| Zum Tod von Jürgen Fuchs Er galt als unerbittlich, obwohl er sanft war. Man warf ihm vor, auf die Stasi fixiert zu sein, obwohl er hauptberuflich damit beschäftigt war, Berliner Straßenjugendlichen als Ersatzvater beizustehen. Journalisten nannten ihn gar traumatisiert, obwohl er sich wie kein anderer darum bemühte, den Traumatisierten der SED-Diktatur zu neuem Selbstbewußtsein zu verhelfen. Kein anderer deutscher Schriftsteller ist so gründlich mißverstanden worden wie Jürgen Fuchs, der am Nachmittag des 9. Mai 1999 im Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhaus starb. Jürgen Fuchs wurde 1950 in Reichenbach im Vogtland geboren. Nach seinem Wehrdienst begann er in Jena Psychologie zu studieren, nebenbei veröffentlichte er kleinere literarisch Arbeiten. Weil seine Texte den Machthabern in der DDR nicht paßten, wurde er 1975 wegen »Schädigung des Ansehens der Universität in der Öffentlichkeit« kurz vor dem Examen exmatrikuliert und obendrein aus SED und FDJ ausgeschlossen. Mit seiner Frau und der gerade geborenen Tochter Lilli fand er damals Unterschlupf im Gartenhaus des Dissidenten Robert Havemann. Doch nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns und den darauffolgenden Protesten wurde er noch im November 1976 verhaftet und nach monatelanger Untersuchungshaft vor die Alternative gestellt, entweder in den Westen zu gehen oder zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt zu werden. Im August 1977 schob ihn der Staatssicherheitsdienst nach West-Berlin ab, nicht ohne vorher die eindeutige Drohung auszusprechen: »Legen Sie sich später nicht mit uns an. Wir finden Sie überall. Auch im Westen. Autounfälle gibt es überall.« Beim Rausschmiß von der Universität und später in der Haft hatte sich Jürgen Fuchs der wahre Charakter der SED-Herrschaft offenbart: Die Vernehmer, die die sozialistische Utopie im Munde führten, entlarvten sich als gnadenlose Vollstrecker der Diktatur. Seine literarischen Arbeiten werteten sie als »staatsfeindliche Hetze«, die in der DDR mit zwei bis zehn Jahren Gefängnis bestraft wurde. Mit zynischem Lächeln und den ausgeklügelten Demütigungen der Untersuchungshaft wollten sie den Widerstandswillen des 26jährigen brechen. Jürgen Fuchs hatte in diesem ungleichen Kampf nur eine Waffe - die Literatur. Er machte sich selbst zum Beobachter des Geschehens und verkehrte damit auf unsichtbare Weise die Rollen. Mit geradezu wissenschaftlichem Interesse schaute er seinen Widersachern bei ihrer »Arbeit« zu und protokollierte das Erlebte erst im Kopf und dann in seinen Büchern Gedächtnisprotokolle (1977), Vernehmungsprotokolle (1978), Fassonschnitt (1984), oder Das Ende einer Feigheit (1988). Daß er die Mechanismen der Machtausübung auf solche Art sezierte, trug ihm den ewigen Haß der Obrigkeit in der DDR ein, oder, wie Wolf Biermann 1977 schrieb: »Er nimmt alles auf, offen wie ein Kind. Und das macht seine Position mit denen, die ihn das Fürchten lehren wollen, so sehr zum Fürchten.« Jürgen Fuchs Bücher waren damit mehr als dokumentarische Aufzeichnungen eines einzelnen - sie wurden zu Lehrstücken über das »Phänomen« der Diktatur. Als Ralph Giordano, der die Verhörmethoden der Gestapo über sich hatte ergehen lassen müssen, bei Dreharbeiten in Irland die Vernehmungsprotokolle in die Hände bekam, war er so überwältigt, daß daraus eine lebenslange Freundschaft zu Jürgen Fuchs erwuchs. Wie Biermann hatte auch er dabei immer das Gefühl, daß der Jahrzehnte jüngere Fuchs der »Ältere« in der Beziehung sei. Die sanfte Klarheit, mit der Jürgen Fuchs seine Beobachtungen mitteilte, entrückte ihn schon zu Lebzeiten seiner Umgebung. Gerade dies setzte ihn aber auch zeitlebens heftigen Angriffen aus. Nicht nur der Stasi, die ihn bis nach West-Berlin verfolgte und jahrelang mit dem ganzen widerlichen Arsenal sogenannter »Zersetzungsmaßnahmen« überzog, sondern auch derjenigen Zeitgenossen, für die jedes Problem »zwei Seiten« hat, die die »Zwischentöne« vermißten und auf die Jürgen Fuchs »Eindeutigkeit« altmodisch und pathetisch wirkte. Sie wollten seine bohrenden Fragen nicht hören, von denen sie meinten, daß sie einer geradezu krankhaften Fixierung auf seine einstigen Gegner entsprangen. Dieser Vorwurf wurde vor allem laut, nachdem er in seinem letzten Buch Magdalena (1998) seine Spurensuche nach den Stasi-Machenschaften in den Fluren der Gauck Behörde zum Thema machte. Ähnlich den früheren Büchern, schildert Fuchs darin leise und unaufdringlich seine Beobachtungen, wie ein deutsches »Amt« das Erbe der Diktatur verwaltet. Er berichtet von behördlichen Hierarchien, Formularen. Vorschriften und übernommenen Stasi-Mitarbeitern - und problematisiert damit zugleich das seit Kafka virulente Thema der Verlorenheit des einzelnen in der modernen Bürokratie. Wie Wolfgang Koeppen und andere Schriftsteller dieses Jahrhunderts montierte er in den Roman die Selbstzeugnisse seiner Zeit, vor allem die sich selbst entlarvenden Dokumente der Stasi, die als literarische Stilmittel die untergegangene Diktatur wieder auferstehen lassen und von der bohrenden »tak-tak-tak« der Schritte auf den Fluren gebrochen werden. Dieses Buch wie überhaupt die Unbeirrbarkeit des Jürgen Fuchs erschien manchen als Zumutung und wurde von den großen Feuilletons nicht goutiert. Dabei sprach er nur Dinge aus, die jedem unvoreingenommenen Beobachter ebenso ins Auge fallen müssen und die nach dem Zusammenbruch einer Diktatur durchaus auf die Tagesordnung gehören. Weil die Gesellschaft ihren Frieden mit der Vergangenheit schließen wollte, erschien Jürgen Fuchs als Störenfried, dessen wahre Bedeutung erst spätere Generationen erkennen werden. Vielleicht war es diese Situation, die viele dazu veranlaßte, Jürgen Fuchs wenigstens im Tode demonstrativ zu ehren. Als er am 15. Mai auf dem Berliner Heidefriedhof beigesetzt wurde, waren mehr als 400 Verwandte, Freunde, Schriftsteller und Bürgerrechtler gekommen, um sich mit Blumen, Kränzen und persönlichen Ansprachen von ihm zu verabschieden. Hubertus Knabe Mit besonderem Dank an den Autor und an das Deutschlandarchiv, in dem obiger Beitrag zuerst erschienen ist. |