glossen: rezensionen
"Boheme? Ich hab' nur Tee gekocht", soll der Kommentar von Wilfriede
Maaß gelautet haben.
"Boheme und Diktatur" - drunter gibt's heutzutage keine Fördermittel,
was?
Die Versuche zur Bezeichnung dessen, was sich außerhalb staatlicher
Strukturen in Wohnungen und Gärten, in Ladenateliers und auf
Hinterhöfen der DaDaEr abspielte, haben seit den SPIEGEL-Interviews
mit der Ikone Sascha Anderson bereits eine eigene Geschichte: Untergrund,
Alternativszene, Gegen-oder Subkultur usw. usf. Nun also: Boheme.
Bevor wir die Ausstellungsräume richtig betreten haben, erschlagen
uns wuchtige Porträtfotos von links oben. Daß die Ahnengalerie
100% männlich bestückt ist, braucht wohl kaum Erwähnung. Frauen
kommen weiter hinten, beim Thema Mode und - nunja: Teetassen... Wie sich
die 1986 von Thomas Florschuetz Porträtierten wohl angesichts derartiger
Begegnung mit dem eigenen Bilde fühlen? Was mich in der inoffiziell
publizierten Zeitschrift "Schaden" der 80er Jahre an diesen Fotos beeindruckte,
erfährt durch die Überdimensionierung hier nun eine eigenartige
Verwandlung: Florschuetz hatte Papenfuß, Böthig, Kolbe und die
anderen in einer Weise fotografiert, die untergründig mit der
allgegenwärtigen Kriminalisierungspraxis selbstverantworteten Handelns
spielte. Die Porträts wirkten wie Polizeifotos, deren Helden alle irgendwie
hohlwangig und tiefernst, dichtende Totengräber, Pförtner und Heizer,
die sie waren. Daß Exmatrikulation, Bespitzelung, Knast und irgendwann
die Ausreise nicht gerade zum alltäglichen Lebensglück beitrugen,
soll hier nun wirklich nicht bestritten werden. Nur scheint es mir angesichts
einer Kunst, deren Thema nichtzuletzt die Macht des Symbolischen, der
(Propaganda-)Bilder und -Sprache war, legitim, auf die Macht der neuen Bilder
infolge solcher Musealisierung hinzuweisen. Es scheint, als hätten die
InitiatorInnen der Ausstellung Paul Kaiser und Claudia Petzold eben gerade
diese Macht der visuellen Präsentation und deren Eigendynamik
unterschätzt, denn im Medium Text, in dem sich die JournalistInnen
auskennen, fallen die Urteile weitaus differenzierter, auch vorsichtiger
aus.
Begriffe stellen immer Kontexte her, erwünscht oder unerwünscht.
Das gilt einerseits für "Kollektiv" und "Subbotnik" in Papieren des
Havemann-Kreises (unter Glas bekommen noch die verstiegensten Zettel den
Status eines Zeitdokuments), und es gilt andererseits für die
Foto-Unterschrift "Kommunardin". Wörter wie "Kommunen", "Hausbesetzer",
"Woodstock" geben Zusammenhänge vor, die manchmal in die Irre führen.
Selbststilisierung gehörte und gehört dazu, im Museum könnte
sie jedoch ironisch gebrochen statt verlängert werden. Wird nicht immer
den Frauen die Fähigkeit zur Selbstironie abgesprochen? Hier scheinen
sie die einzigen, die auf die Glorifizierung und Stilisierung ihrer Geschichte
nicht hereinfallen. (Ausnahmen gibt es immer... bloß keine Namen.)
Tut mir leid, aber der Boheme-Begriff scheint mir eben doch ein weitgehend
männlicher zu sein: Frauen sind immer am Rand, als Muse, Medium, Geliebte.
Noch als Fotografinnen sind sie außerhalb des Bildes. "Jürgen
Schweinebraden mit seiner Lebensgefährtin" lautet der Kommentar zur
Duncker 17 (in deren Vorderhaus ich aufwuchs, ohne in den skurrilen Typen
"von hinten" die Helden von morgen zu erkennen - Schande über mich).
Daß oft gerade die Frauen das Zentrum der verschiedenen Kreise, Gruppen,
Salons, Ateliertreffs waren, daß sie nicht selten das Geld für
Cabernet und Eintopf ranschafften, während "ihre" Männer
philosophierten und die Verweigerung gegenüber dem profanen Alltag
zelebrierten, ist auf den Bildern nicht zu sehen, wohl aber im Katalog
nachzulesen. Daß gerade auch die sinnlich wahrnehmbare Seite dieser
Kultur entscheidend von Grafikerinnen, Malerinnen, Fotografinnen,
Buchbinderinnen, Keramikerinnen, Modemacherinnen usw. geprägt war,
gerät in den Hintergrund. Wäre eine "weibliche" Geschichte dieser
Kultur anders ausgefallen, als "Boheme von unten" sozusagen? Da hätten
jedenfalls auch die oppositionellen Nackedeis einen angemesseneren Platz.
Das Verdienst der Ausstellungsmacher ist die Demonstration einer kulturellen
und künstlerischen Vielfalt und Qualität, die in den ausgestellten
Handpuppen, Jazz- und Punkrockmitschnitten, Leporellos, Lyrik-Grafik-Mappen,
im Keramikgeschirr, handgewebten Teppich oder flippigen Kleid, in der Fotografie
und im Super 8-Film gegenständlich wird. Was alles gleichzeitig, mal
miteinander, mal nebeneinander gegen Tristesse und Domestizierungszwang gelebt
wurde und wieviele künstlerische Laufbahnen in diesem urbanen Milieu
ihren Ausgangspunkt hatten, wird genauso deutlich wie der flächendeckende
psychische Überdruck, der auch krankmachte, hinderte, ja
lebensgefährlich werden konnte. Beim Lesen der Stasi-Akten, die in den
verschiedenen Ausstellungsräumen stets mitpräsentiert werden, blieb
mir so manches mal das Lachen im Halse stecken. Nicht nur, weil in einer
Information über Punks, die u.a. auch an das SED-Politbüromitglied
Krenz ging, von Entartung die Rede ist.
Wenn alldas nun unter die Leute kommt, hat das Projekt seinen Sinn erfüllt. Über "Boheme" läßt sich schließlich streiten. In den Ausstellungsräumen unter den Linden treffen sich Generationen, Intellektuelle und "Normalos" aus Ost und West, in die Jahre gekommene AktivistInnen, In- und OutsiderInnen. Gelacht wurde oft, nicht nur von Teekocherinnen...
Birgit Dahlke
Humboldt Universität Berlin