Glossen 30

Utz Rachowski
Jürgen Fuchs
8. Juni 2009. Zuerst erschienen in angezettelt 2009

Immer noch erzeugt dieser Name ein leichtes Stirnrunzeln bei den ästhetischen Kulturschleckern Sachsens, dem Publikum im Lande und den ansässigen Produzenten dieser Ästhetik: War das nicht der Bürgerrechtler?

Jürgen Fuchs hat trockenes Schwarzbrot geliefert, das manch einer heute noch nicht verdaute. Jürgen Fuchs ist seit zehn Jahren tot. Schriftsteller und Bürgerrechtler. Das Feuilleton ertränkte ihn einige Jahre vorher schon in der Serie „Der Barbier von Bebra“ in einer Badewanne (und wird noch heute zitiert:„der möglicherweise zu denen gezählt werden muß, in deren Inhaftierung Wiglaf Droste unbeabsichtigte kulturelle Notwehr erblickt hatte“). Doch daran starb er nicht. Nicht am kleinlichen, aber unverhehlten Haß, der ihm spätestens nach der Veröffentlichung seines Romans Magdalena (1998) entgegenschlug. Darin beschreibt Jürgen Fuchs „das Ausbremsen einer Revolution mittels Bürokratie“. Gemeint sind die Massenbewegungen in der DDR von 1989, die schließlich zum Fall der Mauer führten, und die Bürokratie des Staates, in dem wir leben. „Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“, sagt Bärbel Bohley. Und Jürgen Fuchs stellte bis zum Tod einige schmerzliche Fragen an die gegenwärtig Mächtigen: Kann ein Rechtsstaat eine Diktatur juristisch „aufarbeiten“? Wenn nein, dann solle man es sagen und nicht so tun, als könne man das. Und wieviel Diktatur von den beiden vergangenen deutschen bleibt unmerklich in der Demokratie zurück, fließt als Tradition und Gewohnheit in sie ein, vergiftet sie: Duckmäusertum, blinder Gehorsam, Untertanengeist, Blendertum.

Jürgen Fuchs wurde am 19. Dezember 1950 in Reichenbach geboren und starb am 9. Mai 1999 an einem seltenen Blutkrebs, der bisher ausschließlich in Zusammenhang mit radioaktiven Unfällen auftrat. Das bestärkte den Verdacht, dass seine Erkrankung nicht „gottgewollt sondern menschengemacht“ (Wolf Biermann am Grab von Jürgen Fuchs) war. Es gibt keinen Beweis dafür, aber Unterlagen, die beweisen, dass der Staatssicherheitsdienst der DDR nach physikalisch-chemischen Mitteln suchte, um sogenannte „revolutionäre Verurteilungen“ zu vollziehen, d.h. das Opfer, der „Verurteilte“ wird erst nach Jahren und langem Siechtum sterben, die Täter sind nicht überführbar.

Jürgen Fuchs hat drei Romane, drei Gedichtbände und drei Essaybände geschrieben, wenn man die „Gedächtnisprotokolle“ und „Vernehmungsprotokolle“ unter Essayistik rubrizieren will. Spätestens bei der Lektüre des letzteren Bandes wird deutlich, dass er gar eine neue Literaturgattung geschaffen hatte, die mehrschichtig und psychologisch symphonisch Abbildung von Realität möglich macht (Vernehmungsprotokolle soeben neu erschienen im Jaron-Verlag). Er bewies damit zugleich, dass gerade literarische Sprache weit in das Erkennen und in die Analyse der verdunkelten, weil bewusst abgedeckten politischen Realität vordringen kann. Das haben ihm zwei gegensätzliche und anscheinend verfeindete Seiten der Gesellschaft übel genommen: die aufgestörten Mächtigen jeder Couleur, denen Jürgen Fuchs zeigte, dass sie nackt sind gegenüber der Kunst und die künstlerischen Speichellecker, die das Terrain, das sie besitzen, geschützt allein zu bestellen glaubten, und damit sind nicht nur gemeint der prosperierende Spielbetrieb des Feuilletons und andere kreisende Trabanten um die Macht, die sich nie wendet.

Jürgen Fuchs
Besuch

Wie schön
Das Morgenlicht
Hinter den Drähten
Der Oberleitung
Wie schön
Im Zug zu sitzen nach Hamburg
Und abends zurück
Bald kommt mein Tod
Vielleicht sollte ich reisen
Mich verstecken?
An einem schönen heißen sonnigen Tag
Kam er
Der Schwarze, Glänzende, Gefiederte
Vom Transport
Gelackt, mit modischer Jacke
Stand im Zimmer 4 Station 51a, breite Schultern
Kein Gesicht, bediente ein Handy
Tippte, horchte, wartete. Nur seinen Rücken sah ich
Die Farben, die Finger beweglich
Routiniert
(...)
Du Bote, Du Bürschchen!
So glänzend, so poliert
Und gefiedert
So deutlich
So nahe kamst du heran...

(Das letzte Gedicht von Jürgen Fuchs)