glossen: kurzgeschichten


Alexander Kluge

In den Tiefkellern der Museen am Spreeufer

Durch die großzügigen Fenster des Palasthotels Radisson hat der Frühstückende auf den Palast der Republik noch den gleichen Blick wie 1989 ein Delegationsmitglied eines exotischen Landes hatte, als handeltreibendes Pendant, als belohnter Gast der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Für den planenden Architekten sind diese Geländer am Spreeufer bereits vollständig abgerissen und durch Neubauten überwölbt. Insofern ist das, was das Auge sieht, nichts Wirkliches: Die Sessel, in denen Gäste ruhen, die Brote, die gefrühstückt werden, sind verwandelt durch das, was geschehen wird.

In den Tiefkellern der Museen am anderen Spreeufer, die noch aus der Zeit preußischer Könige hinüberragen, sind jetzt Büros von Forschern gefunden worden. Die Planstellen dieser Kellerinsassen wurden zu Beginn des Feldzuges, mit dem Griechenland 1941 erobert wurde, errichtet. Sie überdauerten, unbemerkt von den politischen Spitzen, die 40 Jahre DDR und sind jetzt anläßlich der Umgrabung des Spreebogens neu bemerkt worden. Die Grabung führt unmittelbar in die Antike.


Alexander Kluge liest "In den Tiefkellern der Museen am Spreeufer"(video — 6MB), (audio —1MB)


zurück zum inhaltsverzeichnis