glossen: anmerkungen


Zu Herta Müllers neuem Roman "Heute wär ich mir am liebsten nicht begegnet", der im vergangenen Jahr im Rowohlt Verlag, erschienen ist, schreibt Sabine Kebir in der taz vom 15. 10 1997 unter dem Titel "So rot wie ein Beet Klatschmohn. Immer wieder Rumänien: Herta Müllers fortgesetzte Rückschau auf die Zeit der Diktatur":

"Es wäre zu schade, wenn das außerordentliche Talent der Herta Müller mit der Zeit in den Verdacht käme, sich wie die Aktivitäten anderer Bürgerrechtler in den Konfrontationen der Vorwendezeit festzufahren undweiter nur die klaffenden Wunden zu beklagen, die die Diktaturen schlagen, nicht aber die Eiterbeulen zu sehen, die von den schleichenden Krankheiten der sogenannten Demokratien zeugen."

Diese Bemerkung verwundert. Abgesehen davon, daß es in diesem Roman vor allem um die Beziehung einer Frau zu zwei sehr unterschiedlichen Männern, ihrem eigenen und einem die Staatsgewalt vertretenden Beamten geht — dabei Liebes-, Haß- und Machtverhältnisse darstellend, die es leider nicht nur in Rumänien gab; die Rezensentin sieht das auch —, ist es erstaunlich, daß sie trotzdem die Autorin dazu bewegen möchte, ihr Thema zu wechseln. Es ist mir nicht bekannt, ob sie andere Autoren, die sich wiederholt mit einem Thema beschäftigt haben — viele schreiben ihr ganzes Leben lang an einem Thema, etwa den Verbrechen der Nazis oder "den Eiterbeulen ..., die von den schleichenden Krankheiten der sogenannten Demokratien zeugen"(Sabine Kebir) —, dazu angehalten hat, von ihren Themen abzusehen. Könnte es sein, daß einigen Rezensenten Literatur als Nachricht erscheint, und daß diesen gleichen Rezensenten Nachrichten aus kleineren östlichen Ländern eben als nicht ganz literaturfähig gelten.

Mir ist schon klar, die Rezensentin ist der Autorin freundlich gesonnen und will sie "retten". Nun gibt es Autoren, die ihre Themen im Laufe der Jahre wechseln, aber sie tun es meist nach ihrer eigenen Maßgabe. Journalisten müssen da sehr viel schneller sein. Doch was in der Literatur zählt, ist die Qualität und Einmaligkeit der Sprache, mit der Autoren "ihre Themen" darstellen. Und in diesem Punkte ist Herta Müller nicht rettungsbedürftig.

W. M.



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