glossen: romanauszug


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Jürgen Alberts: Vorbemerkungen zum Text

"Schreib'mir doch einen Roman mit dieser Figur", so begann die Sache. Obwohl es nicht der Anfang war.

Seit Jahren erzähle ich von J.B.Cool, dem immer bekifften Detektiv, der in meiner Heimatstadt Bremen sein Unwesen treibt. Er klaut Fahrräder und löst keine Fälle. Allerdings haben die es auch in sich: Einmal sollte er herausfinden, warum Werder Bremen so schlecht spielt, ein anderes Mal sollte er die vergrätzte Weser zurückholen, die sich aus Protest gegen Verschmutzung und PR-Tricks versteckt hielt. Jedes Jahr entsteht so eine Geschichte von Herrn Cool, mal als Auftrag, mal aus schier Schandudel, wie man auf missingsch sagt - aus purer Lust und Freude. (Missingsch ist die Bremer Variante des Plattdeutsch.)

"Schreib'mir doch einen Roman mit dieser Figur", sagte also der Verleger Haffmans. Und er sagte das eine ganze Zeitlang. Denn mir fehlte eine Idee. Und wenn man keine Idee hat, kann man auch keinen Roman schreiben. Nicht mal einen mit J.B.Cool. Aber eines Tages kam dann der Einfall.

Ein Plagiat. Das Vorbild war rasch gefunden. Raymond Chandlers "Der große Schlaf". Nicht nur Cineasten kennen den Film mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall. Und nicht nur Cineasten haben ihn zumeist nicht verstanden. Weil man leider der Handlung kaum folgen kann. (Ich hatte ihn in Studenten-Zeiten mindestens dreimal gesehen. Und nie richtig verstanden.) Beim Roman ist es etwas anders, jedoch auch dort hat der große Chandler ein paar "Klippen" eingebaut. Nun mußte ich also Film und Roman nochmal genau studieren und dann... plagiieren. Und das hieß, nach Bremen übertragen, Handlungsfäden herausziehen, die ich benutzen wollte, Figuren bis zur Kenntlichkeit verfremden und einen neue Lösung des Falles erfinden.

Der Auszug aus dem 6.Kapitel, der hier abgedruckt ist, stammt aus dem Herzstück des Romans. Denn sowohl Autor und Hauptfigur (meines Vorbilds) treten plötzlich im Haschischnebel des J.B.Cool in Erscheinung. Bis zu diesem Kapitel kann der Leser, der entweder Film oder Buch, natürlich am besten beides kennt, viele Parallelen entdecken. Nach diesem Kapitel verlasse ich das wunderbare Vorbild und erzähle mit neuen Verknüpfungen den Roman zuende. (D.h. kurz vor Ende leihe ich mir noch mal eine Figur aus dem Film.)

Ist so etwas eigentlich erlaubt? fragten einige Rezensenten und verglichen Original mit Plagiat. (Weil sie den "heiligen" Chandler nicht gerne angetastet sahen.)

Erlaubt ist, was gefällt, soll mal ein größerer Dichter, namens Goethe, im "Tasso" geschrieben haben. Aber das war auch ein Plagiat. Der Satz findet sich in Dantes "Hölle". Ach was, er stammt von Tertullian und lautet auf Latein: Si libet, licet.

Jürgen Alberts: Auszug aus J.B.Cool

Bücher können niemals Pflastersteine sein, sagten die 68er, auch wenn sie noch so schwerwiegend sein mögen. Ein geworfenes Argument zählt eben mehr. Wer hätte je mit einem Keller-Roman eine klassenfeindliche Schaufensterscheibe erklirren lassen, mit einem Band Shakespeare ein Polizeirevier in Aufregung versetzt oder gar mit dem lyrischen Gesamtwerk von Benn den Wagen des Kanzlers angegriffen. Samt Chauffeur. Und doch werden die 68er noch heute dafür abgestraft, daß sie es nie versucht haben. Um so einen Vorgang handelte es sich diesmal jedoch nicht.

"Philip", rief ich, "Philip", auch schonmal: "Phil."

Meine kleine Sammlung von Pflastersteinen begann ich in Prag. Schöne, weiße handliche Steine, auch in Siena nahm ich einen mit, grau-schwarz gemustert, aus Paris holte ich gleich drei Stücke, historisch, vielleicht hatte Cohn-Bendit drauf gestanden. Als ich das erste Dutzend zusammenhatte, benutzte ich die Wurfgeschosse als Bücherständer. Am Regalende, gut sichtbar. Gelegentlicher Fremdeinsatz weiterhin nicht ausgeschlossen. Denn unter dem Pflaster liegt die Wunde. Und die kann in Big Germany nicht groß genug sein. Schluß jetzt.

"Phil", rief ich wieder, aber der Spiegel antwortete einfach nicht. Stellte sich taub. Als hätte er mich noch nie gesehen. Ich mußte ihn mal zur Reparatur schicken. Auch wenn er ein gutes Schnäppchen war. Und dabei heißt es doch immer, Spiegel lügen nie. Besonders nicht abends.

"Phil", ein letzter Versuch. Dann gab ich Ruhe. Vor dem Sturm.

Aus dem linken, unteren Fach holte ich meine ungarische Wasserpfeife, Marke: Rausch Gigant, bröselte besten Afghan aufs durchlöcherte Aluminium und nahm ein paar Züge, die der Verkehrsminister nicht aus dem Fahrplan streichen konnte, so sehr ihm an der Zerstörung des öffentlichen Verkehrs gelegen war. Huch, kam das gut. Gleich noch einen ICE hinterher. Die Lungen entspannten sich, die Zehen, der Magen schaukelte beruhigt und erregt in meinem Zwerchfell, der Kopf geriet in eine Umlaufbahn, dessen Gesetze Kepler erst noch entdecken mußte. Geschwindigkeit der Hirnrinden, Raserei und Denkgestürm.

Das Buch, das mein Assistent mir überließ, hieß: "Der große Schlaf" und war mir sofort so verdächtig.

Auf dem Titel stand als Autor: Chandler. Keine besonders gute Tarnung.Das Buch versetzte mich in miese Stimmung. Wut, völlig außer mir, Rage, obwohl mein Doc immer sagt, ich sei aggressionsgehemmt und könne deswegen kein Toupet tragen. Ich hätte zum Telefon gegriffen, wenn ich nicht so rot geglüht und vorschnell den Hörer in Brand gesetzt hätte.

Wie kam dieser Knilch von einem Schreiberling dazu, meinen gerade laufenden Fall zur Vorlage seines Romans zu nehmen? So ein fettes Stück Dreck? Hätte er nicht wenigstens bei mir anfragen können? Oder Tantiemen zahlen? Oder, was weiß ich denn. Ich mußte den Copyright-Henker bemühen, sein Scharfbeil zu schleifen. Am besten einen aus dem Stammhaus Brecht, die schlugen immer gerne voll zu. Das war doch eine echte Ungebührlichkeit. Lumpen allerorten, wohin man auch schaut.

Nochmal setzte ich Ungarn in Betrieb, um mir zwei weitere brennende Aschenereignisse haschischweise zu verpaschen. Huch, das kam besser.

Bei diesem Chandler heißt Lüders Sternwood, na gut, kein dummer Name. Strengwald wäre mir nicht eingefallen, muß ich zugeben. Sibylle nennt sich Carmen und Bettina Mrs. Regan, auch noch falsch geschrieben, o.k. gebongt. General Strengwald sitzt im Gewächshaus, krank, debil, kaum zu einem Genuß befähigt. Ging es meinem Ex-Lüders besser? Woher weiß dieser Chandler von meinem Fall?

Da hat ein Mann, zwei Männer?, zwei Töchter, oder doch nur eine?, und die machen so einen Unfug, daß er in seiner Not zu falschen Mitteln greift. Nur, daß er diesen Marlowe angestellt hat, das ist große Klasse.

Wieder war die Wasserpfeife erloschen. Ich mußte nachlegen. Zwei bis drei Brösel von diesem Wunderhasch reichen ja dem gewöhnlichen Euro-Kiffer aus, aber bei mir braucht es häufiger Nachschlag, wie in der Uni-Mensa, wo hungrige Proseminaristen mehrfach zur Ausgabestelle rennen. Ohne Essensmarke, versteht sich.

Nun war der Pegel erreicht, von dem die Gesundheitsministerin sagte: "Es gibt Grenzwerte, vor denen selbst wir kapitulieren müssen." Sie spielte damit auf ihren Blutzucker an. Oder ähnlich Grausiges.

Leider war ich zu faul zu schreiben, sonst hätte ich diesem Chandler sofort eine drohende Mahnung auf den Pelz gejagt: Lieber Chandler, wenn du dich nochmal an meinen Klienten vergreifst, dann komme ich persönlich rum und dann, gnade-dir-Literatur...

Es war ja niemals einfach, mit Büchern zu schießen, und selbst die Westernhelden wie Tom Mix haben da jämmerlich versagt, von John Wayne ganz zu schweigen, diesem Square-Dance-Denker. Aber es gibt Momente im Leben eines Autors, wo er sich sein letztes Werk an die Schläfe setzen sollte. Und abdrücken, versteht sich.

Noch einen langen Zug und ich stand hinterm kurzen Ziel.

Das Streichholz, Marke: Extra-Flame, spritzte Flammen, der Afghan glühte morgenrot, das Alu schimmerte buttergolden, der weiße Qualm schlug sich im Wasser nieder, wie ein Strudel in norwegischen Fjorden, Saltestraumen, dann kam der Genuß in meine Gurgel und gurgelte mich in die nächste Realität. Ich muß mich mal wiederholen dürfen: am opiaten Wesen wird die Welt genesen, soll einmal ein Lieblingsspruch der DADAisten gewesen sein.

Ohne die Tür aufzumachen, standen plötzlich zwei Männer in meinem Büro. Gleicher grauer Anzug, gleicher grauer Hut, unterschiedlich blaß gefärbte Gesichter, Schuhe in braun und grün, als hätten sie am Morgen nicht aufgepaßt. Aber beide in Schwarz-Weiß. Nix Color.

Der eine setzte sich. Wo sich die armen Bittsteller hinsetzen, wenn sie mir ohne Fortüne einen Auftrag zuschustern wollen.

Der andere ging mir sofort an die Wäsche.

"Du nimmst sofort die Finger aus meinem Fall, J.B. Ist das klar? Sonst lasse ich dir ein paar Eisenbahnbrücken auf den Kopf fallen, daß du glaubst, der Sommer sei zu Ende. Oder welche Jahreszeit du sonst bevorzugst."

Nun opponiere ich nur, wenn ich keinen doppelten Ohrwärmer erwarte.

"Du stehst schon lange auf der Abschußliste. Was heißt auf einer? Ich kenne mindestens sechs dieser Abschußlisten und immer ist dein Name ganz oben."

"Welche denn?" Das wollte ich schon ein bißchen genauer wissen.

Abschußlisten nennen die Franzosen, die zwischen Lyon und Dijon einen großen Unterschied machen, die kleinen, weißen Zettel, wo alle Feinde der Grand Nation verzeichnet sind, ob es sich da um Rainbow Warrior I bis III handelt, um algerische Freischärler oder gefälschte Camemberts. Immer wird irgendwas versenkt, verschüttet oder vergraben. Pour le Mérite soll der Schelm heißen, der dafür zuständig ist.

"Frag Joe Brody, der kennt die Namen und die jeweiligen Schießeisen, die auf dich gerichtet sind. Übrigens auf meiner Liste, da stehst du auch."

"Ich denke, Joe Brody ist hops. Weg. Ab. Unter dem Pflaster. Beim Primelnzählen. In den Rabatten. Kein Joe Brody mehr am Ort."

"Halt die schwachsinnige Klappe, J.B. Aber wer kann schon von einem billigen Kiffer mehr verlangen als dieses nichtssagende Gebrabbel."

Mit diesen ungehörigen Worten zog er eine Wumme hervor, die ich noch nie gesehen habe. Naher Osten, ferner Westen, mittleres Mexiko. Könnte aber auch reines Kaschmir sein, die haben da so Pistolen, die von hinten durch die Brust ins vordere Auge schießen. Da braucht man gar nicht selbst als Zielscheibe aufzutauchen. Die treffen jederzeit und immer.

"So viele Kanonen in der Stadt und so wenig Gehirn. Sie sind in den letzten Stunden schon der zweite, der mir über den Weg läuft und sich einbildet, er hielte die Welt beim Schwanz, nur weil er eine Wumme in der Hand hat", rezitierte ich, was ich gerade in Theos Leihgabe gelesen hatte. Literatur soll ja Menschenleben retten. Besonders meins.

"Hör auf mit dem Zitieren", rief der andere Mann schwarz-weiß aus seiner Ringecke, "das kommt dich teuer zu stehen."

Ich saß ja noch und hatte gar nicht damit gerechnet, daß er auch den Mund aufbekam, sah mir eher aus wie eine plattgeschlagene Hähnchenbrust kurz vor dem Grillen.

Die Wumme zielte direkt auf den Körperteil, den sich die Affen im Zoo am häufigsten kratzen.

"Soll ich meinen Freund sprechen lassen?"

"Welchen?" fragte ich zurück.

Manchmal ist es ja besser vor der Hinrichtung noch etwas zu sagen, und wenn es ein Aufruf zur allgemeinen Anarchie ist.

Der Typ legte die Wumme auf meinen wackeligen Schreibtisch. Stetig zielte sie genau auf mich, folgte meinen Bewegungen wie ein Magnet. Vielleicht durfte ich nicht soviel Eisenkraut fressen, um vor diesem schießwütigen Gerät sicher zu sein.

Das konnte ich natürlich in dieser Lage nicht mehr ertragen.

Mit den Füßen angelte ich mir die blaue Spielzeugpistole, Nr. 1 meiner Sammlung, im Gegenwert von 3,95 DM und richtete sie auf den Angreifer. Guter Trick, was?

Er hob die Hände.

"So, nun spielen wir das Spiel von dieser Seite aus", sagte ich mit einer Stimme, die selbst den Berliner Zörgiebel vom Blutmai 1929 erschreckt hätte.

"Wie lauten die Regeln?" Auch der Schwarz-Weiß-Mann in der Ecke erhob sich. Jetzt sah ich endlich sein Gesicht. Bebrillt, was sag ich, altmodisch bebrillt. Die Augen dahinter blaßgrünbraun mit einem Schuß ins Nachdenkliche.

"Name?"

"Marlowe, Philip", sagte der Eine, dessen Hände höher ragten, als er jemals geglaubt hätte.

"Beruf?"

"Befehlsverweigerer."

Das gefiel mir. Der Mann hatte Format.

"Stehen Sie bequem", riet ich ihm. Und er folgte meinem Befehl, ließ aber meine Waffe nicht aus dem Blick.

"Und Sie?"

"Raymond Chandler."

"Beruf?"

"Schreibtischtäter."

Noch vor ein paar Tagen hatte ich eine wunderbare Karikatur von Til aus New York gesehen, wie einer an der Straßenecke sein Opfer mit einem Schreibtisch erledigt. Und so jemand stand jetzt vor mir. Ging ganz schön flott, was?

"Und was führt sie beide gerade zu mir?"


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