Glossen 30

Hans Joachim Schädlich
„Ich bin nur ein Leser...“
Lobrede auf Hans Georg Heepe gelegentlich seines 70. Geburtstages

Georg – wie seine Freunde ihn nennen dürfen – hat es nicht gern, daß von ihm geredet wird. Aber daß er am liebsten von sich absieht, daß er sich am liebsten verbirgt, daß gar Lob ihn ganz verlegen macht : gerade das will ich loben.

Hans Georg Heepe, der manchen Autor gelehrt hat, wie ein Text zu verbessern sei, pflegt angesichts dankbarer Anerkennung seiner Arbeit zu sagen: „Ich bin nur ein Leser, schreiben mußt du!“ Welches bescheidenere Verständnis des Wortes Lektor kann es noch geben? Einen Text wie eine neue Landschaft höchst aufmerksam durchwandern, Brüche hervorheben, Schönheiten vermerken, den Fortgang unablässig untersuchend verzeichnen – das ist es, was Hans Georg Heepe unter Lesen versteht. Wer seine Notate, die dem Text Zeile für Zeile folgen, je gesehen hat, und wer gesehen hat, welchen Umfang und welche kritische Kapazität diese Notate besitzen, der wird verstehen, daß ich dem Wort Lektor sogleich seine von altersher überlieferte zweite Bedeutung hinzufüge: Lehrer. Ich lerne von Hans Georg Heepe viel. Seine Notate wandern mit meinen Manuskripten regelmäßig in die Schatzkammern des Deutschen Literaturarchivs Marbach.

Ich ziehe meinen Nutzen aus Hans Georg Heepes erstaunlichster Kenntnis, und ich ziehe meinen Nutzen aus Hans Georg Heepes ureigener Neigung zu Zurückhaltung und Understatement. Es ist nun kein Wunder, daß es zu einem seiner Vorzüge gehört, Kritik und Verbesserung eher in beiläufig-ironischer Weise vorzubringen anstatt auf bedeutungsschwer-beharrende Art. Eines merkbaren Nachdruckes bedarf die Beiläufigkeit von Zeit zu Zeit doch. Hans Georg Heepes Ironie verschafft einem wie mir, der ich auch blind sein kann, eine ungemein erfrischende Erhellung.

Als ich noch in der DDR lebte, hat Jürgen Manthey bei Rowohlt mein Buch Versuchte Nähe (1977) auf den Weg gebracht. Hans Georg Heepe habe ich nach meiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Ende 1977 kennengelernt; er war da schon seit 16 Jahren im Rowohlt Verlag tätig. Seit 1980 hat Hans Georg Heepe meine Arbeit betreut, und er hat sich bei allen Manuskripten, die ich ihm vorgelegt habe, für eine Veröffentlichung ausgesprochen. Gewiß geziemte es sich für mich, die wechselnden Chefs des Hauses Rowohlt meine Verleger zu nennen, aber die Genauigkeit gebietet es, Hans Georg Heepe bis zu seinem Ausscheiden aus dem Verlag als meinen Verleger anzusehen. Als Verleger im besten Sinn: Intellektuell und handwerklich von der ersten Lektüre bis zur letzten gedruckten Zeile mit dem Text befaßt.

Bis heute ist Hans Georg Heepe mit dem Rowohlt Verlag vertraglich verbunden. Von seiner Arbeit zeugt zum Beispiel das Lektorat der auf 22 Bände geplanten Gesamtausgabe der Texte und Briefe von Kurt Tucholsky, von der bis September 2005 17 Bände erschienen sind. Und Hans Georg Heepe begleitet als Lektor weiterhin meine Arbeit.

Spätestens nach dem Abschluß meines Romans Schott (1992) drängte es mich sehr, das geistige und handwerkliche Verdienst Hans Georg Heepes um meine Bücher durch eine Widmung öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Seine Bescheidenheit, die zuweilen an Schüchternheit grenzt, hinderte ihn lange, meine Widmung zu akzeptieren.

Wie gerne erinnere ich mich der Tage, da wir zusammensaßen und Manuskripte besprachen. Die Fürsorge Hans Georg Heepes galt nicht nur meiner Arbeit, sondern auch meinen Lebensumständen, meiner Lebenslage. Das ist es, was ein guter Verleger und Lektor auch ist: Ein Freund, der sich um das Befinden seines Autors kümmert, ein Freund, der in prekärer Lage hilft.

Ohne Hans Georg Heepe wäre manche meiner Arbeiten gar nicht zustande gekommen. Daß der Rowohlt Verlag seit mehr als 25 Jahren mein Zuhause ist – ich verdanke es vor allem Hans Georg Heepe. ( Die Chefs Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, Matthias Wegner, Michael Naumann, Nikolaus Hansen, Peter Wilfert und Alexander Fest werden mir diesen Satz nicht verargen).

Mein Lob ermuntere Georgs Herz! Hier muß die Rede enden, denn „zu vieles Loben, weiß ich wohl, macht dem, der edel denkt, den Lober nur zuwider.“

Mit freundlicher Genehmigung von Hans Joachim Schädlich veröffentlicht "Glossen" diese "Lobrede", geschrieben drei Jahre vor dem Tod von Hans Georg Heepe am 18. November 2009.