glossen: rezension


Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hg.): Zwischen >Mosaik< und >Einheit<. Zeitschriften in der DDR, Christoph Links Verlag Berlin 1999


Sibylle, Guter Rat, Die Weltbühne, Deine Gesundheit, Elternhaus und Schule, Für Dich, Armeerundschau, Der Hund, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Bücherkarren, Deutsche Filmkunst, Die neuzeitliche Gaststätte, Horizont, Melodie & Rhythmus, Temperamente, so hiessen Zeitschriften in der DDR. Einige davon überstanden die Wende wenigstens für einige Jahre wie Neues Leben oder Wochenpost, andere gehören gar zu den wenigen Überlebenden des Zusammenbruchs des DDR-Postzeitungsvertriebs: Eulenspiegel, Sinn und Form, Neue Deutsche Literatur (NDL), Das Magazin. Die beliebte Wochenzeitung für Kultur und Politik Sonntag existiert als deutsch-deutsche Fusion Freitag weiter.

Den HerausgeberInnen, LiteraturhistorikerInnen am Potsdamer Institut für Zeithistorische Forschung, gebührt das Verdienst, Zeitschriften als Quelle historischer Forschungen zur DDR-Gesellschaft erkannt zu haben. Darauf gestossen waren sie im Zuge ihrer Recherchen zur Buchzensur und literarischen Öffentlichkeit in der DDR (vgl. "Jedes Buch ein Abenteur". Zensursystem und literarische Öffentlichkeiten in der DDR bis Ende der sechziger Jahre, Akademieverlag: Berlin 1997). Literaturzeitschriften, so stellten sie damals fest, spielten eine Schlüsselrolle innerhalb der Literaturverhältnisse der DDR. Der Zensur unterlagen sowohl Bücher als auch Zeitschriften, die Methoden dieser Zensur jedoch unterschieden sich enorm.

"Redaktionelle Verantwortlichkeit" lautete die Formel der organisierten Selbstzensur im Falle von Zeitschriften.
Allein die Vielfalt der Titel könnte das Bild publizistischer DDR-Monokultur aufbrechen helfen. Trotz materieller und ideologischer Einschränkungen bildeten sich Zeitschriften heraus, die über Jahrzehnte einen LeserInnenstamm halten konnten, von dem grosse westdeutsche Wochenblätter der selben Zeit nur träumen konnten. Die Existenz solch breiter Öffentlichkeiten zur Kennntis zu nehmen, kommt man nun wohl nicht weiter umhin. "Mit der Feststellung, dass in der DDR keine 'Öffentlichkeit' im westlichen Sinn existierte, ist für den Versuch, ihre Gesellschaft von innen zu verstehen, nicht viel gewonnen, denn das wusste man doch vorher" - der Prämisse des Soziologen Wolfgang Engler können sich die HerausgeberInnen nach so viel Recherche nur anschliessen.

Den WissenschaftlerInnen gelang mit der Initiierung einer Tagung im Oktober 1998, auf den dieser 700 Seiten dicke Band zurückgeht, ein Durchbruch in der Quellensicherung und -erschliessung, den sie selbst kaum erwartet haben dürften: An die hundert Zeitschriften werden darin in ca. 80 Beiträgen vorgestellt. (Die Zahl der lizensierten Zeitschriften lag 1989 bei 543.) Die Reaktion vor allem auch von ZeitschriftenmacherInnen auf die Einladung zur Mitarbeit war überwältigend: Konferenz und Buch brachten RedakteurInnen und WissenschaftlerInnen, LektorInnen, LeserInnen und freie PublizistInnen an einen Tisch. Im Buch kommen Kultur-, Kommunikations-, ZeitungswissenschaftlerInnen zu Wort, AnglistInnen und GermanistInnen, Kunst-, Wirtschafts- und WissenschaftshistorikerInnen, ZensurforscherInnen und AlltagsgeschichtlerInnen, JournalistInnen, LektorInnen, TheologInnen und ArchitektInnen.

Dass Probleme der Zensur, des Verbots und der Verhinderung von Zeitschriften dabei zur Sprache kamen, versteht sich von selbst. Wie die Tagung vor einem Jahr trieb auch die Buchpremiere - passend zum Zehnjahremauerfallrummel am 10.Oktober 1999 im Berliner Prenzlauer Berg - Emotionen und politische Gegensätze hervor. Vor verallgemeinernde Urteile über die DDR-Presse setzen Barck, Langermann und Lokatis die empirische Forschung, die genaue Analyse der Einzelgeschichten: Die Kämpfe der Redakteure mit ihren Herausgeberinstitutionen, die Auseinandersetzungen innerhalb der Redaktionen, die Konkurrenzen zwischen verwandten Publikationen, die historischen Veränderungen des jeweiligen Zeitschriften-Profils. Da Forschungen zu einzelnen Frauen-, Kinder-, Jugend-, Studenten-, Spezialistenzeitschriften zehn Jahre nach dem Ende der DDR noch in ihren Anfängen stecken, kann der vorliegende Band nur einen ersten Schritt darstellen. Die systematische Erschliessung der meisten Publikationen steht noch aus und erfordert nicht zuletzt auch die Ausbildung eigener Analysemethoden.

Als erste Übersicht über die heterogene vierzigjährige Zeitschriftenlandschaft leistet der Band allerdings bereits eine beeindruckende Strukturierung des zukünftigen Forschungsfeldes. Den Pressegeschichten der Nachkriegszeit werden inoffizielle Publikationen der 80er Jahre an die Seite gestellt, den inneren Widersprüchen eines theoretischen Parteiorgans wird ebenso analytische Aufmerksamkeit gewidmet wie verschiedenen konfessionellen Blättern. Untergliedert sind die Beiträge und Protokolle der Podiumsdiskussionen in folgende inhaltliche Sektionen:

Bunte Blätter - Graue Zonen; Fenster zur Welt; Kultur als öffentliche Angelegenheit; Literarische Öffentlichkeiten und ihre "Beobachtung"; Medien und Lesewelten der DDR-Bürger; Spezialisten unter sich?; Von der Macht der Institutionen; Konfessionelle Öffentlichkeiten; Gegen-Öffentlichkeiten. Nicht erst das zusammenfassende Gespräch am Ende der Tagung (und des Bandes) verweist auf Übergänge zwischen Rückschau und Gegenwart, immer wieder verband sich die Bilanz uneingelöster publizistischer Konzepte mit kritischen Anmerkungen zur aktuellen gesamtdeutschen Presselandschaft. Spielregeln und Spielräume, Sperrlisten, Papierpreise, Gegen- und Teilöffentlichkeiten sind Schlüsselwörter der Beiträge.

Informationen zu Gesprächspartnern und Autoren und Zeitschriftenregister im Anhang legen nicht allein eine Flut bibliographischer Spuren, sondern verweisen zugleich auf Lebensgeschichten, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Die noch immer medienwirksame Vorstellung einer homogenen Gesellschaft DDR wird damit einmal mehr in Frage gestellt.

Birgit Dahlke
Humboldt Universität Berlin


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