glossen: rezensionen


Volker Braun, Die vier Werkzeugmacher. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1996.

Volker Brauns ursprüngliche Begeisterung, dann Ernüchterung dem sozialistischen Experiment gegenüber, ist dem Kenner von DDR-Literatur bekannt. Trotzdem hielt er bis zum Ende des realen Sozialismus zäh an der Utopie selbst fest. Seine nach der Wende geschriebenen Werke und Essays zeigen, welchen Konflikten, selbstquälerischen Gedankengängen und neuen existentiellen Problemstellungen dieser Autor sich in der neuen Leistungsgesellschaft ausgesetzt sieht. Sein kürzlich erschienener Prosatext Die vier Werkzeugmacher, der Kleistsche Syntax mit Brechtscher Dialektik verbindet, ist ein solches Dokument, ist ein Wechselspiel zwischen Realität und Fiktion. Hier halten sich bei der Rückschau auf die DDR Sarkasmus und Ironie die Waage, und doch leuchtet noch immer das "Andere", das "Unvergeßliche", auf; eigentlich sollte man sagen "erneut", denn erwähnen in diesem Kontext muß man die Revisionen, die Braun parallel zu den Vier Werkzeugmachern an seiner "Unvollendeten Geschichte" (1975) vornahm. Nachdem er beim Studium seiner Akten in der Gauck-Behörde festgestellt hatte, daß die Stasiopfer dieser "realen" Tonbandgeschichte, Karin und Frank, selbst für die Stasi gearbeitet hatten, revidierte er 1996 diese Geschichte illusionslos zu einer "vollendeten" Geschichte, die sich in einem Land mit "absurder Existenz" abgespielt hatte. Als erneute Recherschen jedoch erwiesen, daß beide Informanten sich kompromißlos selbst aus ihren Verstrickungen gelöst und die DDR verlassen hatten, sah Braun den verfehlten Sozialismus erneut als die im Kern unbeschadete utopische Idee, die als Herausforderung in der neuen Marktgesellschaft fortwirkt. Diese Gedankengänge spielen auch in den Text Die vier Werkzeugmacher hinein.

Wie immer bei Braun handelt es sich bei den Vier Werkzeugmachern um einen anspruchsvollen, mehrschichtigen, von verfremdenden Sprachspielen durchdrungenen Text, in dessen Zentrum die Werkzeugmacherbrigade um den Brigadier Matthes steht: zur privilegierten Führungsschicht Gehörende, die sich in der miefigen DDR im gesellschaftlich stagnierenden Abseits befanden. In urplötzlich gewendeter Geschichte, in der neue Regeln und ein neues Menschenbild gelten, erlebt sich der seiner Identität beraubte Matthes als arbeitsloser "Wicht" in einem bisher unbekannten, eiskalten existentiellen Abseits. In dieser fremden Welt zu einer "anderen" Person erklärt - in einer inszenierten Komödie von ehemaligen Kollegen buchstäblich mit falschem Namen angeredet - glaubt Matthes irre zu werden und vor einem Abgrund zu stehen. Er fühlt sich als "Clown", an dem die Historie ihren höllischen Spaß hat, als die ausgegrenzte, aus ihrem Umkreis herausgetretene Kreatur schlechthin, der es anheimgestellt ist, "sich umzustellen" im "zerrissenen Weltall" [44] oder zu springen, denn "er stand am Abgrund; ein Schritt nur, ein Sprung, und sie würden das Höllengelächter hören ... [47]".

Brauns Geschichte gründet auf der italienischen Novelle Die Geschichte vom dicken Holzschnitzer, die mündlich und schriftlich überliefert ist und von Antonio Manetti im 15. Jahrhundert niedergeschrieben wurde. In dieser Vorlage wird einem Holzschnitzer von Künstlerfreunden ein übler Streich gespielt: in einem höllischen Prozeß der Ich-Demontage wird ihm eingeredet, er sei nicht mehr er selbst. Mit ähnlichen, sich auf die unmittelbare Wendegeschichte beziehenden Requisiten arbeitet Volker Braun. Er präsentiert Entlassene, Wiedereingestellte, Verlassene, sich verlassen Fühlende, die nicht mehr sie selbst sind.

Die Handlung schwingt zwischen den Polen heilender Komik und grellem Gelächter. Es wimmelt von Begriffen aus einem breitgefächerten Spektrum des Humors: Lachen, Lächeln, Grinsen, Feixen, Clown, Komik, Witz, Scherz, Höllengelächter, Spaß. Sie dienen in dieser tragikomischen Geschichte dem Zweck der Verfremdung, letztlich jedoch - so könnte man mutmaßen - der Aufhebung von Entfremdung, denn Lachen befreit, dient der Eliminierung der Ausgrenzung. Und so endet die Geschichte von den vier Werkzeugmachern "unvollendet", ähnlich den oben erwähnten Revisionen zur "Unvollendeten Geschichte: "Später, als sie freier die rohe Luft atmeten, an die sie gesetzt waren, sah man die dicken Männer selber lächeln. Und doch blieb etwas Dunkles und Ungeklärtes. Sie konnten nicht viel verloren haben, aber etwas Unvergeßliches, das nicht wieder zu kaufen war" [50-51]. Was bleibt, ist "unentwirrbares Garn, und auch Marxengels hätte es nicht ausgefitzt. Das mußte liegenbleiben, bis man den Faden fand [50]." Eine keineswegs gelöste Situation also, schon gar nicht in der rohen Luft der marktorientierten Leistungsgesellschaft.

Die neubelebte, letztlich als Herausforderung zu sehende Utopie, die in den Worten der lächelnden Werkzeugmacher anklingt, deutet auf das wiedergefundene Selbstbewußtsein und die Selbstachtung des Autoren Braun. Sie machen die zermürbenden Konflikte, die der reale Sozialismus hinterlassen hat, auch für all jene Leser nachvollziehbar, die diesen nicht erlebt haben. Und wer die Handlung nicht unbedingt in einem eingrenzenden deutsch-deutschen Kontext sehen will, der kann es tun, zeigt dieser an Kleist und Brecht erinnernde Text doch, wie schnell man seines Ichs verlustig gehen kann und wie schnell einem Menschen ein anderes Ich aufgezwungen werden kann.

Christine Cosentino
Rutgers University



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