glossen: artikel


  Guido Boulboulle

Vorbemerkung

Seit Jahren wird über die Gestaltung eines Holocaust-Denkmals in Berlin gestritten. Die schwierige Diskussion, die komplexe Verflechtung von moralischen, politischen und ästhetischen Kriterien zu entwirren, erfordert einen eigenen umfangreichen Text. Positiv könnte dieser zeigen, daß der Prozeß der Denkmalsfindung so wichtig ist wie das zu errichtende Denkmal selbst. Negativ könnte er auf beschämende Weise enthüllen, wie noch in der Debatte über das Denkmal sein historischer Anlaß selbst verdrängt werden soll.

Ein gelungenes Denkmal zum Holocaust: das kann und darf nicht der Anspruch sein, den das Denkmal zu erfüllen hat. Sein Thema verbietet eine solche Erwartung.

Welchen Kriterien aber soll seine Gestaltung dann genügen? Zunächst schien den Initiatoren, allen voran Lea Rosh und dem Förderkreis Mahnmal, diese Frage durchaus beantwortbar. Die erste offene und anonyme Ausschreibung für das "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" 1994 ließ hoffen, daß sich eine passende Antwort finden würde. Doch von den 528 Einsendungen vermochte keine zu überzeugen. Obwohl im März 1995 die Jury zehn preiswürdige Vorschläge benannte, obwohl der von ihr vorgesehene erstplazierte Entwurf auf Wunsch der Mehrheit der Auftraggeber auch verwirklicht werden sollte, wurde er schließlich nach heftigen öffentlichen Diskussionen verworfen. Es folgten 1997 drei Fachkolloquien, die - allerdings erfolglos - die Kriterien für die Auswahl präzisieren sollten. Schließlich einigte man sich auf die Benennung von 19 Künstlern, die gebeten wurden, einen Denkmalsentwurf vorzulegen (vgl. Jochen Gerz: Warum ist es geschehen?). Eine Findungskommission wählte Ende 1997 daraus vier Entwürfe aus. Ende des Jahres wurden die eingereichten Entwürfe der Öffentlichkeit in einer Ausstellung zugänglich gemacht und die vier ausgewählten Entwürfe von ihren Entwerfern dem Publikum in eigenen Vorstellungsrunden präsentiert (vgl. Jochen Gerz: Rede an die Jury...). Nunmehr soll einer von ihnen in diesem März von den drei Auslobern - Förderverein, Stadt Berlin, Bund (Bundestag und Bundesregierung) - zur endgültigen Ausführung bestimmt werden. Gleichzeitig aber wird in unverminderter Heftigkeit darüber gestritten, ob überhaupt ein Denkmal eine angemessene Form der Auseinandersetzung mit dem Holocaust darstellen kann.

Unter den vier letzten Denkmalsentwürfen findet sich auch der Vorschlag von Jochen Gerz, besonders favorisiert von dem Förderverein. Er hat seinen Entwurf bei der Einreichung ausführlich kommentiert. Diesen Kommentar hat er uns auf unsere Bitte zur Veröffentlichung überlassen. Wir drucken ihn ab, weil er nach unserer Auffassung erstens auf sehr eindringliche und bedenkenswerte Weise die Eigenart und Problematik verdeutlicht, die sich der Kunst, das Verdrängte und Abgewehrte zu erinnern, stellt. Und weil er zweitens auf für uns überzeugende Weise die politische und moralische Dimension einer avantgardistischen Konzeption von interaktiver Kunst sichtbar macht.

Jochen Gerz hat sich in zahlreichen Werken schon in den siebziger Jahren mit neuen Formen der Denkmalskunst auseinandergesetzt. Glossen hat bereits in ihrer ersten Nummer einige seiner künstlerischen Arbeiten in diesem Bereich vorgestellt, die er zum Teil in Zusammenarbeit mit seiner Frau Esther angefertigt hat. Zuletzt sind noch von ihnen beiden die Genfer Arbeit "Die Verteilung der Saat/ Die Kollekte der Asche" (1995) und von ihm allein "Le Monument vivant de Biron" (1996) entstanden. Gegenwärtig arbeiten beide gemeinsam an einer interaktiven Theateraufführung des Stückes "Die Ermittlung" von Peter Weiss in Berlin.


Jochen Gerz

Warum ist es geschehen?
Denkmal für die ermordeten Juden Europas Berlin 1997

      — HISTORY HURTS (Plakat in Detroit, Sommer 1997)

— "The monument is a declaration of love and admiration to the purposes men hold in common" (Lewis Mumford)

"Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barberei zu sein"
(Walter Benjamin)

Der Auftrag: Wer ein solches "nationales" Denk- und Mahnmal will und in Auftrag gibt, der muß es wirklich und in aller Konsequenz so wollen, daß der Wille zum Denkmal in der Verwirklichung und im Funktionieren des Ortes erkennbar bleibt.

Der künstlerische Vorschlag kann sich nur am Vorbild des Auftrags orientieren, insofern als ein "zentrales Denkmal, wie das Beispiel Jad Waschem in Jerusalem zeigt, keine Arbeit gegen seinen Auftrag sein kann. Deshalb ist das Denkmal nicht leichter zu wollen als zu können. Die Diskussion der letzten Jahre, die immer auch eine Diskussion über den Auftrag war, ist ein Beleg dafür.

Der Standort ist als Chance zu verstehen, da er die naive Gleichung "Genozid = Stille, Diskretion und Würde" umkehrt. Es ist eine Leistung des Auftrags, daß er ein säkulares, ja "störendes" Umfeld zur Bedingung der künstlerischen Auseinandersetzung macht (siehe auch die Standortwahl beim "Mahnmal gegen Faschismus, Harburg", gegen die Standortvorgabe im Park). Außerdem ist die Größe des Platzes - als Metapher für eine Weltverletzung, die Shoah - eine weitere "richtige" Vorgabe des Auftrags, weil sie die Maßlosigkeit zum Maßstab des Auftrags macht.

Die Verwirklichung: Die Frage "Warum ist es geschehen - Why did it happen?" steht im Mittelpunkt des Denk- und Mahnmals, weil sie den Ansatz zum Denken und Leben nach der Shoah verkörpert. Jeder Besucher des Denkmals für die ermordeten Juden Europas ist eingeladen, auf diese Frage zu antworten.

Das Gemeinschaftswerk der Antworten - die in den Belag des immensen, anfangs leeren Platzes im Laufe der Zeit eingemeißelten Gedanken und Reaktionen jedes Besuchers - wird ein permanenter Teil des Denk- und Mahnmals.

Das Denk- und Mahnmal manifestiert sich als eine Darstellung von Demokratie, die sowohl in jeder einzelnen Äußerung als auch in der wachsenden Versammlung aller Äußerungen - als "persona" - zum Ausdruck kommt. Es ist ein Manifest gegen die politische Fatalität, d.h. gegen die Diktatur. Hier entsteht eine Gemeinschaft jenseits von Nation, Identität und Religion, von "Betroffenheit" und "Kompetenz".

Das Denk- und Mahnmal wird - durch die Beiträge seiner Besucher aus vielen Ländern - auch den Krieg als den Schutzpatron aller Genozide denunzieren und zum öffentlichen Ort des Widerstands gegen jeden neuen deutschen und europäischen Krieg werden. Die Glaubwürdigkeit des Mahnmals liegt in der Verpflichtung auf die Zukunft.

Das Denk- und Mahnmal soll der Ausdruck des politischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Umgangs mit der Shoah werden, ein Ort deutscher Identität.

Das Denk- und Mahnmal teilt das Areal in zwei Teile: Den ersten Teil bildet der ca. 15.000 qm große Platz, der beschriftet wird mit den Antworten der Besucher auf die Frage "Warum ist es geschehen?". Den zweiten Teil bildet ein Gebäude - Das Ohr. Das Ohr stellt allen Besuchern die Frage, bereitet sie auf ihre Autorenrolle vor und begleitet sie bis zum eigenen Beitrag.

Der Platz ist ein Parallelepiped und mißt 162 x 116 x 115 x 118 m. Seine Grundlinie ist die Senkrechte von der Ecke Französische Straße/Allee auf den Ministergärten zur Ebertstraße. Auf den übrigen Seiten wird er begrenzt durch Ebertstraße, Behrenstraße und Allee auf den Ministergärten. Die Westseite des Platzes entlang der Ebertstraße ist gegenüber dem Straßenniveau um 2 m abgesenkt. Entlang der Diagonalen beträgt die Platzneigung 0,5% bzw. 1%. Die Oberfläche des Platzes besteht aus glattem Stahlbeton.

Der Platz wird durch Verpflanzung der Lindenreihen beidseitig der Ebertstraße zwischen Tiergarten und Areal visuell um 4.000 qm vergrößert. Dadurch wird die Ebertstraße mit ihrem dichten Passanten-, Auto- und Busverkehr selbst Teil des Areals, und zugleich wird eine direkte Ost-West-Verbindung zum Tiergarten hergestellt.

Die Beleuchtung des Platzes bilden 39 Lichtpole aus Edelstahl mit einem Durchmesser von 60 cm und einer Höhe von 16 m. Sie sind auf den Kreuzungspunkten eines Parallelogrammrasters über den Platz verteilt.

Entlang der Behrenstraße wird der Platz durch ein Wasserbecken begrenzt. Von den übrigen drei Seiten aus ist er, teilweise über flache Treppenstufen, zugänglich. Die Besucher betreten den Platz, um die Antworten im Boden zu lesen. Sie werden dabei auch über die Beschriftung laufen.

Der Platz existiert in zwei Zuständen, dem veränderbaren und dem endgültigen. Der endgültige Zustand ist erreicht, wenn er mit den Antworten vollgeschrieben ist. Auch in diesem Zustand erscheint der Platz, obwohl sichtbar und berührbar, in seiner Ausdehnung dem menschlichen Auge leer. Paradoxerweise aber ist der veränderbare Zustand des Denk- und Mahnmals der permanente, weil die Antworten der Besucher auch nach der beendeten Beschriftung des Platzes gesammelt werden. Dieser fortdauernde Prozeß macht die zeitliche Dimension des Denk- und Mahnmals ähnlich unvorstellbar wie die Zahl der 6 Millionen Morde.

Die Frage: Im oberen Bereich der 39 Lichtpole steht in Handschrift senkrecht das Wort Warum geschrieben, realisiert in illuminierenden Lichtwellenleitern. Das Wort erscheint in den Sprachen der verfolgten Juden Europas. Dem Auftrag des Denkmals folgend, werden nur die Landes- und Regionalsprachen der verfolgten Juden Europas (und jiddisch und hebräisch) auf den Lichtpolen verwendet, z.B. weder englisch noch spanisch. Auf der Rückseite der 39 Lichtpole läuft eine senkrechte Lichtlinie aus Lichtwellenleitern von oben nach unten und endet 3 m über dem Boden.

Weder Trauer noch individuelle Vorstellungskraft kann sich ein Bild vom Leiden der Opfer machen. Jedoch trägt die intensive öffentliche Diskussion, die durch die Anti-Monumente mitgeprägt wird, dazu bei, daß ein wichtiger Teil der Bevölkerung sich emanzipiert. So kann Autorenschaft heute, als persönlicher Akt von Verantwortung und als Zeugnis einer wachsenden Zahl lebendiger Menschen im Denk- und Mahnmalprozeß, zur Basis für ein gemeinsames Weitergehen werden. Das Denk- und Mahnmal ist nur vorstellbar als ein Ort, der zu schaffen bleibt: der Besucher wird Mahnmal.

Nur die lebenden Menschen verkörpern immer wieder und immer neu den Ausdruck, die Wahrheit, den Verlust und den Ort der Opfer. Erinnerung ist hier sowohl ein immer neues Erwachen von Trauer, als auch eine Revolte gegen ihren eigenen Anlaß und die Ohnmacht des Ertragens.

Die Antworten: Bei einer Schrifthöhe von 2,5 cm und einem Durchschuß von 1,5 cm faßt der Platz ungefähr 2.785 Zeilen, die in Ost-West-Richtung laufen und eine durchschnittliche Länge von 136 m mit ca. 7.125 Buchstaben haben. Wenn jede Antwort ungefähr 120 Buchstaben zählt, haben in einer Zeile 59 Antworten Platz und auf der Gesamtfläche 165.359 Antworten. Die Schrift wird 4-5 mm tief mit einem computergesteuerten Schreibgerät in den Beton graviert. Die Schrift ist so klein, daß viele Besucher sie nur lesen können, wenn sie sich zu Boden bücken.

Es wäre ein Mißverständnis und eine unglückliche Antwort auf die Geschichten der Opfer und der Täter, wenn man an diesem Ort den Besuchern nicht eine eigene Leistung zumutete. Die "zentrale" Arbeit kann nur des Besuchers eigener Beitrag, seine eigene Antwort sein. Nichts kann das stellvertretend repräsentieren, nicht die Politik und nicht die Kunst. Das eigene Leben wird zur eigenen Antwort. Allein so wird der Verbannung der Opfer in Rituale des Vergessens Einhalt geboten.

Die Beschriftung des Bodens erfolgt in situ. Als physisches Geschehen - eine Form von Bußarbeit, von "abarbeiten" - markiert der Vorgang der täglichen Beschriftung den Ort als Ausnahme und als Wirklichkeit. Er macht die Glaubwürdigkeit von Widerstand im Angesicht von Absurdität spürbar. Der Vorgang des Schreibens gibt dem Platz ein bewegliches Zentrum. Bei Zugrundelegung traditioneller Gravurtechniken würde der Vorgang der Beschriftung des Platzes mehr als eine Generation dauern.

Während Verpflichtungen über mehrere Generationen hinaus in traditionellen Kulturen nicht ungewöhnlich sind, tendieren moderne Gesellschaften dazu, dem Unvollendeten weniger Glauben zu schenken. Bei diesem Denk- und Mahnmal sprengt das Ende die individuelle Vorstellung und ist soweit hinausgeschoben, daß es nur von theoretischer Bedeutung ist. Auch wenn das Endgültige - mit der Einschreibung jeder Antwort in eine fast endlose Zeit - real Jeden konfrontiert, der einen eigenen Beitrag leistet.

Die Vollendung des Platzes hängt von zweierlei ab: Dem Rhythmus der Beiträge der Besucher und der Technik der Beschriftung des Bodens, d.h. der Geschwindigkeit des "Steinmetzes", eines computergesteuerten Gerätes, das für diesen Anlaß im Fachbereich Fertigungsverfahren der Universität Bremen entwickelt wird. (Siehe auch Franz Kafka: Die Strafkolonie).

Es gibt hier eine praktische und politische Dimension: das Denk- und Mahnmal-in-progress ist solange permanent, als es als solches gewollt wird. Der Prozeß des Denk- und Mahnmals hängt von Freiwilligkeit ab, den Beiträgen seiner Besucher. Einmal realisiert ist es also nicht, wie oft befürchtet, am Ende, sondern es ist im Gegenteil an seinen Anfang angekommen.

Es ist ausdrücklich zu erwähnen, daß am Tag der Einweihung der Platz nicht beschriftet, sondern leer sein wird. Bei der Einweihung können die ersten Antworten gegeben, kann der Prozeß der Beschriftung initiiert werden.

Die Besucher begegnen auf dem Platz der eigenen Vergangenheit, der Sprache der Herkunft, die sie selbst, die Eltern oder Großeltern, sprachen. Sie sollen beim Suchen nach der "eigenen" Sprache im Wort Warum überrascht werden, nachdenken, etwas (wieder)finden. Die Sprachen sollen die Identität dieses Denk- und Mahnmals, das keinem anderen Denkmal für Opfer der nationalsozialistischen Diktatur im Weg stehen will, markieren.

Überall sonst auf dem Areal gilt für die Information der Besucher eine international übliche Sprachregelung.

Neben dem Tiergarten entsteht ein zweiter Wald - ein Wald aus Wörtern, Fragen und Antworten. Es geht nicht so sehr darum, die Frage, auf die es keine Antwort gibt, zu überwinden, vielmehr darum, das Singularische der Frage durch das Pluralische der Menschen zu ergänzen, die die Frage hören und dennoch Antwort suchen.

Die Nähe des Denk- und Mahnmals zu verkehrsreichen Straßen erlaubt kontinuierliche Entdeckung. Das Licht der vielsprachigen Frage "Warum" wird Anwohnern und Passanten vertraut werden, zugleich aber auch ein Signal für das immer Ungewöhnliche, für die vor Ort unaufhörlich wachsende Zahl der Antworten sein.

Die Brücke: Eine gläserne Brücke überspannt in einer Höhe von 1,70 m von der Behrenstraße bis zur Mitte einen Teil des Platzes. Sie folgt seiner Neigung, hat eine Breite von 1,60 m und ist 47 m lang. Sie besteht aus einer leichten Stahlkonstruktion mit Bodenplatten aus Glas. Eingespannte Stahlseile dienen als Geländer.

Bei seinem Gang durch die Hölle, die ihn zu verschlingen droht, findet sich Dante an einer Stelle wieder, an die er sich klammert. Ein Steg, der ihm zweierlei verspricht: Beobachtung und Entkommen.

Das Ohr: Direkt an den Platz stößt, als zweiter Teil des Areals, ein längliches Dreieck auf der Seite Französische Straße (40:162:178 m). Es verläuft in einer Neigung vom Straßenniveau bis zur Ebene des Platzes und ermöglicht Fahrzeugen den Zugang zum Denk- und Mahnmal. An der Südwestecke Französische Straße/Ebertstraße steht Das Ohr.

Das Ohr ist ein Gebäude, das die iranische Architektin Nasrine Seraji entworfen hat. Es dient der Beziehung zwischen Menschen, der Beziehung zur eigenen Spur (die Antwort) und der Beziehung zwischen Menschen und ihrer Geistigkeit - zum Abwesenden.

Das Ohr führt die Besucher vom Raum der Erinnerung in den Raum der Antworten und durch diesen hindurch in den Raum der Stille.

Das Gebäude soll von einer Denk- und Mahnmal-Stiftung (Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, siehe erster Entwurf vom 10.3.1997, Deutscher Bundestag) geleitet werden, die vom Bundestag als Stifter ins Leben gerufen wird. Ein Kuratorium oder Beirat wird von Vertretern kultureller Institutionen besetzt (z.B. Goethe-Institut, DAAD, der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Förderkreis zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas).

Der erste Raum: Erinnerung. Dieser Raum ist konzipiert als der erste europäische von bisher fünf Aufbewahrungsorten von der Shoah Foundation des amerikanischen Filmregisseurs Steven Spielberg. Diese Stiftung plant die Interview-Sammlung aller noch lebenden jüdischen KZ-Überlebenden auf Video.

Dank dieses Bild- und Tonarchivs wird ein "Gedächtnis der Shoah" existieren, das sich ausschließlich auf die Erinnerungen der Opfer des Genozids selbst stützt.

Der Raum der Erinnerung ist ein intimer Raum, ausgestattet mit komfortablen Sitzgelegenheiten und Kissen am Boden. 24 Monitore und 80 Kopfhörer ermöglichen die Ansicht und das Mithören der Interviews.

Der zweite Raum: Antworten. Das Thema des Denk- und Mahnmals - die Frage: Warum ist es geschehen? - ist der Gegenstand des Raums. Die Besucher treffen sich hier zum Gespräch und zur Diskussion mit Stipendiaten der Denk- und Mahnmal-Stiftung. Die Stipendiaten, die für die Dauer eines Studienaufenthalts in Berlin volontieren, kommen aus Israel, von internationalen jüdischen Universitäten oder Institutionen. Ihr Aufenthalt in Berlin und ihre Auseinandersetzung mit den Besuchern des Denk- und Mahnmals, den "Nachgeborenen" aus Deutschland und aller Welt, ist ein Dienst an der Erinnerung der Shoah. Die Kultur des Gesprächs als Anathema von Rassismus ist ein zentrales Anliegen dieses Raums.

Das Denk- und Mahnmal muß der Diskussion dienen und sich deshalb als ein Teil davon verstehen.

Das Gespräch dient der Vorbereitung des Besuchers auf den eigenen Beitrag, die Antwort. Es ist ein Ort des face à face, (z.B. von Opfer und Täter), des Wiederfindens, des Austauschs, des Andenkens und des "nie wieder". Der Raum ist mit Stühlen und runden Tischen verschiedener Größe ausgestattet.

Pulte hatten offene Bücher für die Besucher und deren Antworten bereit. Die vollen Bücher sind hier chronologisch in den Bibliotheksregalen geordnet, die die Wände des Raums füllen. Die Bücher in den anfangs leeren Regalen schaffen eine visuelle Analogie zur Vorstellung der Zeitlichkeit des Denkmals über die Vollendung des Platzes hinaus.

Die Gegenwart der ausländischen jüdischen Stipendiaten, vor allem aus Israel, soll dem intellektuellen Austausch dienen. lntellektualität ist auch heute die Zielscheibe jeden rassistischen Übergriffs. Lehrer und Studenten, Schriftsteller, Philosophen, Politiker, Historiker, Soziologen, Künstler und alle anderen, die das Umfeld der Frage positiv beeinflußt haben, laden Besucher zu Gesprächen ein. Dieser Austausch, zusammen mit regelmäßigen Veranstaltungen der Denk- und Mahnmal-Stiftung, machen diesen Raum zu einer internationalen Referenz für den zeitgenössischen Stand von Erinnerungsarbeit und -forschung.

Der dritte Raum: Stille. Zu dem runden Raum im Zentrum des Gebäudes kommt man durch den Raum des Gesprächs. Er ist so dunkel, daß es zunächst unmöglich ist, seine Dimension auszumachen, oder zu erkennen, ob man allein ist. Langsam wird der Himmel in der lichtdurchlässigen Raumdecke (aus smart glass) sichtbar. Zu hören ist "eternal e", eine Komposition des amerikanischen Komponisten La Monte Young. Der Raum ist leer mit Ausnahme einer Bank, die der Außenwand folgt.

"eternal e" besteht aus einem einzigen Ton, der vom Zuhörer nicht durchgehend als solcher gehört werden kann. Er scheint sich im Verlauf der Komposition zu ändern, zu verstärken oder abzuschwächen: die Zuhörer wissen nicht, ob sie eine vorgegebene Musik hören oder eine einmalige, die eigene, deren Autoren sie sind.

Der dritte Raum ist ein Spiegel, in dem man nichts sieht - weder die Zeugnisse Anderer, noch die eigenen Erinnerungen. Es ist ein Raum der Meditation. Bilderlos. Ein Beitrag der Kunst nach Auschwitz.

Die eigene Zeit leben heißt aus den Antworten der Geschichte Fragen zu machen.

Warum ist es geschehen?


Graphiken und Bilder zum Denkmalsentwourf von Jochen Gerz

1. Querschnitt

2. Grundriß

3. Gesamtsicht

4. Platz


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