glossen: prosa


  Aus: Lilian Faschinger: Magdalena Sünderin. Roman. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1997.

(Seite 12-12)

Und jetzt werden Sie mich Anhören, Hochwürden. Es wird Zeit, daß Sie auch mir Ihr Ohr leihen, Ihr auf alle Nuancen schwerer und läßlicher Sünde abgestimmtes katholisches Priesterohr, das schon so vielen verständnisvoll zugeneigt worden ist. Sie werden keine Gelegenheit haben, Ihre feinen Katholikenohren mit den aus dem äußeren Gehörgang sprießenden dunkelblonden Härchen zu verschließen. Es ist unmöglich, sich mit gefesselten Händen die Ohren zuzuhalten. Auch werden Sie weder die Möglichkeit haben, mit Gebetsformeln und liturgischen Gesängen das, was ich Ihnen erzählen werde, zu übertönen, noch Ihren Organisten um Hilfe zu rufen, damit er mit seinem Orgelpunkt meine Rede zudeckt. Ihr Organist mit seiner Orgel und seinem Orgelpunkt ist weit weg. Es ist unmöglich, mit einem Knebel im Mund um Hilfe zu rufen, ebenso wie es unmöglich, mit einem Knebel im Mund um Hilfe zu rufen, ebenso wie es unmöglich ist, mit einem Knebel im Mund Gebetsformeln zu sprechen oder liturgische Gesänge zu intonieren. Sie sind hilflos, Hochwürden. Meine Wörter und Sätze werden auf Ihr Trommelfell prasseln wie von boshaften Kindern auf Windschutzscheiben geworfene Äpfel, so daß dessen Membran erschreckt zu vibrieren beginnt und die Schallwellen aus meinem Mund schleunigst auf Hammer, Amboß und Steigbügel übertragen werden. Ihr Steigbügel wird sich beeilen, sie über das ovale Fenster an das Innenohr weiterzuleiten. Der Schalldruck wird hundertachtzigfach verstärkt in Ihren schwingungsfähigen Schneckengang einbrechen wie eine Metallkugel in die spiralförmigen Bahnen eines Spielautomaten und sich bis in die Paukentreppe fortpflanzen. Die Nervenimpulse werden über den Hörnerv zu Ihrer Großhirnrinde jagen, die endgültig dafür sorgen wird, daß Sie mich hören. Rot, grün, blau und gelb werden die Lämpchen in Ihrem Gehirn aufleuchten wie eine Lichtorgel, rhythmisch verbunden mit der Musik meiner Rede, und Sie werden mich endlich hören.”

 

S. 21/22

Es geht darum, daß Sie mir in Ruhe zuhören, daß Sie mir, der ununterbrochen ins Wort geffallen worden ist, nicht ins Wort fallen, mir, der ununterbrochen das Wort abgeschnitten worden ist, nicht das Wort abschneiden. Schnitten Sie mir das Wort ab, fielen Sie mir ins Wort, so würde Sie das in graße Gefahr bringen, in eine noch größere als die, in der Sie ohnehin schon schweben. Denn dadurch, daß mir so oft ins Wort gefallen, daß mir das Wort so oft abgeschnitten worden ist, bin ich überempfindlich geworden, extrem anfllig gegenüber Störungen meines Gedanken-beziehungsweise Redeflusses. Wird man ständig unterbrochen, gelangt man über das Rinnsalstadium nicht hinaus, ein frustrierender Geisteszustand, der große Nervosität und Unberechnebarkeit für den Denkenden beziehungsweise Redenden zur Folge hat. Es gibt Menschen, die sich auf die Sabotage gleichmaßig dahinfließender Gedanken spezialisiert haben, Ablenker, Unterbrecher, Dazwischenfunker, Verunsicherer, Besserwisser, Intervenierer, Zwischenrufer, Einflüsterer und dergleichen zwielichtige Gestalten mehr, zu denen natürlich zunächst die Eltern und übrigen Blutsverwandten zählen und in der Folge ganze Berufszweige, an der Spitze Volks-, Haupt-, Berufsschul-, Gymnasial- und Universitätslehrer sowie alle Arten von Psychologen, Psychiatern, Psychoanalytikern, Psychotherapeuten und sonstigen sogenannten Seelsorgern. Da auch Sie zur letztgenannten Gruppe gehören, habe ich meine Vorkehrungen getroffen, um einen ungehinderten Verlauf unserer Unterhaltung zu gewäahrleisten, an deren Ende ich Ihnen höchstwahrscheinlich den schwarzen Body von Kashiyama abnehmen, ihn wieder unter meinem Lederoverall anziehen und Ihnen einen einzigen Satz abverlangen werde: Ego te absolvo.

 

S. 36

“Ich habe mir einen österreichischen Pfarrer als Zuhörer für meine Generalbeichte ausgesucht, weil mir klar ist, daß nur ein österreichischer Pfarrer in der Lage sein wird, diese Generalbeichte vollkommen nachzuempfinden. Nur ein österreichischer Pfarrer wird sich uneingeschränkt in die gewundenen Gänge eines österreichischen Gehirns hineinversetzen können, dessen Großhirn windungen natürlich anders angelegt sind als die Windungen der Bewohner anderer Länder, nur er wird wirklich tief eindringen können in die graue und weiße Substanz eines österreichischen menschen. Nur ein österreichischer Pfarrer wird vorstoßen bis zum linken und rechten Herzvorhof eines österreichischen Menschen, nur er wird angesichts dessen, was er in den Herzkammern dieses menschen erblickt, nicht die Fassung verlieren. Ihm wird das Blut in den Adern nicht gefrieren, wenn er die Ausgeburten, die Ungeheuer zu sehen bekommt, die in österreichischen Herzkammern hausen, weil ihm aller Wahrscheinlichkeit nach die Bedingungen nicht unbekannt sein werden, unter denen sich solche Monstren in österreichische Herzkammern einschleichen. Wäre ich wirklich konsequent, so hätte ich einen Pfarrer aus Kärnten entführt, einen vom Nordufer des Ossiacher Sees stammenden Pfarrer, einen Pfarrer aus dem Dorf, in dem ich geboren bin. Er wäre mit den historischen, sozialen, kulturellen und sprachlichen Voraussetzungen der Entstehung dieser Herzkammernscheusale, dieser Herzbeutelschreckgespenster vertraut. Doch da ich nicht wirklich konsequent bin, beichte ich Ihnen, der Sie ein Osttiroler und kein Kärntner sind, der Sie jedoch aufgrund der geographischen Nähe Osttirols zu Kärnten zweifellos ahnen werden, was für Furchtbarkeiten, was für Greuel und Schrecken sich in einer durchschnittlichen Kärntner Herzkammer verbergen. Die Beichte von magdalena Leitner wird Sie nicht über Gebühr schockieren.”


From Lilian Faschinger: Magdalena the Sinner

(p. 1-2)

“Hear me now, Reverend. Listen with your ear, your Catholic priestly ear, finely tuned as it is to the nuances of both grave and venial sins, an ear you have turned in compassion to so many. You will not have the choice of closing your fine Catholic ears, with their dark blond hairs sprouting from the outer auditory canal. It is impossible to cover your ears when your hands are bound. Nor shall you have the opportunity to drown out what I will tell you with prayer formulas and liturgical song, or to summon your organist to help you by drowning out with pedal notes what I say. Your organist, with his organ and his pedal notes, is far away. It is impossible to call for help with a gag in your mouth, just as it is impossible to proclaim prayer formulas or intone liturgical song with a gag in your mouth. You are helpless, Reverend. Like apples pelted against a windshield by spiteful children, my words, my sentences will beat down on your eardrums such that the membranes will begin to vibrate horribly as the sound waves emitted from my mouth are swiftly conveyed to your hammer, anvil, and stirrup. Your stirrup will hasten them along to your inner ear by way of your fenestra ovalis. The sonic pressure, magnified one hundred and eight times, will penetrate your oscillatory cochlea like a metal ball speeding along the spiral path of a pinball machine on its way to your tympanic cavity. The nerve impulses will hurry across your auditory nerve to your cerebral cortex, which ultimately will be responsible for seeing to it that you hear me. The little bulbs in your brain will flash red, green, blue and yellow like a lighting console rhythmically connected to the music of my words, and finally, you shall hear me.”

 

p. 11

“It’s a matter of you listening quietly without interrupting me -- I who have been constantly interrupted--and without cutting me off--I who have constantly been cut off. Were you to cut me off, were you to interrupt me, it would put you in great danger, greater danger than you already find yourself in. Having so often been interrupted, so often been cut off, I am hypersensitive, irritable in the extreme when it comes to the flow of my thoughts or my words, respectively, being arrested. If you’re constantly interrupted you never get past the babble stage, a frustrating condition that results in terrible anxiety, making the one who is thinking or talking, respectively, highly unpredictable. There are those who specialize in systematically sabotaging the even flow of other people’s thought, diverters, interrupters, breakers-in, disconcerters, know-it-alls, interveners, hecklers, whisperers, and so on, among whom, of course, must be counted one’s parents and blood relatives, followed by entire professions, at the apex of which stand teachers from the elementary and middle schools, from vocational schools, high schools, and universities, as well as all types of psychologists, psychiatrists, psychoanalysts, psychotherapists, and other so-called ministers to the spirit. As you belong to the last, I have taken precautions so that our conversation might proceed unimpeded, at the end of which, more than likely, I shall remove the Kashiyama bodysuit, put it on again under my leather jumpsuit, and ask you to utter one sentence only: Ego le absolvo..”

 

p. 36

“I have chosen an Austrian priest to hear my general confession because it is clear to me that only an Austrian priest is in the position to fully understand this general confession. Only an Austrian priest will be entirely able to put himself into the twists and turns of an Austrian brain, the cerebral convolutions of which, of course, are arranged differently from the convolutions of those who live in other countries, only he will be able to penetrate deeply into an Austrian’s gray and white matter. Only an Austrian priest will be able to forge ahead to the left and to the right auricle of the Austrian heart, only he will not lose his composure on beholding what the chambers of such a heart contain. His blood will not freeze in his veins when he sees what beasts, what monsters are housed there, because in all probability he is not unfamiliar with the conditions under which such monsters have stolen into the chambers of the Austrian heart. Had I been truly precise I would have kidnapped a priest from Carinthia, from the north shore of Lake Ossiach, a priest from the village where I was born. Such a priest would be familiar with the historical, social, cultural, and linguistic prerequisites for the creation of these fiendish Austrian heart chambers, these heart sac horrors. But as I am not truly precise, I shall make my confession to you, East Tyrolean and non Carinthian that you are, for because of the geographical proximity of East Tyrol to Carinthia you nevertheless will doubtless be able to understand the dreadful, abominable, frightening things that are harbored in the chamberrs of the average Carinthia heart. A confession by Magdalena Leitner will not unduly shock you.”


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