steht ein Stadtschreiberhaus,
Da geht jährlich ein Stadtschreiber ein,
Und jährlich ein Stadtschreiber aus.
Und die zahlende Gemeinde
Hält den Stadtschreiber zum Freunde
Bei freier Kost, Logis mit Büro
Zum Dichten entweder oder so.
Einer, der auf Spurensuche war,
Der erforschte sogar,
Wo die Ä&K-Schrifttafel war.
Sicherheitshalber unter Pseudonym
Suchte er dies historische Ungetüm,
Fand es, soweit gesichert, ziemlich genau
In Ober- oder Unterlindau
Im einst alten Franfurt am Main -
Nur Was-Was könnt sie gewesen sein?
7
In 383 Jahren und fünf Tagen, sagt die Zukunft, kommt an dieser
Stelle und jener auch, andere sind ebenfalls möglich, in den
Stadtraum ein Holographein:
POETA OBSOLETA
steht da.
Das ist mongolisch oder eine andere Weltsprache und heißt
übersetzt in etwa: Im Frankfurter Zoo ist das letzte Exemplar der
Langnasen
verschwunden (synonym mit verscheiden, sich auflösen).
8
Langnasen.
Wie lange nur manche Wörter überleben.
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