glossen: rezensionen


Jens Sparschuh, Der Zimmerspringbrunnen. Ein Heimatroman. (Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1995), 160 Seiten.

Der Kitschgegenstand im Titel und die Genrebezeichnung "Heimatroman" im Untertitel versprechen Humoriges, und das löst der Roman auch ein. Aus der Sicht eines östlichen Autors, des 1955 im ehemaligen Karl-Marx-Stadt geborenen Jens Sparschuh, wird dem Leser das leidige Ost-West-Verhältnis vor Augen geführt. Wer nun allerdings eine Frustgeschichte - und so mancher Leser wird sagen "die übliche Frustgeschichte" - erwartet, sieht sich getäuscht, denn hier handelt es sich um durchaus Komisches und Durchheitertes, was, wohlgemerkt, nicht mit Unernstem gleichzusetzen ist. Mit wohltuender Gelassenheit und mit Nachsicht fürs Menschlich-Allzumenschliche werden in diesem Text deutsch-deutsche Befindlichkeiten ins Visier genommen. Das Buch ist eine Art Lagebericht aus der Feder eines jüngeren Ostdeutschen, der die Existenzängste seiner Landsleute sehr wohl versteht, der selbst jedoch eine neue Freiheit und größere Beweglichkeit im Umgang mit Zukunft gefunden hat. Zwar tröstet der Roman die Nostalgiker in ihrem Phantomschmerz, so scheint es zunächst, doch diese Anteilnahme des Autors vermittelt sich im Medium der Satire. Gelacht wird über die Rückwärtsgewandten im östlichen Bereich, gelacht wird aber auch über den gönnerhaft-freundlichen marktbeflissenen großen Bruder im westlichen Bereich des wiedervereinigten Deutschland. Im Gewand eines Heimatromans bietet Sparschuh eine Persiflage, die vieles in einem ist: eine satirische Vertretergeschichte, eine Burleske über deutsch deutsches Marketing, einen ironisierten Wenderoman, einen modernen Picaroroman mit offenem Ende.

Im Zentrum der Handlung steht Hinrich Lobek, ein verschrobener Einzelgänger, Hobbybastler und Liebeskranker. Zusätzlich ist er ein mit allen Requisiten der Stereotype ausgestatteter Ossi: abgewickelt und arbeitslos, durch Heimatverlust verunsichert, von berechtigten Existenzängsten gebeutelt und von Wahnvorstellungen des Mißtrauens geplagt, mit denen er - in bewährter Stasi-Manier - wiederum seine Frau Julia plagt, die ihm davonrennt. Dieser ehemalige Angestellte der Kommunalen Wohnungsverwaltung nimmt eines Tages eine kleine Korrektur an seiner Biographie vor, nennt sich "Vertreter" und bewirbt sich bei der westlichen Zimmerspringbrunnenfirma "Panta Rhein" um eine Stellung. Auf einem Marketinglehrgang dieser Firma in Bad Sulz, auf dem über Verkaufstrategien auf jetzt gesamtdeutschem Markt gesülzt wird, werden Lobeks Verunsicherungen und Tölpeleien ständig zu seinen Gunsten gewertet. Ein mißverstandener Ossi, der überraschend wirtschaftlichen Erfolg hat, ein komischer "Held" , der sich - ihm selbst völlig unverständlich - auf fremdem Territorium unerwartet bestätigt fühlt, kurzum: eine moderne Schwejkiade. Lobek ist der mißverstandene Tor, der mit kapitalistischen Marktstrategien den östlichen Markt erobern soll. Die ihm vertraute DDR-Psyche der potentiellen Käufer im Bereich "Ost" und ein kleines Mißgeschick kommen ihm dabei zu Hilfe. Lobeks vereinsamter Hund "Freitag" - " Frauchen" davongelaufen und "Herrchen" auf Käuferfang - knabbert an dem Westmodell Jona herum und beschädigt es. Flugs greift der versierte Hobbybastler Lobek auf seiner Wohn-"Insel" zur Laubsäge, und geboren wird in dieser deutsch-deutschen Robinsonade der Verkaufsknüller "Atlantis", ein horrender Kitschgegenstand mit DDR Fernsehturm und den Konturen der früheren DDR. Hoch schwappen dann auch die Wogen der Nostalgie und der Wehmut unter den Landsleuten auf dem ostdeutschen Markt, und zwar nicht nur bei den Mitgliedern des "DDR- Heimatvertriebenen-Verbandes".

Finanziell jetzt abgesichert, ist der erfolgreiche Vertreter im privaten Bereich jedoch nicht glücklich. Allein, vereinsamt, entfremdet - die zwar wohlmeinenden, aber gönnerhaften westlichen Kollegen nicht verstehend - wird Lobek zum "Aussteiger", und zwar auf einem Bahnhof, wo er seine Frau Julia aus einem Zug aussteigend wähnt. Temporär verschwindet er mit seinem Hund "Freitag" im Pennermilieu, rafft sich dann jedoch auf - "'Na, los, komm schon!' Komm" - und geht davon. Der Leser weiß nicht, wohin. Aber die Komik, die trotz bitterer Untertöne in der Handlung vorherrscht, läßt echten Trübsinn am Ende des Romans nicht so recht entstehen. Jedenfalls suggeriert das allerletzte Wort des Romans, "komm", unter anderem auch den Gestus von Aufforderung, Beweglichkeit, neuen Möglichkeiten. Ein "offenes Ende" also, nicht mehr und nicht weniger. Wollte nun Jens Sparschuh in dieser Burleske über gesamtdeutsche Befindlichkeiten auch ein satirisch getöntes Porträt der Einzelinitiative geben, so ist ihm das in der vorliegenden Mehrdeutigkeit gelungen.

Christine Cosentino
Rutgers University



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