glossen: rezensionen


Boheme daheeme
(Zur Ausstellung "Boheme und Diktatur in der DDR. Gruppen, Konflikte, Quartiere" im Deutschen Historischen Museum Berlin vom 4. September bis 16. Dezember 1997)
Der gleichnamige Katalog von Paul Kaiser und Claudia Petzold erschien im Verlag Fannei & Walz, Berlin.

"Boheme? Ich hab' nur Tee gekocht", soll der Kommentar von Wilfriede Maaß gelautet haben.
"Boheme und Diktatur" - drunter gibt's heutzutage keine Fördermittel, was?
Die Versuche zur Bezeichnung dessen, was sich außerhalb staatlicher Strukturen in Wohnungen und Gärten, in Ladenateliers und auf Hinterhöfen der DaDaEr abspielte, haben seit den SPIEGEL-Interviews mit der Ikone Sascha Anderson bereits eine eigene Geschichte: Untergrund, Alternativszene, Gegen-oder Subkultur usw. usf. Nun also: Boheme.

Bevor wir die Ausstellungsräume richtig betreten haben, erschlagen uns wuchtige Porträtfotos von links oben. Daß die Ahnengalerie 100% männlich bestückt ist, braucht wohl kaum Erwähnung. Frauen kommen weiter hinten, beim Thema Mode und - nunja: Teetassen... Wie sich die 1986 von Thomas Florschuetz Porträtierten wohl angesichts derartiger Begegnung mit dem eigenen Bilde fühlen? Was mich in der inoffiziell publizierten Zeitschrift "Schaden" der 80er Jahre an diesen Fotos beeindruckte, erfährt durch die Überdimensionierung hier nun eine eigenartige Verwandlung: Florschuetz hatte Papenfuß, Böthig, Kolbe und die anderen in einer Weise fotografiert, die untergründig mit der allgegenwärtigen Kriminalisierungspraxis selbstverantworteten Handelns spielte. Die Porträts wirkten wie Polizeifotos, deren Helden alle irgendwie hohlwangig und tiefernst, dichtende Totengräber, Pförtner und Heizer, die sie waren. Daß Exmatrikulation, Bespitzelung, Knast und irgendwann die Ausreise nicht gerade zum alltäglichen Lebensglück beitrugen, soll hier nun wirklich nicht bestritten werden. Nur scheint es mir angesichts einer Kunst, deren Thema nichtzuletzt die Macht des Symbolischen, der (Propaganda-)Bilder und -Sprache war, legitim, auf die Macht der neuen Bilder infolge solcher Musealisierung hinzuweisen. Es scheint, als hätten die InitiatorInnen der Ausstellung Paul Kaiser und Claudia Petzold eben gerade diese Macht der visuellen Präsentation und deren Eigendynamik unterschätzt, denn im Medium Text, in dem sich die JournalistInnen auskennen, fallen die Urteile weitaus differenzierter, auch vorsichtiger aus.

Begriffe stellen immer Kontexte her, erwünscht oder unerwünscht. Das gilt einerseits für "Kollektiv" und "Subbotnik" in Papieren des Havemann-Kreises (unter Glas bekommen noch die verstiegensten Zettel den Status eines Zeitdokuments), und es gilt andererseits für die Foto-Unterschrift "Kommunardin". Wörter wie "Kommunen", "Hausbesetzer", "Woodstock" geben Zusammenhänge vor, die manchmal in die Irre führen. Selbststilisierung gehörte und gehört dazu, im Museum könnte sie jedoch ironisch gebrochen statt verlängert werden. Wird nicht immer den Frauen die Fähigkeit zur Selbstironie abgesprochen? Hier scheinen sie die einzigen, die auf die Glorifizierung und Stilisierung ihrer Geschichte nicht hereinfallen. (Ausnahmen gibt es immer... bloß keine Namen.) Tut mir leid, aber der Boheme-Begriff scheint mir eben doch ein weitgehend männlicher zu sein: Frauen sind immer am Rand, als Muse, Medium, Geliebte. Noch als Fotografinnen sind sie außerhalb des Bildes. "Jürgen Schweinebraden mit seiner Lebensgefährtin" lautet der Kommentar zur Duncker 17 (in deren Vorderhaus ich aufwuchs, ohne in den skurrilen Typen "von hinten" die Helden von morgen zu erkennen - Schande über mich). Daß oft gerade die Frauen das Zentrum der verschiedenen Kreise, Gruppen, Salons, Ateliertreffs waren, daß sie nicht selten das Geld für Cabernet und Eintopf ranschafften, während "ihre" Männer philosophierten und die Verweigerung gegenüber dem profanen Alltag zelebrierten, ist auf den Bildern nicht zu sehen, wohl aber im Katalog nachzulesen. Daß gerade auch die sinnlich wahrnehmbare Seite dieser Kultur entscheidend von Grafikerinnen, Malerinnen, Fotografinnen, Buchbinderinnen, Keramikerinnen, Modemacherinnen usw. geprägt war, gerät in den Hintergrund. Wäre eine "weibliche" Geschichte dieser Kultur anders ausgefallen, als "Boheme von unten" sozusagen? Da hätten jedenfalls auch die oppositionellen Nackedeis einen angemesseneren Platz.

Das Verdienst der Ausstellungsmacher ist die Demonstration einer kulturellen und künstlerischen Vielfalt und Qualität, die in den ausgestellten Handpuppen, Jazz- und Punkrockmitschnitten, Leporellos, Lyrik-Grafik-Mappen, im Keramikgeschirr, handgewebten Teppich oder flippigen Kleid, in der Fotografie und im Super 8-Film gegenständlich wird. Was alles gleichzeitig, mal miteinander, mal nebeneinander gegen Tristesse und Domestizierungszwang gelebt wurde und wieviele künstlerische Laufbahnen in diesem urbanen Milieu ihren Ausgangspunkt hatten, wird genauso deutlich wie der flächendeckende psychische Überdruck, der auch krankmachte, hinderte, ja lebensgefährlich werden konnte. Beim Lesen der Stasi-Akten, die in den verschiedenen Ausstellungsräumen stets mitpräsentiert werden, blieb mir so manches mal das Lachen im Halse stecken. Nicht nur, weil in einer Information über Punks, die u.a. auch an das SED-Politbüromitglied Krenz ging, von Entartung die Rede ist.

Wenn alldas nun unter die Leute kommt, hat das Projekt seinen Sinn erfüllt. Über "Boheme" läßt sich schließlich streiten. In den Ausstellungsräumen unter den Linden treffen sich Generationen, Intellektuelle und "Normalos" aus Ost und West, in die Jahre gekommene AktivistInnen, In- und OutsiderInnen. Gelacht wurde oft, nicht nur von Teekocherinnen...

Birgit Dahlke
Humboldt Universität Berlin



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