glossen: kurzbiographie


  Kurzbiographie: Milo Dor

Milo Dor wurde 1923 in Budapest als Sohn eines serbischen Arztes geboren. Seine Jugend verbrachte er in Belgrad, wo er 1942 nach der Besetzung Belgrads als Widerstandskämpfer verhaftet, gefoltert und schließlich zur Zwangsarbeit nach Wien deportiert wurde. Nach dem Krieg blieb Dor in Österreich und begann seine Tätigkeit als Schriftsteller, Herausgeber und Publizist. Zu seinen Veröffentlichungen zählen zahlreiche Romane, Feuilletons, Anthologien und Übersetzungen serbischer Dichtung. Gemeinsam mit seinem Sohn, dem Regisseur Milan Dor, produzierte er viele Reiseberichte für das Fernsehen.

Die Auseinandersetzung mit der mitteleuropäischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts steht im Zentrum von Milo Dors Schaffen. Der historische Roman Die Schüsse von Sarajewo (1988) untersucht die geistigen und politischen Strömungen im untergehenden Habsburgerreich am Rande des Ersten Weltkrieges. Im ersten Teil seiner Romantrilogie Die Raikow Saga, der 1959 unter dem Titel Nichts als Erinnerung erschien, beschreibt Dor den langsamen Verfall der altösterreichischen Kulturtradition im Banat der Zwischenkriegszeit.

Immer wieder setzt sich Milo Dor mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Österreich und deren Auswirkungen auf die Zweite Republik auseinander. Der zweite und dritte Teil der Raikow Saga, Tote auf Urlaub (1952) und Die weiße Stadt (1969), sowie mehrere publizistische Veröffentlichungen, darunter die Bände Schriftsteller und Potentaten (1991) und Die Leiche im Keller. Dokumente des Widerstandes gegen Dr. Kurt Waldheim (1988), beschäftigen sich mit dieser Frage. Die 1997 erschienene Erzählung Wien, Juli 1999 entwirft ein bedrückendes Zukunftsbild einer bedrohten Demokratie.

Seit dem Zerfall Jugoslawiens veröffentlichte Milo Dor die Essaysammlung Leb wohl, Jugoslawien (1993), und gab die Sammlung Irren ist menschlich und patriotisch. Serbische Aphorismen aus dem Krieg (1994) heraus, in der er auf die Grausamkeit des Bürgerkrieges aufmerksam macht und Aufrufe zu Frieden und Menschlichkeit zu Wort kommen läßt. Dors Entgegnung zu Peter Handkes umstrittenen Essay "Gerechtigkeit für Serbien" erschien in vielen deutschsprachigen Zeitungen.

Milo Dor wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Im November 1998 wird er den Andreas Gryphius Preis der Stadt Jena entgegennehmen.

Marion Hussong


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