glossen: in memoriam Jürgen Fuchs


Wolfgang Müller

Zum Tod vom Jürgen Fuchs

Jürgen Fuchs ist tot; mit 48 Jahren im Mai dieses Jahres an den Folgen eines seltenen Blutkrebses gestorben; ähnlich wie Rudolf Bahro und Gerulf Pannach vor ihm. Es bleibt der Verdacht, dass die Krankheit durch radioaktive Bestrahlungen der Stasi hervorgerufen wurde. Mit ihm verlor Deutschland einen seiner bedeutendsten Autoren, einen besonnenen, aufrechten, unbestechlichen und unermüdlichen Streiter für Wahrheit und Gerechtigkeit.

Wie der ältere Freund Hans Joachim Schädlich im vogtländischen Reichenbach geboren, studierte er in Jena Sozialpsychologie, “diente” als Soldat der NVA, wurde 1975 von der Uni Jena relegiert, 1976/77 neun Monate lang als Staatsfeind im Hohenschönhauser Stasiknast drangsaliert und schliesslich 1977 in den westlichen Teil Berlins abgeschoben. Doch vor allem schrieb er: Gedächtnisprotokolle (1977), Vernehmungsprotokolle (1978) zu seiner Haftzeit; dann seine Armeeromane Fassonschnitt (1984) und Das Ende einer Feigheit (1988); weiterhin Gedichte und Essays, insgesamt als Einmischung in eigene Angelegenheiten zu verstehen, wie sein Essayband aus dem Jahre 1984 betitelt war, und schließlich seinen letzten, der schweren Krankheit abgerungenen Roman Magdalena (1998), der rund ein Jahr vor seinem Tode erschien war.

Wenn man einen Autor beurteilen will, müsse man mindestens drei Ebenen beachten, bemerkte er 1990 auf einer Tagung in Vlotho: den Text, die Person und seine Kollegialität, seine Arbeit in Organisationen. Er verlangte sich auf all diesen Ebenen alles ab. Er hatte etwas Unbedingtes und etwas Unermüdliches. Er spornte an, ermutigte und tröstete. Seinen Gegnern gegenüber — es waren derer viele; die Anzahl seiner Stasiakten belegt es, — war er mutig und unerbittlich. Und doch war er einer der Verständigsten, ein sanfter Mensch. Seinen Freunden machte er es durch sein Beispiel schwer. Er hat sich gesorgt, wenn sie in Not waren. Er hat versucht, dort Öffentlichkeit zu schaffen, wo junge Autoren Öffentlichkeit brauchten; er hat organisiert und Verbindungen hergestellt, hat zahllose Faxe mit Informationen verschickt, von denen er annahm, dass andere sie gebrauchen konnten. Und dann war da noch seine psychologische Praxis, seine Arbeit für ausgegrenzte Jugendlichen. Wann hat er nur geschlafen? Nie hat er bei all seinen sich selbst gestellten Aufgaben Vorteil und Aufwand abgewogen. Immer handelte er mit ganzem Einsatz und immer ging es um die Sache: Um den Kampf gegen Diktatur und Unterdrückung, für Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Und es war ihm ernst mit diesen Wörtern.

Jürgen Fuchs war ein Revolutionär, dessen Kräfte sich aus vielen Quellen speisten.Sowohl aus dem bekennenden Christentum als auch aus dem Kommunistischen Manifest, aus der Denkweise Manès Sperbers, Arthur Koestlers wie Primo Levis.

Das sogenannte sozialistische Deutschland warf ihn ins Gefängnis, das westliche Deutschland tat sich schwer mit ihm. Das vereinte Deutschland bemühte sich, oft mit Erfolg, ihn zu überhören. Doch seine Bücher, sein menschliches Beispiel werden bleiben. Vielleicht wird sich einmal eine Büirgerinitiative bilden, die eine deutsche Strasse in Fuchsstrasse umbenennt, oder ein Literaturpreiskomitee, das seinen Werken den gebührenden Rang einräumt — bis jetzt hat ihm nur der Autorenkreis Deutschlands posthum den Hans-Sahl-Preis verliehen. Möglicherweise wird sich sogar einmal eine Bundesregierung finden, die diesem leidenschaftlichen und überzeugten Demokraten in angemessener Form ihren Respekt bezeugt.


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