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  "Falls also inzwischen die Welt nicht untergeht, werden wir uns wohl bald wiedersehen."1 Schriftstellerbriefe aus dem Exil, 1938-1945.
Marion Husson

Der Nachlaß von Alma Mahler-Werfel (1879-1964) in der Van Pelt Bibliothek der University of Pennsylvania enthält zahlreiche Korrespondenzen deutschsprachiger Exilschriftsteller aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Der Großteil dieser Exilbriefsammlung ist bisher unveröffentlicht geblieben. Eine alphabetische Liste emigrierter Schriftsteller, deren Briefverkehr mit dem Ehepaar Werfel überliefert ist, gibt Aufschluß über die Repräsentativität der Sammlung für die deutsche Briefliteratur der Exilzeit: Raoul Auernheimer, Hermann Broch, Max Brod, Franz Theodor Csokor, Albert Ehrenstein, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Hans Habe, Ödön von Horváth, Hermann Kesten, Ernst Lothar, Emil Ludwig, Golo Mann, Klaus Mann, Thomas Mann, Ludwig Marcuse, Leo Perutz, Kurt Pinthus, Erwin Piscator, Max Reinhardt, Erich Maria Remarque, Friedrich Torberg, Fritz von Unruh, Johannes Urzidil, Berthold Viertel, Carl Zuckmayer, Arnold Zweig, Stefan Zweig.

1. Briefliteratur oder Schriftwechsel -- zur Problematik der Briefkultur im 20. Jahrhundert

Das Gros der Kritik bezweifelt, daß Privatbriefe von Schriftstellern im 20. Jahrhundert noch Kunstanspruch erheben dürfen und somit als Genre literarisch relevant sind. Für Theodor Adorno ist Briefliteratur passé: "Sie ist veraltet; wer ihrer noch mächtig ist, verfügt über archaische Fähigkeiten; eigentlich lassen sich keine Briefe mehr schreiben" (Adorno 128). Studien wie Gustav Hillards "Vom Wandel und Verfall des Briefes", oder Georg Jappes "Vom Briefwechsel zum Schriftwechsel" diagnostizieren im Sinne Adornos das Ende einer literarischen Gattung. Die Ansichten darüber, wann und unter welchen Umständen ein Privatbrief überhaupt als Literatur gelten darf, gehen auseinander. Einigkeit herrscht lediglich im Hinblick auf fingierte Briefe. In der Form des Briefromans, der epistolaren Lyrik, oder des offenen oder imaginären Briefes gelten sie als ästhetische Schöpfungen, denen die Forschung nicht den Kunstanspruch entzieht (Jappe 347, Müller 68, Wellek 24). Wie aber steht es mit der Literarizität der Alltagsbriefe von Schriftstellern? Peter Bürgels vor über zwanzig Jahren erstelltes heuristisches Modell ist bis heute die ausführlichste Analyse zur Theorie des Privatbriefs. Seine Untersuchung stellt auch die Frage nach dem Kunstanspruch von Schriftstellerkorrespondenzen. Unter dem soziologischen Aspekt eines Dialoges zwischen Sender und Empfänger wertet Bürgel den Brief als schriftliches Kommunikations- und Informationsmittel, nicht als literarisches Produkt. In sprachlich-ästhetischer Hinsicht kommt er zu dem Schluß, daß der Privatbrief durch die pragmatische Intention und fehlende Fiktionalität "den ästhetischen Schein", die "Aura des Schönen", die das Kunstwerk ausmacht, vermissen läßt (Bürgel 289-290). Diese Richtlinien erklären auch Dichterkorrespondenzen zum Zweckschreiben ohne literarischen Anspruch. Allerdings räumt Bürgel ein, daß der Privatbrief als biographische, zeit-und werkdokumentarische Quelle ein "Bild der Geschichte" durch die subjektive Darstellung der objektiven historischen Gegebenheiten seitens des Autors vermitteln kann (Bürgel 293). Die stilistische Komponente, die die Privatbriefe eines Literaten immerhin als Kunstwerk rehabilitieren könnte, reicht für ihn angesichts der Zweckgebundenheit solcher Korrespondenzen nicht aus.

Das schriftstellerische Lager verfährt gnädiger mit dem Alltagsbrief. Für Luise Rinser ist die Tatsache, daß ein Brief das Stilgepräge des Dichters zeigt, ausreichend, ihn als Kunstwerk gelten zu lassen. So können für Rinser sogar Briefe, "in denen es ohne künstlerische Absicht um eine sachliche Mitteilung geht, künstlerische Dokumente sein" (Rinser 109). Auch Golo Mann reiht Privatbriefe, sofern sie originell und historisch interessant sind oder eine literarische Tradition erkennen lassen, in die Literatur ein (Mann 77).

Wenn seitens der Kritik von Briefkultur die Rede ist, so richtet sich das Augenmerk eher auf vergangene Jahrhunderte. Das späte 18. Jahrhundert brachte die Blütezeit des deutschen Briefromans und der großen literaturkritischen Briefwechsel. In den individuell geprägten, gefühlsbetonten Dichterkorrespondenzen der Pietismus-Zeit und des Sturm und Drang verfließen erstmals die Grenzen zwischen Briefliteratur und Privatbrief. Dieser Trend setzt sich in den Schriftstellerbriefen der Frühromantik fort, deren Spontaneität und kolloquialer Stil die Briefliteratur noch einmal belebten. Im 20. Jahrhundert werden Briefschreiber wie Rainer Maria Rilke, Franz Kafka und Hugo von Hofmannsthal als letzte Vertreter einer verfallenden Kunstform gesehen. Die Nachkriegszeit bringt, laut Adorno und anderen, den endgültigen Niedergang der Briefkultur. So konstatiert Wolfgang Müller, Briefe zu schreiben, erfordere "Zeit, Muße und Kraft" (Müller 75), und Hillard stimmt ihm zu:

Muße und genug Augenblicke zur Betrachtung, das sind in der Tat soziologische Voraussetzungen für eine Briefkunst. Soll diese aber nicht ein einzelnes talent épistolaire auszeichnen, sondern als Briefkultur sich entfalten, so muß eine Gesellschaft über diese Voraussetzungen verfügen. Die Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts besaß sie in unerschöpflichem Maße. (Hillard 342)

Daß diese Art von Muße in der schnelllebigen Nachkriegszeit Seltenheitswert besitzt, liegt auf der Hand. Das Fortschreiten der Technologie, das einerseits unmittelbare Kommunikation per Telefon, Telegramm, Computermodem und Fax ermöglicht, andererseits durch moderne Verkehrsmittel Reisedistanzen schneller überbrücken läßt, macht das Briefeschreiben unnötig, oder läßt es zu einer hastigen Angelegenheit degenerieren. "Auch privat ist aus dem Briefwechsel ein Schriftwechsel geworden; lange Erläuterungen in langen Abständen sind verdrängt von kurzen Nachrichten in kurzer Folge. Briefe sind Benachrichtigung geworden" (Jappe 344). Dem setzt Hillard zwar entgegen, daß in der modernen Zeit nur der Zweckbrief verkümmert, der ohnehin "niemals Kunst und Kultur des Briefes repräsentiert" (Hillard 342). Das hieße immerhin, daß eine echte, ästhetisch wertvolle Briefkultur nicht unbedingt durch den Fortschritt der technischen Kommunikationsmittel verkümmern müßte.

Für Hillard und Wellek ist auch der Verlust der Handschrift, die durch die Schreibmaschine oder den Computer ersetzt wird, symptomatisch für den Niedergang der Briefkunst. Wellek diagnostiziert darin gar einen "Verlust der Ausdrucksgeneigtheit des Schreibers" (Wellek 342). Hier sind doch Zweifel anzumelden angesichts der Tatsache, daß gerade Schriftsteller notorische Maschineschreiber sind und durch den Umgang mit der Maschine keineswegs an schöpferischer Kraft einbüßen. Oft wird in den Exilbriefen von Schriftstellern die schöpferische Pause am Schreibtisch zum Anlaß, einen neuen Bogen in die Maschine zu spannen und spontan einen Brief an einen Dichterkollegen zu entwerfen, um darin intellektuellen Meinungsaustausch zu suchen, über den Fortgang der Arbeit zu berichten und kritische Beurteilungen zu erbitten.

Die pessimistischen Diagnosen zur Lage der Briefkultur im 20. Jahrhundert scheinen im Hinblick auf die Briefwechsel von Exilschriftstellern verfehlt. Die Werfelsche Sammlung zeigt, daß die Dichterkorrespondenzen der Emigration als repräsentative Bestandteile der Exilliteratur Einblick in die Extremsituation der deutschsprachigen Literatur während des Dritten Reiches gewähren und sowohl als historische als auch als literarische Dokumente nicht einfach abgetan werden dürfen. Das Problem der Arbeit in der Fremde, die sprachliche Isolation und das Entsetzen über die geschichtliche Entwicklung werden in Exilbriefen eloquent behandelt. In der Briefliteratur der Emigration erlebt die deutsche Briefkultur auch im 20. Jahrhundert noch einmal eine Blütezeit.

2. Begegnung mit der Briefsammlung im Alma Mahler-Werfel Nachlaß

Mehrere hundert Dichterbriefe der Emigrationszeit sind im Werfelschen Nachlaß überliefert. Die exotischen Briefköpfe fallen sofort auf. Oft handelt es sich um Abbildungen von billigen Hotels in Polen, Rumänien, Frankreich, der Schweiz, die den Emigranten als zeitweiliger Unterschlupf dienten. Dünnes Luftpostpapier, meist eng mit der Maschine beschrieben, um Platz und Porto zu sparen, wird bevorzugt. Peinlich genau und gut leserlich wird die jeweilige Anschrift des Senders angegeben, um dem Empfänger den Aufenthaltsort mitzuteilen -- das ist den Schreibern wichtig, um sich in der Krisenzeit nicht aus den Augen zu verlieren.

Die Lektüre bringt Banales, Profundes, stilistisch Unverwechselbares. Verschiedene Generationen, Religionen, politische Ansichten kommen im Freundeskreis des Ehepaars Werfel brieflich zu Wort. Poststempel aus aller Herren Länder markieren die Umschläge; nur aus Deutschland und Österreich sind keine darunter. Stilzüge vertrauter Autoren, aber doch anders als in ihren Büchern und Gedichten: persönlicher, hastiger, schlampiger -- unmittelbarer? Durch das Netzwerk der Vielfältigkeit einzelner Stimmen schimmert doch immer wieder der gemeinsame Nenner der Emigration durch. Man drückt sich verschieden aus, teilt aber das gleiche Dilemma. Immer neu wird die Schwierigkeit des Arbeitens im Exil diskutiert, das Gefühl, in der Fremde geistig den Boden unter den Füßen zu verlieren. Dazu kommt die Sorge um die Daheimgebliebenen, die Ausgewanderten, die Heimat Europa, die abendländische Kultur. Bedeutende Denker des 20. Jahrhunderts diskutierten brieflich, was sie in den Krisenjahren des Zweiten Weltkrieges bewegte. Es entfaltet sich ein Bild der Humanität am Rande des Abgrunds, das den Leser bewegt. Die Werfelsche Briefsammlung ist ein ästhetisches Konglomerat der Zeit; eine vielfältige, breit gefächerte Collage aus Sprachkunstwerken, Realien, Geschichtsdokumenten und Bekenntnissen. Die thematischen Schwerpunkte der Korrespondenzen sollen im folgenden Abschnitt erarbeitet werden. In der Auswahl der Briefzitate soll sowohl die Heterogenität der verschiedenen Persönlichkeiten und Erfahrungen, als auch die Homogenität der von den Emigranten gewonnenen Haltungen und Einsichten über die Problemkreise Arbeit, persönliche Sicherheit, kollektive Verantwortung, und Geschichtserfahrung demonstriert werden.

3. Schriftstellerkorrespondenzen im Exil -- eine Phänomenologie

Der Katalog über die Schriftsteller, die mit dem Ehepaar Werfel Briefwechsel führten, liest sich wie ein "Who is Who" der deutschen Exilliteratur. Es gibt also auch Mitte des 20. Jahrhunderts noch Beispiele langfristig florierender Dichterkorrespondenzen. Sind Exilbriefe im Hinblick auf die Thesen vom Untergang der Briefliteratur als Sonderfall zu bewerten? Ausführliche Arbeiten zur Theorie des Exilbriefes fehlen noch. Wellek und Jappe räumen zumindest ein, daß das Exil einen Nährboden für das Briefeschreiben bietet: "Die Heimatlosen haben dem Brief- und Tagebuchschreiben einen gewissen, vielleicht letzten Aufschwung gebracht" (Wellek 345). Albrecht Goes erweitert die bisher angeführten ästhetischen Kriterien moderner Briefliteratur um einen Aspekt, der für die Analyse von Exilbriefen besonders relevant ist:

Und doch: Briefe, wirkliche Briefe werden geschrieben. Ihre Behaglichkeit haben sie eingebüßt, aber die Unbedingtheit haben sie gewonnen. Sie sind vielleicht nichts als Bericht, atemloser Ereignisbrief. Sie haben keine Zeit mehr, sich zu ergehen in den Anlagen des Gefühls wie die Briefe von ehedem, sie sind nüchtern und karg, Briefe des Hungers, der Not, der Schicksalsfracht. Sie rennen über die Seiten hin, kaum, daß Komma und Punkt sich einschieben können an ihren Platz. Sind sie schön?... sie sind schön. Denn man glaubt zu wissen, was sie für den, der sie schreibt, bedeuten. Sie bedeuten eine Heimat. Alles ist unsicher, fragwürdig ist alles: aber hier, da er nun schreibt, da er nun dieses ferne Du . . . anredet und sich nahe macht, hier hat er noch einen letzten, unversehrten Bezirk. (Goes 64-65)

Für Goes, der diesen Aufsatz einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb, ist nicht länger Muße Voraussetzung für das Schreiben von guten Briefen, sondern das Gegenteil von ihr: eine extreme Lebenssituation wird verlangt, die den Schreibenden dazu veranlaßt, Kontakt mit vertrauten Personen aufzunehmen. Goes schließt richtig, daß das Wegfallen der Muße einen Bruch nicht nur im Inhalt, sondern auch in der äußeren Form des Briefes, bewirkt. Statt mit sorgfältig vorgeschnitten Federn wird jetzt mit Bleistift, Kugelschreiber und Schreibmaschine geschrieben (Goes 64).

3.1. Schrift als Spiegel der Aussage

Goes´ Beobachtungen bezüglich des veränderten Erscheinungsbildes moderner Briefe trifft auf die Korrespondenzen der Werfel-Sammlung zu. Die äußere Form der Briefe spiegelt mitunter Zäsuren im Leben des Autors. Umbrüche in den Lebensumständen von Schriftstellern auf der Flucht sind für den Leser an den äußerlichen Details der Briefe zu erkennen. Der österreichische Dramatiker Franz Theodor Csokor, einer der rastlosesten Emigranten, der, immer wieder vertrieben, quer durch Europa zog, dürfte bei der Flucht aus Bukarest seine Schreibmaschine, deren Schriftbild zuvor alle seine Briefe geprägt hatte, nicht gerettet haben: plötzlich gehen ihm die Umlaute aus. Die neue Maschine verfügte offensichtlich nicht über deutsche Schriftzeichen, und Csokor versuchte, sich zu behelfen: zunächst setzt er die Umlaute mit Bleistift mit der Hand ein, um schließlich einige Wochen später auf Zwielaute umzusatteln. Den Umlaut hat er erst nach dem Krieg zurückbekommen, wie seine späten Briefe an die verwitwete Alma Mahler-Werfel zeigen. Csokor erwähnt das Mißgeschick mit der Schreibmaschine nicht in seinen Briefen, aber es ist sichtbar durch die Änderung des Schriftbildes. Ein Detail in der Collage einer Exilbriefsammlung: Zeilen, verfaßt ohne die vertrauten Schriftzeichen -- man mußte eben Kompromisse schließen.

Hingegen schreibt Fritz von Unruh, der dank früher Emigration einen festen Wohnsitz in New York hatte, auch inmitten der amerikanischen Großstadtgesellschaft beharrlich weiterhin seine Sütterlinschrift, als sei die Zeit stehen geblieben: schwarze Tinte mit steilen Haarstrichen und imposanten Schnörkeln. Obwohl sich Unruh in seiner traditionellen, fast archaischen Schrift ein Stück der alten Welt zu bewahren schien, hatte er keine Illusionen darüber, daß eine neue Ära angebrochen war: "Wir ertragen dieses Dasein nun sieben Jahre" (Unruh / 1940)2 schreibt er statt einer Anrede als Brieferöffnung im Jahre 1940. Die Unbehaustheit, die Fritz von Unruh in dieser Zeit und Welt empfand, das Gefühl, sich nicht mehr mit seiner Zeit identifizieren zu können, kommt auch in einem späteren Brief zum Ausdruck: "Ja, die Last und Plage dieser Zeit umnagt das Herz. Es ist nicht leicht, den Einklang mit dem Puls des Schöpfers zu finden" (Unruh / New York, 15.1.1944 / FW). Die nicht mehr zeitgemäße Schrift entspricht hier dem ambivalenten Empfinden des Autors.

Anders als im Falle Unruhs weisen die Handschriften mehrerer in den USA lebender Emigranten innerhalb von wenigen Jahren starke Veränderungen auf. Viele Autoren der älteren Generation benützen, wie Unruh, Ende der dreißiger Jahre noch immer die altdeutsche Schreibschrift. In Amerika wird sie als Merkmal kultureller Divergenzen problematisch, da die Amerikaner die alten deutschen Schriftzeichen nur schwer lesen konnten. Schließlich sattelten die meisten Schriftsteller um und ersetzten die alten Zeichen durch gängige, in Amerika leichter lesbare Buchstaben -- kulturelle Anpassung im Vollzug.

3.2. Das Problem der Arbeit

Die Anpassungsfähigkeit an eine neue Mentalität und ungewohnte Lebensumstände in der Emigration ist bei den ausgewanderten Schriftstellern erwartungsgemäß verschieden stark ausgeprägt. Trotz der Notwendigkeit, sich finanziell über Wasser zu halten, hatten viele Autoren keine Möglichkeit, im Ausland zu veröffentlichen. Die Suche nach Broterwerb wurde zur Priorität für manchen, der im Exil am Rande des Existenzminimums stand. Kurt Pinthus etwa mußte sich dazu überwinden, Werfel um ein Darlehen zu bitten:

Wie Sie vielleicht gehört haben, gelten gerade im akademischen Feld während der letzten Monate die refugees als Pariahs. Ich habe persönlich in dieser Hinsicht schreckliche Dinge erlebt, fast schlimmere als in Deutschland während der Zeit, als es sich in ein Naziland verwandelte. Mir ist . . . meine kleine regelmäßige Einnahme völlig gestrichen worden, so daß ich überhaupt nicht weiß, was . . . aus mir werden soll. (Pinthus / New York / 27.8.1941 / FW)

Das Problem, die künstlerische Arbeit erfolgreich in der Emigration fortzusetzen, ist ein häufiges Diskussionsthema in Exilbriefen. Ganz untypisch sind die Energie und der Optimismus, die der in Kalifornien lebende Regisseur Max Reinhardt an den Tag legte. Voll Tatendrang beschreibt er ein ambitioniertes Projekt, das er in der geplanten Größenordnung letztendlich doch nicht verwirklichen konnte:

Ich habe den Plan für ein Theater gezeichnet und ihn einer namhaften Baufirma vorgelegt. . . . Es ist natürlich nichts als ein Gehäuse und hat nur einen Luxus: Platz, Platz für alle Wunder, die man sich ausdenken kann. . . . Wie immer: das nackte Leben ist heute hier herrlicher als irgendwo in der Welt. Wenn man es auch manchmal mit dem Zauber des wirklichen Theaters bekleiden könnte, müßte man singen: verkaufts mei Gwand, i fahr in Himmel! (Reinhardt / 29.10.1941 / FW)

Die meisten der in der Sammlung vertretenen Emigranten empfanden, anders als Reinhardt, ein gestörtes oder zumindest befremdendes Verhältnis zu ihrer Arbeit. Das Medium der schriftstellerischen Arbeit, die Sprache eines in der Welt geächteten Volkes, wurde zum Dilemma. Ein Brief, in dem Berthold Viertel über seine Gedichte spricht, ist bezeichnend für die Depressionen und Zweifel am Sinn der Arbeit: "Die armen sind und werden Tag für Tag in einer Geheimsprache geschrieben, der deutschen, vor der sich die Welt fürchten gelernt hat, ja mehr als das: graulen" (Viertel / New York / 9.11.1940).

Zur Veränderung der Lebensumstände im Exil und zur Schockerfahrung des Zweiten Weltkrieges kommen also noch die Schwierigkeiten, in der Emigration deutsch zu schreiben und zu publizieren. Viertel bedient sich des Begriffs "Geheimsprache" und drückt damit einerseits die Affinität zu anderen Emigranten, die sich des selben "Codes" bedienten, andererseits die Isolation vom anderssprachigen Lesepublikum, aus. In der Emigration hatten -- bis auf wenige Ausnahmen wie Thomas Mann, Franz Werfel und Lion Feuchtwanger -- selbst die etablierten Autoren der deutschen Literatur Probleme, Leser und Verleger zu finden, während die daheimgebliebene deutsche Leserschaft ohnehin als Rezeptionsgruppe wegfiel. Emigrationsdichter befanden sich auf einer künstlichen Sprachinsel und Briefe boten eine Möglichkeit, die sprachliche Isolation zu überbrücken, Meinungsaustausch mit Intellektuellen der alten Heimat zu pflegen, neue Einsichten zu gewinnen sowie Arbeitsimpulse zu empfangen. Es war nicht ungewöhnlich, daß Exilschriftsteller mit langen Schaffenspausen zu kämpfen hatten, wie es die Briefe Carl Zuckmayers and Franz Werfel belegen. Oft wurde gerade dann der Brief zum schöpferischen Ersatz; man schrieb Briefe, wenn man mit der Arbeit nicht recht weiterkam. Eine Tendenz zum "Untertauchen", zum Vegetieren, Vergessen, Beiseiteschieben der Schwierigkeiten kommt nicht selten in den psychischen Extrempolen Euphorie und Depression zum Ausdruck. So verfolgte Erich Maria Remarque zwar besorgt die politische Lage in Europa, ließ sich aber trotz des Grauens in der alten Welt nicht davon abhalten, das Leben in vollen Zügen (dies, übrigens, buchstäblich -- seine Briefe zeugen von schwerem Alkoholismus) zu genießen. Arbeit ersetzte er durch Sinnenleben:

Die Zeit stürzt, soeben haben sie Mussolini rausgeschmissen, sicher eine direkte Folge der politischen Tätigkeit der Thomas Mann Ges.m.b.H. . . . ich . . . werde vermutlich nicht vor November nach Hollywood kommen . . . Dann werde ich Wein und Schnaps und Bücher rasch zusammenpacken und eiligst zurücksausen. Warum? . . . Der Wind riecht nach Erdbeeren, aus dem Asphalt blühen Kamelien, die Horizonte singen und unter der wilden Hysterie blauester Himmel ist jemand wieder achtzehn Jahre alt geworden und vergeudet seine Zeit nicht damit, Gefühle in Buchkonserven einzumachen (dies sei nicht wider Franzen!), sondern sie lieber frisch vom Strauch zu fressen. (Remarque / New York / FAMW)

Am anderen Ende des psychischen Spektrums stand der schwer depressive Stefan Zweig, der drei Monate vor seinem Selbstmord den Freunden noch einmal die Hoffnungslosigkeit seiner Lage zu veranschaulichen suchte:

. . . ich hatte in Amerika . . . einen regelrechten seelischen breakdown. Der tiefste Grund war der, daß ich die Identität mit mir selbst nicht mehr fand in all den Absurditäten, die uns die Zeit auferlegt -- Schriftsteller, Dichter in einer Sprache, in der er nicht schreiben darf, im andern Land abwechselnd feindlicher Ausländer und Bürger . . . losgelöst von allem, was ihm Heimat war. . . . Wirst Du meinen geheimsten Wunsch verstehen: nicht nur zu vergessen, sondern auch für eine Zeit vergessen zu sein? . . . Noch einmal wieder zurück in das wahrhaft Anonyme . . . Nur vegetativ leben, ein paar Monate, inmitten einer vorbildlich schöpferischen Vegetation. (S. Zweig / Petropolis, 20.11.1941 / FAMW)

Die Mehrzahl der mit dem Ehepaar Werfel korrespondierenden Autoren versuchte zumindest, weiter zu arbeiten. Viele verspürten eine Mission zu schreiben; wenigen fiel das Schreiben leicht. Bewunderung für den arbeitenden und publizierenden Werfel, dem es gelang, größere Werke in der Emigration zu verfassen und erfolgreich zu publizieren, klingt in vielen Briefen durch. So beglückwünschte Ernst Lothar Werfel zur Fertigstellung seines Romans Der veruntreute Himmel: "Es ist die tiefste Niederlage Hitlers, daß ein Dichter sich in der Emigration zu solcher geistigen, seelischen und gestalterischen Höhe aufschwingen konnte" (Lothar / New York, 21.10.194 / FW). Leo Perutz schrieb über Das Lied der Bernadette: "Ich halte es für bedeutsam und richtig, daß dieses Buch ein Jude geschrieben hat, - so wie ich es für richtig hielte, wenn die epische Klage über das untergegangene europäische Judentum einen nichtjüdischen Gestalter fände" (Perutz / Tel-Aviv, Juli 1944 / FW).

Schriftsteller, die in der Emigration weiter tätig waren, fühlten sich isoliert, zurückgesetzt, und zweifelten am Sinn ihrer Arbeit. Ihre Briefe sind zum einen Bekenntnisse an Kollegen, die in einer ähnlichen Notlage waren, zum anderen Versuche, einen Rest von Resonanz für eine Literatur zu finden, die kaum noch Leser hatte. Man rezensierte und rezipierte einander und hielt behelfsmäßig einen literarischen Salon, über Kontinente hinweg, aufrecht. Viele arbeiteten für die Schublade, was besonders ehemals etablierten, an Anerkennung gewöhnten Autoren, wie Max Brod, Sorge bereitete. Brieflich teilte er seine Angst mit, man habe ihn "außerhalb Palästinas nun schon ganz vergessen" (Brod / 17.8.1943 / FW).

Leo Perutz wiederum versuchte, den Krieg und das literarische Tief mit Humor zu überbrücken:

Ich schreibe meine Bücher mit der gleichen Plage und dem gleichen Vergnügen wie vorher; vermutlich für meinen Schreibtisch, der sich als mein verständnisvollster Verleger erwiesen hat. Und da man auch ein Hobby haben muß, so bin ich in Trödlerläden und Fellackendörfern hinter antiken Ausgrabungen her. . . . Und mit der Jagd auf diese Dinge vergeht mir der Krieg. Ein Fortschritt! Im letzten Krieg habe ich ausschließlich Läuse gejagt. (Perutz / Tel-Aviv, 2.7.1941 / AMW)

Auch Arnold Zweig sah die Kriegsjahre als Übergangszeit, in der es zu beobachten, zu sammeln und weiter zu arbeiten galt. Die große Dichtermission lag für ihn aber in der Aufarbeitung der Misere, wenn der Krieg erst einmal vorbei war: " . . . dabei kann man planen, erwägen, entwerfen, warten und hoffen. Wir erleben den Untergang unserer Feinde, der Riesenberg von Müll stürzt ein, die Lawine wird Deutschland zuschütten und uns große Arbeit lassen, es wieder freilegen zu helfen" (A. Zweig / Haifa, 30.11.1939).

Seine Entscheidung für eine abwartende Haltung reflektiert die brieflichen Diskussionen um die Frage, ob, was und wie in Kriegszeiten geschrieben werden kann und soll.

Immer neue Todesnachrichten wirkten sich vernichtend auf die Arbeitsmoral der Exilanten aus. Wieder scheint Werfels Fähigkeit, trotz aller Widerstände tätig zu bleiben, auf die Kollegen Eindruck zu machen und aufmunternd zu wirken. So versuchte etwa Carl Zuckmayer, sich trotz einer Inspirationskrise an dem Freund ein Beispiel zu nehmen:

Wenn ich daran denke, wie wir in Paris vorm Café Pierre saßen, an dem heißen und staubüberwölkten Abend nach Ödöns3 Begräbnis, und in unseren Cognac hinein stotterten, was uns passiert ist und was uns bevorsteht, so kann ich Dir nur sagen: Du hast es überwunden. Schöpferisch überwunden. Das ist ein beglückendes, ein stärkendes Beispiel. (Zuckmayer / Vermont, 21.1.1942 / FW).

Doch sechs Wochen später, nachdem die Nachricht vom Stefan Zweigs Selbstmord nach Vermont gelangt war, wirkt Zuckmayers Ton verzweifelt. Er klammert sich an Strohhalme und spricht sich in einem Brief an Werfels Mut zu:

Sein Tod hat uns furchtbar auf den Schädel gehauen. . . . Wir konnten . . . die Gespenster der Hoffnungslosigkeit, die aus seinem Grab flatterten, nur schwer vertreiben. Aber -- sagten wir immer in diesen Tagen . . . Der Franz hat die Bernadette geschrieben. Nichts ist verloren. Nichts ist hoffnungslos. Es gibt noch Werte, unzerstörbare und feste, . . . die uns tragen und halten können. Alsdann, bestellen wir unseren Acker. (Zuckmayer / Vermont, 8.3.1942 / FAMW)

Grundlegende Probleme, mit denen Zuckmayer während der Emigration zu kämpfen hatte, offenbaren sich in diesen Zeilen. Die Hoffnungslosigkeit, von der er spricht, dürfte ein komplexes Dilemma gewesen sein. Daß "Zuck", wie ihn seine Freunde nannten, bei seiner schriftstellerischen Tätigkeit nicht recht weiter kam und sich aus Verzweiflung darüber in den Alkohol flüchtete, zeigen briefliche Hilferufe seiner Frau an das Ehepaar Werfel. Angesichts der politischen Katastrophe schienen die "unzerstörbaren Werte", von denen Zuckmayer spricht, als Abstracta in weite Ferne gerückt. Er glaubte zwar, sie in Werfels Werk gestaltet zu sehen, doch die Kapitulation Stefan Zweigs traf Zuckmayer schwer. Daß das Bestellen des Ackers eine Metapher der Dichterberufung bedeutet, liegt auf der Hand -- und doch verbirgt sich ein Doppelsinn hinter der Bemerkung. Das vegetative Dasein in der Vermonter Natur, fern von intellektueller Verantwortung, das auch in den Briefen von Zweig und Remarque als verlockend dargestellt wurde, zog auch Zuckmayer an, der ja als Farmer einen Bauernhof betrieb. Die langen kalten Winter, in denen meterhoher Schnee die Familie von der Umwelt abschnitt, werden in Zuckmayers Briefen als heilende Isolation beschrieben; ebenso die körperliche Feldarbeit und die anstrengende Versorgung der Tiere. Der Künstler mußte neue Prioritäten setzen: "Diese Jahre freiwilliger Absonderung haben für mich viele Klärungen geschaffen, innere und äußere", schrieb er einige Jahre später an Werfel (Zuckmayer / Vermont, 26.8.1944 / FAMW). Die Briefstellen, in denen Zuckmayer über das Leben in der Emigration spricht, sind voll Ambivalenz. Vermont wurde ihm zwar zu einer zweiten Heimat, doch das Grauen draußen ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Seine Briefe lesen sich wie Apelle an sich selbst, durchzuhalten, das Emigrantenleben zu meistern und neue Lebensinhalte zu finden, ohne dabei die künstlerische Mission zu vernachlässigen.

3.3. Persönliche Sicherheit und kollektive Verantwortung

Zu wissen, daß man selbst in Sicherheit lebte, während daheim der Krieg tobte, wurde von den Emigranten als befremdend empfunden. "Es sieht grauslich aus in der Welt. Aber hier ist ein herrliches Osterwetter" (Zuckmayer / New York, 1941 / FAMW) steht bei Zuckmayer zu lesen. Der sensible Franz Theodor Csokor, in dessen Briefen stets die Sorge um andere im Mittelpunkt steht, wurde in seinem Quartier in Bukarest von Gewissensbissen geplagt, Verwandte und Freunde in Wien zurückgelassen zu haben: "Weißt Du, daß mir manchmal dieser Friede hier unverdient für mich vorkommt?" (Csokor / Bucarest, 28.5.1940 / AMW). Daß die Entscheidung, auszuwandern, richtig war, wird jedoch in keinem seiner Briefe angezweifelt. Die leisen Schuldgefühle, die aus den Briefen Csokors und Zuckmayers sprechen, weisen im Ansatz bereits auf die späteren Auseinandersetzungen zwischen Exilanten und Schriftstellern der "Inneren Emigration" voraus. Csokor stellte bereits im Frühjahr 1940 fest, daß der Schritt in die Emigration für ihn die einzige ethisch vertretbare Entscheidung bedeutete: "Jeder Himmel ist gut, unter dem wir die Lüge nicht billigen und dem Unrecht nicht zusehen müssen. . . . Denn was man anderswo auch haben mag, . . . es gibt nur ein unwürdiges Dasein, das wegzuwerfen lohnt: das ist der Zwang, die Lüge und das Unrecht billigen zu müssen" (Csokor / 17.3.1940 / AMW).

Nach Kriegsende tauchte aus dem Lager der "inneren" Emigranten der Vorwurf auf, die Auswanderer hätten das Leiden in Europa aus sicherer Ferne beobachtet und die eigene Haut gerettet. Carl Zuckmayers Einschätzung der enorm kräfteraubenden seelischen Belastung, die das Leben im Exil mit sich brachte, kommt in einem weiteren Kommentar zum Selbstmord Stefan Zweigs zum Ausdruck: "Natürlich hatte er recht, als er schon im Jahr 34 Österreich verließ -- aber wir hatten auch recht, erst recht recht, daß wir noch vier Jahre da geblieben sind und jedenfalls aus dieser Zeit und dem Glauben, der Liebe und der Hoffnung, die man dabei eingesetzt hat, mehr Kraft für unser jetziges Dasein gewonnen haben" (Zuckmayer / Vermont, 8.3.1942 /FAMW).

3.4. Geschichte im Brief

Berichte und Diskussionen geschichtlicher Vorfälle sind selten in den Briefen der Werfelschen Sammlung enthalten. Als Zeugen des Zweiten Weltkrieges hätte es für sie naheliegend sein müssen, die Gelegenheit zu nutzen, brisante Ereignisse brieflich zu besprechen. Die Erklärung für das Fehlen historischer Berichterstattung dürfte darin liegen, daß Rundfunk, Telefon und Telegramm unmittelbarere Kommunikation ermöglichten, und Briefe zum Austausch faktischer Informationen nicht mehr notwendig waren.

Selbst Briefe, die kurz nach den politischen Wendepunkten des Zweiten Weltkrieges geschrieben wurden, enthalten statt konkreter Hinweise auf die historische Entwicklung eher sentenzhafte, allgemeine Aussagen. Die Kenntnis der politischen Lage wurde vorausgesetzt, eine narrative Beschreibung der Ereignisse entfällt. Auch eine gewisse Schwellenangst, das Ungeheuerliche der Zeitgeschichte zu Papier zu bringen, ist spürbar. Ein Brief von Friedrich Torberg, wenige Tage nach dem Angriff auf Pearl Harbor geschrieben, zeigt diese Einstellung:

"Durch den abermaligen Dazwischentritt der Weltgeschichte sind die Dinge ein bißchen durcheinander geraten und ich weiß jetzt nicht genau, wofür ich mich entschuldigen soll: dafür daß ich Ihnen erst jetzt schreibe, oder dafür, daß ich Ihnen gerade jetzt schreibe" (Torberg / 15.12.1941 / AMW). Franz Theodor Csokor muß zu Metaphern greifen, um sich überhaupt zur Lage der Welt äußern zu können. Als "Träume aus einem abgehackten Kopf" (Csokor / Polen, 16.1.1939 / AMW) bezeichnet er seine Pläne für die Zukunft. Der Schock über den Anschluß Österreichs drückt er in einem biblischen Simile aus, das an den sich vorwärts bewegenden und dabei zurückblickenden Engel der Geschichte aus der neunten Geschichtsthese von Walter Benjamin erinnert (Benjamin 255): "Wenn ich zurückgeschaut hätte, wäre es mir ergangen, wie Lots Weib, die zu einer Salzsäule erstarrte, zur Salzsäule ihrer Tränen um das Verlorene. Wir haben alles vor uns! Auch die Toten? Ja, auch sie, -- sie sind ganz vorne" (Csokor / 17.12.1938 / AMW).

Der Satiriker Torberg rettete sich angesichts der Misere in den Humor und verstand es stets, die Weltgeschichte in Anekdoten zu veranschaulichen. In pointierten Vignetten nimmt er das Zeitgeschehen unter die Lupe. Man merkt ihm die Traurigkeit und Sorge um die politische Lage an, doch schon nach wenigen Zeilen des Lamentierens verfällt er stets in seinen unverwechselbaren Blödelton. So etwa in einem Bonmot, das Werfels die Übersiedelung von New York an die Westküste nahelegt: "Die Vorteile der Californei: sie ist genau doppelt so weit vom nächsten Feind entfernt wie die Ostküste" (Torberg / 15.12.1941 / AMW). Die Gerüchte über angebliche Fremdenfeindlichkeit und Verhaftungen in Kalifornien rückt er mit einer Anekdote ins rechte Licht:

Die Verhaftung . . . betraf den armen Kowalsky, der natürlich unschuldig wie ein Rebhuhn ist und ebenso blöd wie ein solches; er nützte nämlich den ersten Blackout dazu aus, mit seinem Teleskop den Himmel abzusuchen -- und jetzt geh und mach einem noch dazu nervösen Amerikaner begreiflich, daß er wirklich nur die Cassiopeia gemeint hat und tagsüber wirklich Salami verkauft. (Torberg / 22.12.1941 / AMW)

Torberg ließ sich keine Gelegenheit entgehen, gegen Hitler oder die Kommunisten zu sticheln: "Ich hab sehr gern, daß er (Hitler) schon auf innere Stimmen hört (das Deutsch möcht ich hören, in dem die reden), demnächst wird er auch noch Gesichte haben, und kurz darauf, im Gegenteil, keinen Kopf mehr (den ihm nur leider die Falschen abschlagen werden). Die Umwandlung des Berchtesgadener Sommersitzes in ein Heim für galizische Flüchtlingskinder steht bevor" (Torberg / 22.12.1941 / AMW). Torbergs polemische Kommentare zur Politik sind mit der schlafwandlerischen Sicherheit des routinierten Humoristen formuliert. Selbst in Momenten tiefster Zweifel und Resignation verlassen ihn sein Humor und sein Sinn für treffende Pointen nicht. So rechnet er beispielsweise kurz nach Kriegsende mit Opportunisten und Sympathisanten der Kommunisten ab:

Nach und nach breche ich mit all diesen kostbaren Zeitgenossen, die also für Stalin sind, weil er "doch nichts gegen die Juden hat" (was auch nicht wahr ist) -- und von denen ich infolgedessen annehmen muß, daß sie auch für Hitler gewesen wären, wenn er nichts gegen die Juden gehabt hätte. Nach und nach breche ich lautlos den Verkehr mit ihnen ab. Oder, wie der greise Schachspieler Tennenbaum im Café Central sich ausdrückte, wenn er eine Partie aufgab: "ich bin es miede, mit wilde Tiere freindlich zu sein." (Torberg / 24.6.1945 /AW)

Wenn in Emigrantenbriefen überhaupt Spekulationen und Prognosen zur Lage der Weltgeschichte zu lesen sind, erweisen sie sich als recht kurz und beiläufig. Am bewegendsten sind Äußerungen zu privaten Plänen, die von der politischen Entwicklung durchkreuzt worden sind. Der Schreiber ist im Unklaren darüber, was ihm bevorsteht, wie etwa Ödön von Horváth, der zwei Monate vor seinem Unfalltod 1938 das Ehepaar Werfel zuversichtlich von seinen Plänen, sich nach Paris abzusetzen, in Kenntnis setzte (Horvath / 23.4.1938). Das geplante Treffen in einem Pariser Hotel fand bekanntlich nie statt. Horváth wurde in Paris auf dem Weg zu Werfels von einem umstürzenden Baum erschlagen.

Carl Zuckmayer ahnte, und konnte doch niemals wissen, wie prophetisch sein ironischer Gruß an Alma und Franz Werfel war, als er sich im Frühling 1939 brieflich mit den Worten "falls also inzwischen die Welt nicht untergeht, werden wir uns wohl bald wiedersehen" verabschiedete (Zuckmayer / 15.4.1939 / FAMW). Sein nächster Brief trägt das Datum 9. September 1939. Die Welt hatte begonnen, unterzugehen.

Die Extremsituation, in der sich emigrierte Schriftsteller während des Zweiten Weltkrieges befanden, belebte die deutschsprachige Briefkultur in einer Zeit, in der das Genre der Briefliteratur bereits totgesagt war. Exilkorrespondenzen hielten nicht nur als reine Zweckbriefe Kontakte aufrecht, sondern behandelten überdies humanitäre und ästhetische Fragen der Zeit. Als persönliche, historische und literarische Dokumente stellen die Dichterbriefe der Emigration eine relevante Komponente der deutschen Exilliteratur dar. Es zeigt sich, daß nicht nur im Sinne Hillards Muße und Zeit zur Kontemplation die Voraussetzungen einer literarischen Briefkultur sind (Hillard 342), sondern daß gerade in der Notlage der Emigration eine neue, innovative, Briefliteratur florierte. Die äußere Form der Briefe spiegelt die oft ärmlichen Lebensumstände von Dichtern auf der Flucht und gibt damit Einblick in die Existenznot des Exildaseins. Inhaltlich verleiht die Diskussion über die Schwierigkeit des sinnvollen Arbeitens in fremder Umgebung, die sprachliche Isolation und das Grauen angesichts der historischen Katastrophe der Exilbriefliteratur eine unverwechselbare, besonders ausdrucksstarke Qualität, die das Urteil vom Niedergang der Briefkultur im 20. Jahrhundert revidiert.

Anmerkungen

1 Carl Zuckmayer an Franz und Alma Mahler-Werfel, ohne Ortsangabe, 15.4.1939

2 Nicht alle Briefe im Alma Mahler-Werfel Nachlaß sind datiert und mit Ortsangaben versehen. Sofern Angaben verfügbar sind, sind sie möglichst vollständig in der folgenden Form angegeben: (Briefautor / Ort, Datum / Initialen des Empfängers: FW für Franz Werfel, AMW für Alma Mahler-Werfel, FAMW für Briefe an das Ehepaar Werfel)

3 Gemeint ist der österreichische Dramatiker Ödön von Horváth.

Literaturverzeichnis

Adorno, Theodor W. "Nachwort zu Deutsche Menschen." Deutsche Menschen. Eine Folge von Briefen. Hg. Walter Benjamin. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1962. 121-128.

Benjamin, Walter. "Über den Begriff der Geschichte." Illuminationen. Frankfurt/Main: Suhrkamp: 1995. 251-261.

Bürgel, Peter. "Der Privatbrief. Entwurf eines heuristischen Modells." Deutsche Vierteljahresschrift 50 (1976): 281-297.

Goes, Albrecht. "Über das Briefeschreiben." Von Mensch zu Mensch. Frankfurt/Main: Fischer,

1952.

Hillard, Gustav. "Vom Wandel und Verfall des Briefes." Merkur 23 (1969): 342-351.

Jappe, Georg. "Vom Briefwechsel zum Schriftwechsel." Merkur 23 (1969): 351-362.

Mann, Golo. "Der Brief in der Weltliteratur." Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch 1975. Heidelberg: Lambert Schneider, 1976. 77-99.

Müller, Wolfgang. "Der Brief." Prosakunst ohne Erzählen. Hg. Klaus Weissenberger. Tübingen: Niemeyer, 1985. 67-87.

Rinser, Luise. "Der Brief des Schriftstellers." Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch 1975. Heidelberg: Lambert Schneider, 1976. 107-112.

Wellek, Albert. "Zur Phänomenologie des Briefes." Die Sammlung 15 (1960): 339-355.


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