glossen: lyrik


  Aus: Lilian Faschinger, Ortsfremd. Gedichte. Baden-Baden: Baldreit-Edition, 1994.

 

Genesungsgedichte

"Verträumte Figuren, das sind wir" (Paul de B.)

1 ER KOMMT DIR ENTGEGEN
aus der Kalahari
wie der Typ aus Paris Texas
einer der Heuschrecken verspeist hat
und wilden Honig
ein Ausgezehrter
gespickt mit Kaktusdornen
Die Sonne steht hoch
Die Schatten sind kurz

Er fällt dir in den Schoß
nackt und bloß.
Du netzt ihm die Lippen
mit deiner pelzigen Zunge
ziehst ihm die Dornen aus dem Fleisch
einen nach dem anderen
ganz konzentriert
Schön seht ihr aus
wie eine Pietà

Er lächelt

Kein Grund zur Freude
Du hast nur Platz geschaffen
In die noch frischen Wunden
wirst du die neuen Dornen stoßen
die der rose

2 ES REGNET NICHT
Dein Mohn steht still
vor dem weißen Haus
Ich sehe dich lesen
in der Sonne
mein Blick spinnt dich ein
Du läßt es zu
wie in einem Schlaf

Es raschelt im Gras
Schöne Frauen streifen ums Haus
heben die Röcke
schauen scharf um die Ecke
und steigen über die Hecke
mit offenen Lippen
und offenem Haar

Sie stehen in deinen blumen
die Beine breit
und rütteln am Mohn
kommen näher
und stecken dir
ihre Katzenzungen ins Ohr
Du läßt es zu
wie in einem Schlaf

Ich gehe zurück
zur Schattenseite des Hauses
wo die blauen Passionsblumen blühen

3 DU GALOPPIERST
durch meine Nächte
ein fahles Pferd
mit Leberflecken hier und dort

Mamatschi
schenk mit ein Pferdchen
ein Pferdchen wär mein Paradies

Wer spricht von Schenken
frage ich.
Im Traum hab ich gekämpft mit ihr
um dieses Pferd
mit Schaum vor dem Mund
und hab sie totgeschlagen

Du galoppierst durch meine Ahnengalerie
ein weißer Hengst
der seine Vorderfüße in die Höhe reißt
und seine Mähne neonleuchten läßt
bevor er auf mich fällt

Ein goldenes Einhorn
stößt du so gar nicht scheu durch meine Eingeweide
die doch wohl kaum die Eingeweide einer Jungfrau sind
Hast du dich denn verirrt

Egal
Ich will dich füttern
mit Konfekt und mit Bovisten
und mich verwirrt bekreuzigen ob dieses Glücks

Mamatschi wird nicht einverstanden sein
mit dir
dem großen Tier
in meinem kleinen Zimmer hier
und wird uns wohl
als transparente Ahnfrau noch erscheinen

4 WER WEISS WIE OFT
wir einander mit knapper Not
entgangen sind
wie oft unsere Züge
aneinander vorbeifuhren
mit leuchtenden Fenstern
in der Nacht
weil jemand versäumte
die Weichen falsch zu stellen

Wer weiß wie oft
du eindrangst in ein Haus
das ich verstohlen
durch die Hintertür verließ
wie oft dein Blick zum Himmel ging
und mich im Flugzeug ahnte

Es war ein langes Warten
bis zum Aufprall
der die Wagen ineinanderschob
den Stahl verbog
wie ein Besteck aus Blech

Und gestern erst geschah es
daß der Feuervogel fiel
mit mir in seiner Mitte
und daß ein Stück von meinem Fenster
dich erschlug

Erst heute ist die Hintertür versperrt
Ich steh erstarrt im Haus
in einem leeren Zimmer
mit einem Bretterboden
und seh wie du
die Klinke niederdrückst
von außen
um mir die Liebe anzutun

5 SO EINE MEERJUNGFRAU
sagst du
das wäre was für dich

Du stellst es dir wohl schön vor
wenn sie dich hinunterzöge
die langen blonden Haare wehend
in den Wellen
die Arme sacht um dich gelegt
der du die Augen fest geschlossen hältst
in deiner Prinzenuniform
den weiten weißen Ärmeln
spitzen schuhen
und den engen lila Hosen
Bewußtlos bist du schon

Doch ich frage dich
Was nützt dir eine Erektion am morgen
mit einer meerjungfrau im Bett

Du hörst sie singen
sagst du
each to each
die Meerjungfrauen auf dem nassen Sand
Sie singen nur für dich
sagst du
und gehst mit ausgestreckten Händen
ins graue Meer hinein.
Du möchtest gern ertrinken

So eine Meerjungfrau
sagst du
das wäre was für dich

Und deine schönen Augen liegen auf dem Meeresgrund
zwei Perlen
vor die Fische hingeworfen
und treiben hin und her
fünf Faden tief
Die Meerjungfrau schwebt über dir
die Schuppen silberblau
mit ihren weißen Brüsten
die du als Blinder küßt

Doch ich frage dich:
Was nützt dir eine Erektion am Morgen
mit einer Meerjungfrau im Bett

6 DER ERSTE TAG
Wir ahnen nichts
Sind wir zum Glück bestimmt

So warm kann eine Mauer sein
an die sich zwei Männer lehnen
mit einer Frau zwischen sich

Es ist vom Rock’n’Roll die Rede
und Liederfetzen fliegen durch die Luft
wie die rotschwarzen Bäuche der Flamingos
über uns
Kampfflugzeuge
ihre Schatten vorauswerfend

Der erste Tag
Wir ahnen nichts

Ein Taucher sucht einen Schlüssel im Sand
Das Lachen kommt hinterrücks
Und haben wir das Meer gesehen

Wir haben es gesehen
das Meer und manche Muschel
zwei Männer
mit einer Frau zwischen sich
die Finger gespreizt wie Spinnen
auf dem verrinnenden Sand

Ein schwarzer Drache hängt am Himmel
Zigeunerinnen greifen flink nach unseren Händen
Be careful with l’amour!
Wir treten leise in die Krypta
zu zweit
Der Dritte kauft sich einen Strohhut

Der erste Tag

7 WAS SOLL DENN BLEIBEN
wenn der letzte Zentimeter Haut geküßt ist
wenn meine Zunge nicht mehr dringen darf
in deinen englischen Mund
der sich so fest verschließt

Was soll denn werden
wenn der Abdruck deiner Hände
auf meiner Brust verbleicht.
Und wenn ich wieder leer bin
wie ein Faß
das niemals einen Boden hatte

Und wenn du mir dein Bild entziehst
und nichts mehr da ist
als ein hoher schmaler Schattenriß
Was soll dann werden

Wenn deine leisen Rufe in der Nacht
verklungen sind
und deine Finger
alle Zigarettenkippen weggeworfen haben
und nicht mehr nach mir greifen
wenn du dein letztes Glas mit mir getrunken hast
und nichts mehr in der Flasche ist
nur eine tote Fliege
Was soll dann bleiben



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